Eigentlich wollte ich mich nur als Amateur bei einem Plattenfirmendinner einschleichen und ordentlich die Tupperdose füllen. Dies sollte Anfang des Jahres anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises, nein, anläßlich der Veröffentlichung des Majordebüts von Johannes Falk (ich kannte den damals nicht) auf Sony stattfinden. Die Veranstaltung wurde kurz vorher abgesagt. Eine Rezension hatte ich den wichtigen Menschen von Sony jedoch schon versprochen.
Ich konnte nicht ahnen welche Ereignisse meine kleine Liebkosung des deutschen Songwritertums auslösen würde. Nach der Veröffentlichung hatten wir plötzlich Interaktion in unserem Facebook-Channel – unter anderem vom Künstler persönlich. Er sagte uns sogar ein Interview zu – und konnte mich, den einst kritischen Hobbyretter der deutschen Popmusik mit seinem Charme um den Finger wickeln. Und ebenfalls überzeugen, dass alles voll in Ordnung ist mit ihm. Alles!
Interview Johannes Falk
JMC: Vielen Dank, dass du Dir nach unserer Albumkritik die Zeit genommen hast, Stellung zu beziehen. Vielleicht möchtest Du unseren Lesern erstmal etwas über Dich erzählen. Auf Wikipedia habe ich zum Beispiel gelesen, dass Du der Jüngste von 13 Geschwistern sein sollst.
Johannes Falk: Von 12.
JMC: Ihr kommt ursprünglich aus Russland?
JF: Meine Eltern kommen aus Russland. Ich bin in Darmstadt geboren. Aber all meine Geschwister sind in Russland geboren. Es sind Spätaussiedler – Vorfahren deutsch. 1976 sind meine Eltern nach Deutschland gekommen. 1977 bin ich auf die Welt gekommen.
JMC: Du hast dich in der Vergangenheit stark an der Produktion sogenannter christlicher Popmusik beteiligt.
JF: Da bin ich halt rein gewachsen. Das ist so mein Werdegang. Ich komme aus einem sehr religiösen Elternhaus. Meine Eltern sind Russlanddeutsche Baptisten, die sehr konservativ sind. Moralisch und ethisch würde ich sagen, könnte man sie bei den Hardlinern der katholischen Kirche verordnen.
JMC: So Opus Dei?
JF: Ja, genau.
JMC: Dann bist Du quasi der deutsche Father John Misty!
JF: Es war ein langer Weg mich davon zu emanzipieren. Es gibt in meinem persönlichen Umfeld Menschen, die da relativ früh einen Cut gemacht und sich davon distanziert haben. Und bei mir hat das eben länger gedauert.
JMC: Würdest Du dich denn selber noch als religiösen Menschen bezeichnen?
JF: Ich finde das Wort „Religion“ einfach kacke. Es ist etwas von Menschen gemachtes oder eine Institution oder ein System, was letztendlich nur dazu dient, Macht auszuüben auf andere Menschen. Deswegen finde ich den Begriff doof und würde mich deshalb nicht als religiös bezeichnen, sondern eher an einen an Gott glaubenden Menschen.
JMC: Hast Du die Songs der ersten beiden Alben alleine geschrieben?
JF: Zum größten Teil.
JMC: Die sind ja noch auf diesem anderen Label (Anmerkung der Redaktion: Gerth Medien – christliche Bücher, Musik, Geschenke und mehr) erschienen?
JF: Das ist eigentlich ein Buchverlag, der mir das Geld und die Vertriebsstruktur zur Verfügung gestellt hat, um überhaupt ein Album produzieren zu können. Wobei, das erste Album habe ich komplett alleine finanziert.
JMC: Deine aktuelle Platte ist bei Sony, bzw. Columbia herausgekommen. Hat sich für Dich jetzt irgendwas geändert, seit du auf einem Majorlabel bist?
JF: Was meinst du konkret?
JMC: Ob Du andere PR-Arbeit machen musst als vorher? Ob Du Dich irgendwie verbiegen musstest?
JF: Nein, überhaupt nicht. Das war auch ein Grund, weshalb ich auf eure Plattenkritik geantwortet hab. Ich bin zwar bei einem Major, aber ich bin mit 41 ja kein Newcomer mehr. Ich erarbeite mir das Business gefühlt jetzt seit mehr als 10 Jahren. Und die haben sich da überhaupt nicht eingemischt. Also fast gar nicht. Sie haben mir Responds gegeben. Im Grunde lief es darauf hinaus, dass sie mir die Kohle für ein Album gegeben haben. Ich hab das Budget selbst verwaltet. Ich hab die Musiker gebucht – in Zusammenarbeit mit meinem Produzenten. Ich musste mich musikalisch überhaupt nicht verbiegen. Ganz im Gegenteil. PR-mäßig profitiere ich eigentlich nur davon, weil sie ein größeres Netzwerk haben. Ich hatte früher keine Radio-Promo, keine TV-Promo. Jetzte kann ich ein wenig auf mich aufmerksam machen. Und dann werden eben auch so Leute wie Ihr auf mich aufmerksam, die sich auch sehr kritisch damit auseinander setzen, was aber auch okay ist.
