Mit dem Satz “Alles ist so egal, solange das Gefühl stimmt, solange es dich mitnimmt” beginnt das zweite Album der Band Lygo aus Bonn. Dabei ist Lygo so gar nichts egal und ihren Zuhörern lassen sie schon mal gar keine Wahl, als hinzuhören.
Musikalisch drängen sich bei Lygo doch immer Vergleiche mit Größen des Genres wie Turbostaat oder Pascow auf. Nach ihrem ersten Album STURZFLUG 2014 und der EP MISERE 2016 fühlt sich SCHWERKRAFT aber vor allen Dingen einfach vertraut an. Musikalisch entwickeln sich Lygo nämlich nicht unbedingt weiter, dafür festigen sie ihren eigenen Sound. Charakteristisch für diesen sind vor allem die zwei Stimmen von Simon Meier (Gitarre) und Jan Heidebrecht (Bass), die im Wechsel Textzeilen voll Intensität schreien. Hinzu kommt eine Dringlichkeit, die sich immer weiter steigert bis man meint: Gleich muss irgendetwas explodieren. Doch dieser Moment – der Ausbruch – kommt nicht. Lygo halten sich dann doch wieder unter Kontrolle.
In “Nervenbündel” zum Beispiel, der eben an dem Punkt, an dem die Energie sich eigentlich irgendwie entladen müsste, einfach endet. Das kann beim Hören sehr unbefriedigend sein. Gleichzeitig drücken Lygo so aber auch das Ohnmachtsgefühl im Angesicht von den Selbstzweifeln aus, die sie besingen. Oder aber hinsichtlich Menschen, die einfach nicht zuhören wollen und sich hinter festgefahrenen Meinungen und Weltbindern verschanzen. So wie in “Vergessen” – einer der vielleicht stärksten Songs der Platte – : “Jeder hat seine Weise vor sich und der Vergangenheit zu fliehen.”.
Im letzten Track “Flughafen” greifen Lygo dann die Zeile aus dem Intro wieder auf: “Alles ist egal, solange das Gefühl stimmt, solange es dich mitnimmt”. Allerdings erweitern sie diese um ein paar Worte, die nach den vorangegangenen eindringlichen Songs einen besonders bitteren Beigeschmack haben: “Ist die Geschichte ganz egal”. Dabei bleibt die Frage, welche Geschichte denn nun gemeint ist: Jene, die eine ganze Generation versucht wegzuschweigen (“Vergessen”)? Oder solche, hinter denen man so wunderbar versuchen kann, seine lähmenden Selbstzweifel zu verstecken?
So scheint jeder auf seine Weise zu versuchen, der Schwere zu entkommen – sei es die, die eine schreckliche Vergangenheit in einem ganzen Land zurücklässt („Vergessen“), schwierige Themen wie die Gründe hinter Sexismus, Homophobie, Rassismus usw. (“Gründe”) oder eine, die die eigenen Gedanken verursachen können („Nervenbündel“). Lygo geben sich trotzdem genau dieser „Schwerkraft“ hin und drücken den Finger fest in die Wunde. Denn eigentlich ist nichts egal.
VÖ: 07. September 2018, Kidnap Music, http://lygoband.tumblr.com/info
Ohr d’Oeuvre: Gründe/ Vergessen/ Flughafen
Gesamteindruck: 8,0/10
Tracklist: Alles ist egal/ Festgefahren/ Lippen blau/ Lautlos/ Gründe/ Fiebertraum/ Schraubzwinge/ Vergessen/ Keine Leichtigkeit/ Nervenbündel/ Rausch – Zwang/ Flughafen