Alter, Kopfhautsonnenbrand? Oder was? Alter, veräppeln, kann ich mich selber. So oder so ähnlich, sah letzte Woche die Besprechung zwischen Chefredaktion und einem Teil der mit Badeschlappen bekleideten Kollegen aus. Abgegeben haben sie dann für das erste KURZ GESAGT 2018 ein paar Platten, die länger raus sind, aber zumindest nicht untergehen sollten.
SIND – Irgendwas mit Liebe
Letzte Mal habe ich mir meine Brusthaare gekrault, zumindest habe ich es versucht, doch da waren auf der Milchbubibrust keine. Das sollte bei den Berlinern von Sind und ihrem Debüt IRGENDWAS MIT LIEBE kein Problem sein. So strotzt doch aus einigen Songs das Testosteron oder sagen wir zumindest die Klischees, die sich an eine übermäßige Ausschüttung dessen anschließen. Sei es die unbekannte Seelsorgerin, die sich in „Betty Ford“ dem „besoffenen Pennern“ animmt oder die Unbekannte, die droht das lyrische Ich zu verlassen, welches nur genau weiß, dass es eigentlich an ihm liegt. Der Mann ist somit meist gebrochen und kann doch nicht anders, was sich dann in überschäumendem Selbstmitleid äußert. Der Gitarrenrock ist zwar ganz schön und mag durchaus einen gewissen Hitcharakter entwickeln wie in „Mi Wifi es su Wifi“, aber diese übertriebene Sexualität, die aus den Songs quillt, hui…da will man direkt kalt duschen gehen. Gut, das ist etwas verengt und der Sound der Berliner wie gesagt durchaus hörbar, die Bilderbuch Adaption in „Alpina Weiß“ hat auch was lustiges, aber insgesamt wirkt das ein wenig als würden Revolverheld jetzt Gitarrenpop spielen. Gute Songs, aber leidsaer mit diesen komischen Worthülsenklischeetexten wie „Lieb Deine Liebe“ im Titelsong, die einen etwas ratlos zurück lassen.
VÖ: 20.04.2018, SIND Gbr,SIND Band
Ohr de Ouevre: Alpina Weiss/ Mi Wifi es su Wifi
Wertung: 4,5/10
Arionce – Deep Dark Ocean EP
Drama, Drama, Drama scheint es aus jeder Zeile zu triefen, die Arionce unter das Volk bringen. Und trotzdem ist diese Stimme etwas, dem man sich nicht ganz entziehen kann und welches das herausstechendste in dem wohl temperierten Gitarrenpop des Berliner Trios Arionce ist, der zwischen den Editors und Polarkreis 18 hängt. Zwar überzeugt man hier und da mit einigen elektronischen und rythmischen Spielereien und einem atmosphärisch-dichten Sound, wie in „Storm“ oder „The Coast“, aber insgesamt wird die Pathosschraube manchmal zu überdreht, als das richtig Schwung aufkommen will. Ein wenig als hätten sich A-HA selber in jünger geklont und trotzdem bleibt irgendwas hängen, scary.
VÖ: 06.04.2018, inkwood/recordJet, http://www.arionce.com/
Ohr de Ouevre: Storm/ The Coast
Wertung: 5,5/10
Cold Years – Nothern Blues EP
Schön gemachter, schnörkelloser Rock, der in Teilen („Miss you to Death“, „What I lost“) an die frühen Gaslight Anthem erinnert, vielleicht nicht ganz mit dieser melancholischen Power eines Brian Fallon, aber die Songs wissen zu gefallen. Das Role Model Spiel mit unseren Helden aus New Jersey macht spätestens das Video zum Hit „What I lost“ deutlich – LoL. Ab und zu nervt der Choruseffekt auf der Gitarre, aber die zweite EP des schottischen Quartetts macht schon mal den Mund wässerig für eine vollständige Langspielplatte.
VÖ: 02.03.2018, Homebound Records, Cold Years
Ohr de Ouevre: What I lost
Wertung: 6,5/10
Rolo Tomassi – Time Will Die And Love Will Bury It
Man muss Rolo Tomassi einfach lieben. Nicht nur, weil Ihr Bandname einem James Ellroy Krimi enstammt, nicht nur weil Sängerin Eva so schreien kann wie Mike Patton zu seinen Tomahawk Zeiten, nicht nur weil der Grindcore/Postpunk/Jazzmix einer Achterbahnfahrt gleicht, sondern weil das Anhören von TIME WILL DIE AND LOVE WILL BURY IT einfach ein Riesenworkout ist, mit garantiertem Kalorienabbau. Wiegen der Opener und die Auskoppelung „Aftermath“ den Hörer noch in Sicherheit und umschmeicheln dessen Sinne mit melodischem Postpunk a la Pretty Girls makes Graves, ist die Schonzeit spätestens mit „Rituals“ vorbei. Fortan schweben die Stücke zwischen hemmungslosen Grind- und Mathcore und melodischen Metal, nur unterbrochen von pianolastigen Atempausen und hier und dort melodischen Gesangsparts. Aber sonst Rübe ab und durch, manchmal rutschen sie ab in eher jazzige, krautige Parts wie „Balancing in Dark“,nur um sie nach wenigen Takten wieder durch aufgepeitschte Stakkatogitarren unterbrechen zu lassen. Aber das beunruhigenste bleibt vielleicht der Gesang von Sängerin Eva. Great.
VÖ: 02.03.2018, inkwood/recordJet, https://rolotomassi.bandcamp.com/
Ohr de Ouevre: Rituals/ Aftermath
Wertung: 7,0/10
Coilguns-Millennials
Eine Band wir Coilguns muss man einfach gern haben. Vier Schweizer, die sich seit Jahren dem Hardcore verschreiben und auch noch über eine große Portion Selbsthumor verfügen, so führen sie doch die Temporeduzierung auf ihr Alter und wenn man zwischen den Zeilen lesen will auf ihr größeres Körpergewicht zurück. Keine Sorge, zwar wird auf MILLENNIALS nicht in 220 bpm durchgeknüppelt, aber der doomig-schwere Hardcore kann trotzdem durch seine dekonstruierten Songformen überzeugen, aus denen nach wie vor eine ganze Menge Spielfreude rausquillt. Gesprochene, fast soundtrackmäßige Parts wechseln sich ab mit Screamosequenzen, dazwischen verlieren sich allerdings die Lieder machmal in tonnenschweren, monotonen Gittarenakkorden, wobei die Coilguns gegen Ende eines Songs den Hörer meist auffangen. Für alle Freunde, des doomigen Improvisationscores ein gefundenes Fressen.
VÖ: 23.3.2018, Humus / Membran, https://coilguns.bandcamp.com/
Ohr de Ouevre: Deletonism
Wertung: 5,5/10