Damian Jurado – The Horizon just laughed
Fast jedes Album Jurados geht zurück auf einen Traum des unermüdlichen Songwriters aus Seattle. Dabei ist der Traum zu seinem neuesten Werk THE HORIZON JUST LAUGHED weniger visionär als zu seinem letzten Album VISIONS OF US AND LAND ausgefallen.
Statt eigene Welten zu erschaffen, setzen sich die Songs eher collagenartig aus Begegnungen und Momenten zusammen, die er auf seinen unendlichen Reisen gemacht bzw. erlebt hat. Schließlich scheint sich alles um die ewige Frage zu drehen, bin ich unterwegs zu Hause oder erreiche ich dieses erst am Ende der Reise? So teilen sich die Songs auf in die Postkarten- und in die Landschafts-Songs. Erstere basieren skizzenhaft auf Postkarten, die der Erzähler an diverse Personen schreibt und die von seinen Zweifeln und seinen Reiseerlebnissen handeln. Musikalisch fallen diese Lieder wesentlich beschwingter und kürzer aus als diejeingen, die nennen wir sie mal Landschafts-Songs, die sich mäandrierend in Landschaftsbeschreibungen zu verlieren scheinen. Diese sind meist reduziert auf Jurados einzigartige Stimme und seine Gitarre, allerdings immer durchsetzt mit abkippenden Momenten, in denen Orgel oder Bläser den Songs nochmal eine neue musikalische und stimmliche Färbung geben, wie in dem epischen „Over Rainbows and Rainier“. Dagegen kommen die Postkarten-Songs schnell auf den Punkt, verbreiten eine fast Bossa Nova, 70ties – artige Leichtigkeit, getragen von luftigen Bläser- und Streicherarrangements, die Jurado als großen Crooner und zeitlosen Songwriter präsentieren. So fressen Songs wie „Allocate“ oder „Lou Jean“ mit ihrer hypnotischen, melancholischen Schönheit den Hörer schier auf. Jurado reduziert seinen Sound also wieder im Gegensatz zu den Prog-Ansätzen in seinen letzten Platten, allerdings endet dies nicht in Selbstbeschneidung, vielmehr knüpft er an die großartigen Werke seiner Mittelphase wie MARAQOPA oder SAINT BARLETT an.
VÖ: 04.05.2018, Secretly Canadian, http://www.damienjurado.com/
Ohr de Ouevre: Allocate /Florence Jean/ The last great Washington State
Wertung: 7,0/10
Tracklist: Allocate/ Dear Thomas Wolfe/ Percy Faith/ Over Rainbows and Rainiers/ The last great Washington State/ Cindy Lee/ 1973/ Marvin Kaplan/ Lou Jean/ Florence Jean/ Random Fearless
Drangsal – Zores
ZORES heißt das neue Album des Pfälzer Dorfkindes Max Gruber, alias Drangsal. „Zores“ ist pfälzer Slang und kann sowohl „Durcheinander“, „Wirrwarr“, „zänkisches Streiten“ und „Ärger“ bedeuten, als auch für eine als asozial und verbrecherisch verachtete Gruppe von Menschen stehen. Während textlich das Versprechen des Albumtitels eingelöst wird, dominiert jedoch musikalisch der Pop.
Zwei Jahre nach dem gefeierten Debutalbum HARIESCHAIM hat sich auf dem neuen Album ZORES einiges getan. Um es gleich vorneweg zu nehmen: Drangsal macht jetzt Pop, Drangsal singt jetzt auf Deutsch. Fast verschwunden ist der Gothic-New Wave und frühe Postpunk des Vorgängeralbums, mit dem die Kritiker so einfach zu überzeugen waren. Auf ZORES findet sich fast reine Popmusik. Manche Melodien sind seltsam vertraut und erinnern an Stücke des ersten Albums („Arche Gruber“), vieles ist jedoch noch ungewohnt und neu. „Turmbau zu Babel“ ist eine musikalische Kopie des frühen Ärzte-Sounds und ist ohne den Witz und die Ironie der Berliner zu besitzen einfach nur schnöder 80er-jahre Pop. Dann zitiert sich Drangsal selber: Aus „Love Me Or Leave Me Alone“ (HARIESCHAIM) wird auf ZORES „Lieb mich oder lass mich in Ruh“. Neun der Zwölf Lieder auf dem Album haben nun deutsche Texte. Die stärkere zweiten Albumhälfte wird eingeleitet mit dem musikalisch überraschend harten „Sirenen“. Gruber singt „Aus deinen Narben da triefen die Triebe, Ich bin ein Hund. Und ich will nur deine Liebe“. Ähnlich harte Texte begegnen einem auf ZORES immer wieder.
In einem Interview gab Drangsal unlängst an, er habe sich auf Englisch ausgetextet und deswegen ins deutsche gewechselt. Und Max Gruber nutzt die neue, nun dominierende Sprache eindrucksvoll und zeichnet imposante Bilder: „Gegen die Decke meines Schädels schlägt ein Spalier junger Mädels – Gegen die Wände meines Herzens halten hundert Jungs heiße Kerzen“ („Und Du? Vol.II“). Drangsal spielt unentwegt mit der Sprache. Das letzte Lied nennt er „Acme“ (altgriechisch, Höhepunkt), der Albumtitel „Zores“ wird hergeleitet aus dem hebräischen und entspricht „Bedrängnis“, „Kummer“, „Drangsal“. Drangsal ist Zores. Zores ist Drangsal. Alles klar?
Gerade der Widerspruch zwischen den poppig-süßen Klängen der 80er Jahre und den bemerkenswerten Texten machen das Album spannend, aufregend und zum aktuell besten Deutschpop-Album.
Vö: 27. April 2018, Caroline International, http://www.drangs.al/
Ohr d’Oeuvre: Sirenen, Arche Gruber, Acme
Gesamteindruck: 8.0/10
Tracklist: Eine Geschichte/ Jedem das meine/ Und Du? Vol. II/ Magst du mich (Oder magst du bloss noch dein altes Bild von mir)/ Sirenen/ Turmbau zu Babel/ Weiter nicht/ Laufen lernen/ Ache Gruber/ Gerd Riss/ All the poor ships at Sea/ Acme