Berlin am 1. Juni 2018
Wenn Thom Yorke ruft, kommen die Musikbegeisterten meist in Scharen und so dauerte es auch Anfang März gerade mal 15 Minuten bis alle 12 Konzerte der 2018er Solo Tour ausverkauft waren. Der JMC Chef weiß es erst mit Erscheinen dieses Artikels und erschrickt dann wohl nochmal bei der Durchsicht der Kreditkartenabrechnung, denn ich bin schnell mal auf Magazinkosten Freitags für eine Stippvisite nach Berlin aufgebrochen. Denn auch ich werde hörig, wenn der Radiohead Frontmann ruft.
Mit seinen beiden Soloalben THE ERASER und TOMORROW´S MODERN BOXES schlug Yorke schon 2006 und dann 2014 eine sehr viel experimentellere und elektronischere Richtung ein. Vieles davon findet sich zwar auch auf den Radiohead Alben dieser Zeitspanne wieder, doch immer – im Positiven – gedeckelt und zusammengehalten vom Zwang des Bandgefüges. Gleiches gilt auch für die kurzzeitig aus dem Boden gestampfte Supergroup Atoms for Peace. Am heutigen Abend waren es musikalisch aber nur Thom Yorke und sein guter Kumpel und Radiohead Produzent Nigel Godrich, die das Berliner Tempodrom, neben dem eh schon schwülen Wetter, Richtung Siedepunkt aufheizten. Und diese kleine Besetzung bot sehr viel Raum und Freiheiten für Improvisationen und detailverliebte Spielarten, ohne den Eingangs erwähnten „Banddeckel“. Dritter im Bunde war Tarik Barri, seines Zeichens „audiovisueller Komponist und Computerprogrammierer.
Nachdem man die recht lange Einlassschlange und die etwas nervigen Sicherheitskontrollen hinter sich gelassen hatte, öffnete sich das Tempodrom zu einer sehr beeindruckenden Location. Das Konzert selber begann eher leise mit den ersten Tönen von „Interference“ am E-Piano und der Bühnenhintergrund bekam mittig einen gleißend hell, wabernden Riss aus Licht, der sich immer weiter über die fünf Elemente der Rückwand vergrößerte. Und schon war sie da, diese magische Verbindung aus Musik und Bildern, die den ganzen Abend nicht mehr aufhören sollte. Mit den folgenden Stücken versetzten die Drei das Publikum dann auf einen Clubdanceflor. Mit Drum & Bass, Dub und Breakbeats legte Godrich den Boden, über den Yorke seine Stimm-, Gitarren-, Percussion- und andere Samples ausbreitete, variierte und zu einem Ganzen verband, das man so druckvoll, so innovativ selten zu hören bekommt. Dazu lieferte Barri die perfekte optische Untermalung – mal PopArt, mal Kandinsky, dann wieder ein Fluss aus nebliger Tinte immer passend zur Musik. Unterwegs zwischen Reglern, Instrumenten, Publikum und Bühne tanzte und hüpfte sich Yorke von rechts nach links und wieder zurück, nicht ohne sich dabei auch noch kurz mit Godrich auszutauschen und die Klangwelten der momentanen Stimmung anzupassen. So leicht, so lässig und so frei, wie das wohl nur in dieser Vertrautheit möglich ist.
Nach gut zwei Stunden war dann Schluss. Doch es dauerte nicht lange und die Drei standen in den gleichen, klatschnass geschwitzten T-Shirts sichtlich gerührt wieder auf der Bühne und nahmen den geknüpften Faden genau dort wieder auf, wo sie ihn hatten liegen lassen. Was auf Platte immer ansatzweise kühl und durchproduziert klingt, bekam hier Leben eingehaucht und wurde organisch. Nach drei weiteren Songs war dann wieder Schluss. Aber Yorke wäre nicht Yorke, hätte er nicht noch ein Lied für den Weg in Peto. Und so spielte er den einzigen Radiohead Song des Abends. Irgendwie hatte es seine ganz eigene Ironie, dass es mit „Spectre“ ein Track war, der seinerzeit als Bond-Song geschrieben, dann aber von den Produzenten abgelehnt wurde. Wahrscheinlich war denen damals schon klar, das der viel zu gut ist für einen Bond. Und so endete der Konzertabend, wie er begonnen hatte, mit einem der kreativsten Künstler der Zeit alleine am Piano.