Live Music Hall, Köln – 27. Mai 2018
Schon während die zu gut zwei Dritteln gefüllte Live Music Hall mit lockerer Sommermusik, wie dem fantastischen „Seems like this“ von AZYMUTH in Stimmung gebracht wird, haben die Veranstalter vorsichtshalber den vorderen Teil der Halle zum Hof geöffnet. Vor einigen Wochen, als es noch deutlich kühler war, ist bereits ein Zuschauer, in der sich manchmal tatsächlich extrem aufheizenden Halle, beim Konzert von Ben Harper und Charlie Musselwhite zusammengebrochen. Das soll sich heute nicht wiederholen. Auf das was die Zuschauer jedoch in den nächsten zweieinhalb Stunden und 7 Songs erwartet, kann aber auch keine kühlere Halle vorbereiten.
Das Konzert der 8-köpfigen Band, bestehend aus dem nicht nur optisch riesigen Tenorsaxophonisten, den zwei(!) Drummern Ronald Bruner, Jr. und Tony Austin, seinem Vater Rickey Washington, dem Tastenmann Brandon Coleman, dem Bassisten Miles Mosley, dem Posaunisten Ryan Porter und der Sängerin Patrice Quinn, muss ohne Zweifel – man kann fragen wen man will – zum unfassbarsten und elektrisierensten Musikereignis des bisherigen Jahres erklären.
Es beginnt mit einer leicht ausufernden Interpretation des Intros vom 2015er Album „The Epic“ – dem Song „Change of the Guard“. Auf dieses folgt der vorletzte Song des Epic-Albums, der Monolog „Malcom‘s Thing“ zum Tode des Bürgerrechtlers Malcom X- ein Cover des Trompeters und Komponisten Terence Blanchard. Die Schreie von Patricia Quinn zum Ende des Songs sind wirklich markerschütternd und beschreiben eine unendliche Ohnmacht. Es bleibt aber nicht bei Verzweiflung. Im neuen Stück „Fists of Fury“ – ein bereits ausgekoppelter Vorbote des bald erscheinenden neuen Albums „Heaven and Earth“- heißt es „Our time as victims is over. We will no longer ask for justice…“ Das ist eine mehr als berechtigte Kampfansage gegen Rassismus und Unterdrückung. Später wird Kamasi noch den ebenfalls wunderbaren Satz sagen: „Diversity is not something we should tolerate, but celebrate.“ Es gibt aber auch Momente die vollkommen unpolitisch sind und in denen einfach nur gezeigt wird, was man so drauf hat – zum Beispiel in Form eines explosiven Schlagzeug-Duells namens „Bobby And Tony’s Day Off“. Der Track „Truth“, mit seiner unfassbaren Anlage aus 5 verschiedenen Melodien die zusammen fließen – von der EP „Harmony of Difference“ – hat auch ohne Chor in der Livevariante eine unglaubliche Power. Zusätzlich gibt es noch ein Cover von „Giant Feelings“- einem Song des anwesenden Keyboarders Brandon Coleman – Kamasis Lieblingslied. Die Musiker seiner Kombo THE NEXT STEP spielen teilweise schon seit Kindestagen zusammen. Das merkt man. Ein weiteres Stück der neuen Platte – ein etwas anderes Wiegenlied – „The Space Travelers Lullaby“ überzeugt ebenfalls, bevor das eben erwähnte „Fists of Fury“ wirklich sämtliche Kinnladen in der Halle herunterfallen lässt. Dann gibt es noch ein kurzes Encore. Was man da gerade erlebt, gesehen, gehört und gefühlt hat wird erst in den nächsten Tagen so wirklich klar – aber ebenfalls wie bereits eben erwähnt – eigentlich auch immer noch nicht.