JMC: Seit dem Böhmermann Beitrag „Menschen Leben Tanzen Welt“, gibt es eine Debatte über sogenannte Industriemusik. Gibt es deiner Meinung nach Industriemusik in Deutschland? Jetzt mal von Castingshows abgesehen.
JF:Ich glaube schon, dass es das gibt, aber das ich mit meinen 41 Jahren dafür ein total falsches Beispiel bin, auch weil die Plattenfirma mit keine Vorgaben gemacht hat. Die haben mir kein Konzept geschrieben, beispielsweise für die Songs, die ich für das Album geschrieben habe… Jetzt beim dritten Album hatte ich Co-Writing Sessions, natürlich. Aber die sind auch alle aus meiner Initiative heraus entstanden. Da war kein Label dahinter.
JMC: Würdest Du in deinen Videos Schleichwerbung zulassen?
JF: Ich weiß es nicht. Wenn es zu mir passen würde, als Typ, würde ich es wahrscheinlich schon machen. Ich laufe zum Beispiel sehr ambitioniert.Wenn jetzt so eine Marke wie _________ auf mich zukommen würde, und ich mach irgendwie ein Abenteuervideo, bei dem ich durch den Wald laufe und die stellen mir die Schuhe zur Verfügung, dann würde ich das auch machen. Finde ich auch überhaupt nicht verwerflich. Die ganzen HipHop Videos strotzen vor Crossmarketing. Alles gesponsert im HipHop. Also nicht verwerflich. Ich fand nur, dass es bei Glasperlenspiel echt weh getan hat, wie es dort inszeniert wurde.
JMC: Ich habe in meiner Plattenkritik auch bemängelt, dass auf deiner neuen Platte, viel deutlicher und häufiger als auf den ersten beiden Alben, Floskeln oder allgemeine Redewendungen verwendet werden, wie „Tanz auf dem Seil“, „kein doppelter Boden“, „kein Fangnetz“, “Ass im Ärmel“, „Leben ist langsam, Leben ist schnell“, „Federn gelassen und endlich fliegen gelernt“. In unserem Teaser auf Facebook haben wir geschrieben: “Es wird schon wieder auf dem Seil getanzt. Wieso nicht mal besoffen in der Indiedisko?“ Was mir meinten: Wird da nur Lautmalerei betrieben? Warum nichts Persönliches?
JF: Gut dass du das erwähnst. Zum Beispiel das mit „Besoffen aus der Indiedisko“.
JMC: Ist nicht so Dein Lifestyle? Hast Du ja eben mit dem Laufen angedeutet.
JF: Genau.
JMC: War nur ein Beispiel.
JF: Ja, klar. Aber weisst Du, ich bin 41. Ich hab eine Familie und ich hab zwei Kinder. Songs zu schreiben, wie ich besoffen aus der Disko falle, passt überhaupt nicht zu meinem Leben. Es ist nicht meine Lebensrealität. Meine Lebensrealität ist die, dass ich mit 40 Jahren da stehe und in den Spiegel schaue und mich frage, lauf ich einem Traum hinterher mit der Musik oder ist es nur eine Illusion. Und das wollte ich in dem Song „Leben ist leben“ mit diesen Unterschieden, Gegensätzen deutlich machen. Und die Inspiration dafür kommt von Max Frisch. „Alles ist besser als ein Leben, das nicht gelebt ist.“ (Anmerkung der Redaktion: aus „Max Frisch – Antwort aus der Stille: Eine Erzählung aus den Bergen“). Und dann muss ich sagen, dann scheiß ich drauf, ob ein Böhmermann die Vokabeln irgendwie als Klischee empfindet. Das ist mir dann wirklich egal, weil ich wirklich Max Frisch mag, wie er schreibt und hab versucht um diese Zeile herum, diese Story zu stricken, in der es darum geht, verfolge ich meine Träume weiter oder gebe ich sie einfach auf. Das ist natürlich ein schmaler Grad und es ist natürlich ein Stilmittel mit Redewendungen zu spielen.
JMC: Zum Abschluss noch eine Frage zur Perspektive. Du spielst jetzt hier im Stadtgarten. Das ist schon mal eine ziemlich große Nummer. Darf es in drei Jahren auch das Palladium sein?
JF: Natürlich möchte ich irgendwie die größere oder breitere Masse erreichen. Du brauchst halt eben einen gewissen Erfolg, um den Traum vom Musikmachen weiter fortführen zu können. Ich weiß jetzt, dass in spätestens vier Wochen die Plattenfirma ein Resümee ziehen wird. Und dann ganz klar sagen, ziehen sie jetzt die zweite Option oder eben nicht. Und dann steh ich wieder vor dem Punkt, vor dem ich bei den letzten beiden Alben auch stand und ich mir überlegen muss, kann ich weitermachen oder kann ich nicht weitermachen.
JMC: Danke, dass Du dir die Zeit für uns genommen hast.
PS: Das nächste Konzert spielt Johannes Falk als Support von Laith Al Deen am 22.06 im Kulturgut Eltzhof, Köln.