Wir haben Felix Schönfuss und Roman Hartmann von Adam Angst zum Interview getroffen, um über das neue Album NEINTOLOGY zu sprechen. Dabei ging es um beschissene Albumcover, Depressionen, Gender, Punkrock-Diktatortum und Autotune:
Zuerst mal die vielleicht offensichtlichste Frage: Warum hat das zweite Album jetzt mit Adam Angst geklappt?
Felix: Das ist eigentlich eine ungewöhnliche Frage, sonst heißt es immer: Warum hat das [Anm. d. Red. zweite Album] so lange gedauert? Aber warum es geklappt hat…. Dahin war es ehrlich gesagt ein etwas steiniger Weg. Eine Zeit lang haben wir sehr sehr viele Konzerte gespielt und kamen überhaupt nicht dazu, mal Luft zu holen. Ich bin dann in ein persönliches Loch gefallen und hatte erstmal gar keinen Bock mehr auf Musik. Die habe ich dann auch nicht gemacht. Es war dann sehr schwierig für mich, wieder reinzufinden. Und da das erste Album thematisch ja ein ziemlicher Rundumschlag, war es auch nicht leicht, neue Themen zu finden. Man will sich ja nicht ständig wiederholen und ein Abklatsch von sich selbst zu werden. Das alles hat dann eben dazu geführt, dass es so lange gedauert hat. Aber es war immer klar, dass wir ein zweites Album machen – egal wie lange es dauert. Zum Glück hat uns da auch niemand Druck gemacht, wir selbst eingeschlossen. Letztendlich lag es dann auch daran, dass das ganze Projekt so eine Größe erreicht hat. Wäre es jetzt dabei geblieben, dass es nach wie vor mein Soloprojekt wäre, hätte ich wahrscheinlich gesagt: „Ach, wir machen jetzt wieder irgendwas anderes!” Aber wir sind eben zu einer Band zusammen gewachsen, und sind Freunde geworden und da stellte sich die Frage [Anm. d. Red. nach einem zweiten Album] nicht mehr.
Das erste Album stand ja größtenteils schon als die restliche Band mit ins Boot kam. Wie hat es sich jetzt angefühlt, tatsächlich als Band ein Album zu schreiben?
Roman: Es war spannend für uns alle. Wir hatten alle vier Bock drauf, ein neues Album zu machen. Wir alle wollten Felix auch aus diesem Loch rausbekommen und haben zu ihm gesagt: „Guck mal, wie weit wir gekommen sind!” Es war nie so, dass wir einfach gewartet hätten, bis Felix was sagt, sondern wir wollten das als Band schaffen. Natürlich war uns allen klar, dass wenn Felix sagt, er hat keinen Bock mehr, es wohl nicht so erfolgreich würde, was wir dann ohne ihn versuchen, unter dem Namen Adam Angst zu produzieren. Aber am Ende war das Spannendste an der Arbeit, dass wir alle wirklich motiviert waren und jeder seinen Senf und seinen Input dazu gegeben hat. Was offensichtlich ja auch gefruchtet hat.
Felix: Es war musikalisch aufjedenfall auch eine Umstellung. Wenn man vorher halt alle Songs schön zuhause komplett fertig gemacht hat und dann gab es im Studio eben nur noch Menschen, die das alles dann so umsetzen, ist das natürlich easy. Diesmal war es zum einen definitiv schwieriger, weil natürlich alle ihren Senf dazu geben und alle vier irgendwelche Demos rumgeschickt haben und Songs geschrieben haben. Wir mussten aber natürlich gucken, dass wir trotzdem noch unseren musikalischen Nenner finden. Es ist immer noch so geblieben, dass ich federführend die Songs geschrieben habe aber jeder hat dann seinen eigenen Part einfach nochmal komplett verändert. Es gibt auch zwei Songs, die David instrumental komplett zum Album beigesteuert hat, da hatte ich gar nichts mit zu tun, außer die Texte zu schreiben.
Welche waren das?
Felix: Das waren „D.I.N.N.” und „Kriegsgebiet”.
War es schwierig für dich Felix das Songwriting so ein Stück weit aus der Hand zu geben?
Felix: Ja, da musste ich anfangs schon etwas mit mir kämpfen, aber es ging dann doch relativ schnell, dass ich ganz froh war, dass sich die Anderen jetzt auch um gewisse Dinge kümmern konnten. Ich hatte einfach nicht die Motivation und die Kraft, dass alles wieder allein zu stemmen. Natürlich war es dennoch schwierig, weil zu viele Köche verderben auch den Brei. Und wir sind alle sehr unterschiedlich musikalisch sozialisiert. Hätten wir uns einfach im Proberaum zum Jammen getroffen, da wäre nur Scheiße bei rumgekommen, das hätte nicht funktioniert. Unseren musikalischen roten Faden wollten wir also aufjedenfall behalten, deshalb mussten manchmal einige Ideen dann eben verworfen werden. Man muss ja nicht eine Idee durchdrücken, nur weil es die eigene ist – da muss man dann auch mal zurückstecken, wenn es nicht zur Band passt.
Roman: Das ist natürlich auch erstmal ein Lernprozess, damit klarzukommen, wenn Jemand sagt: „Ich find’s scheiße, was du da gerade gemacht hast!”. Aber auch damit konnten sich alle irgendwann arrangieren, weil man sah, dass es trotzdem immer weiter gewachsen ist. Felix war bei alldem natürlich federführend, wie er das selber sagt. Er ist auch ein unfassbar guter Songwriter, sowohl musikalisch wie auch textlich – keine Frage. Er ist auch immer noch der „Chef” dieser Band, auch wenn er das Wort nicht gerne benutzt. Er hat diese Band eben gegründet, vorher kannten wir uns alle untereinander gar nicht und hat sich zu Beginn erstmal nach so erzwungenen Freundschaften angefühlt. Aber das hat sich eben zu richtigen Freundschaften entwickelt. Und unseren musikalischen Nenner haben wir alle ziemlich schnell gefunden. Jeder weiß, wohin es geht und es dich nicht weit bringen wird, mit nem Black Metal-Song um die Ecke zu kommen.
Felix: Charakterlich mussten wir uns auch aufjedenfall erstmal alle aufeinander einstellen. Es gibt halt die Leute, die sensibler sind und es gibt solche, die einfach sagen, wo es lang gehen soll. David ist zum Beispiel so ein Typ, der will Ergebnisse sehen und kann schonmal sehr deutlich werden, wenn etwas nicht so ergebnisführend ist. Damit kann eben auch nicht jeder umgehen.
„wir haben versucht, das beschissenste Albumcover der Welt zu machen!“
Für viele warst oder bist ja quasi nur du Adam Angst, Felix. Auf dem Albumcover von Neintology ist jetzt ein Bild von euch als ganze Band zu sehen – mit Absicht?
Felix: Ja, das ist aufjedenfall mit Absicht passiert. Hätten wir irgendein anderes Albumcover gewählt, wären wir wahrscheinlich bis heute nicht fertig. Diese Idee kam uns einfach kurzfristig und wir fanden sie direkt super. Natürlich werden es trotzdem nicht alle verstehen, ich werde nunmal immer irgendwie als eine Art Gallionsfigur gesehen, aber wir wollten mit dem Cover zumindest schonmal den Grundstein legen für alles was noch kommt und eben zeigen, dass wir eine Band sind. Naja, und dann haben wir eben einfach versucht, das beschissenste Albumcover der Welt zu machen!
Trotzdem stehst du ja wie ein Priester vor den anderen, die eher wirken wie deine Jünger. Warum?
Felix: Naja, wenn man sich mal den umgekehrten Fall vorstellt und ich ganz hinten stehen würde, dann wäre das auch ein komisches Bild und man hätte sich noch viel mehr gefragt: „Was wollen die uns denn jetzt damit sagen?”
Roman: Dass Felix ein andersfarbiges Hemd trägt als wir anderen, ist auch eher durch Zufall am Tag des Shootings selber entstanden. Dahinter steht aufkeinenfall die Intention, dass er sich unbedingt von der Band abheben muss, damit alle wissen, dass er im Fokus steht.
Felix: Wir spielen ja eben auch mit diesem Hierarchie-Gedanken: Es gibt einen Leader und alle folgen. Da war das einfach stimmig.
Wir sind eine „Lebensverneinende Band”
Wie der Name Neintology ja schon andeutet, sagt ihr auf dem Album eigentlich von vorn bis hinten nur Nein – da kommt ja kaum jemand ungeschoren weg. Seht ihr die Dinge wirklich so unabänderlich oder ist das vielleicht mehr ein Nein bei alldem mitzumachen gerade damit sich etwas ändert?
Felix: Also, ich würde niemals so weit gehen zu sagen, dass etwas komplett verloren ist. So sind wir nicht und das wollen wir auch nicht ausdrücken. Zum einen ist „Neintology” einfach der Name der gewinnen hat in der großen Liste, die wir gemacht haben. Aber zum anderen passt das „Nein” einfach zu uns, weil wir natürlich eine ablehnende Haltung haben. Wir sind einfach keine „lebensbejahende Band”, wir sind eine „Lebensverneinende Band”. Ich weiß nicht, ob wir jemals einen komplett positiven Song schreiben werden. Und wenn doch, würde er dann wahrscheinlich doch in etwas Schlimmen enden. Ich kann textlich einfach nicht anders, deshalb ist das Wort „Nein” für mich ein sehr wichtiges Wort.
Ich habe das Gefühl, dass ihr auf Neintology nicht nur textlich sehr ironisch seit, wie ja schon auf dem Ersten, sondern dass auch instrumental viele sozusagen ironische Elemente dabei sind, wie in Blase aus Beton diese Karnevalsmäßige Melodie, die für mich irgendwie diese Stimmung widerzuspiegeln scheint, sich einfach abzuschotten von allem Negativem, zum Beispiel durch Feiern und zu viel Alkohol.
Felix: Ja. Ich habe bei „Blase aus Beton” vor allem an Social Media gedacht, wo jeder sich quasi seine eigene Welt schaffen kann in die er nichts mehr reinlassen muss. Was natürlich auch sehr interessant ist, denn wenn man jeden ausschließt und entfriended dessen Posts man nicht sehen will, dann sieht man eben irgendwann auch nur noch das was man sehen will. Wenn du jetzt zum Beispiel jemanden entfriendest, weil er rechte Tendenzen zeigt, dann bekommst du von solchen Entwicklungen in deinem Umfeld eben auch nichts mehr mit. So sind wir alle irgendwo schuldig an dieser Art der Abschottung. Jeder baut sich irgendwo seine eigene Blase auf. Ich finde es auch interessant mal 20 Jahre weiterzudenken: Was wird dann aus unserer Gesellschaft geworden sein, wenn nur noch die Informationen zu uns durchkommen, die wir wollen? Jemand der rechts eingestellt ist, wird dann irgendwann nur noch von anderen Gleichgesinnten umgeben sein und nur noch auf rechten Seiten unterwegs sein und ein völlig krudes Weltbild bekommen, woran man einfach nichts mehr ändern kann.
Roman: Ich bin, glaube ich, der Einzige Karnevalist ist der Band. Ich kann zwar total verstehen, was du damit meinst. Für mich ist Karneval aber auch eben nicht, mir auf der Zülpicher Straße die Birne wegsaufen bis ich kotzen muss und in einem bescheuerten Kostüm rumlatschen. Aber klar, das hat auch viel damit zu tun, sich mit nichts beschäftigen zu wollen, nicht nachdenken müssen und sich eine Meinung bilden müssen und mit Leuten darüber diskutieren. Stattdessen schottest du dich ab und kriegst keinen Gegenwind mehr. Wir in der Band werden dagegen bis zum letzten Atemzug immer gegen Rassismus, gegen Faschismus sein und dafür Sorgen, dass es Gegenwind von unserer Seite aus gibt. Wenn man das jetzt auf den Social Media-Kontext bezieht, sind wir die nervige Werbung. Und wenn der rechte Idiot oder die rechte Idiotin die blocken will, sind wir trotzdem noch der kleine Bug, der ihnen auf den Sack geht, damit sie sich Gedanken machen.
Vorhin habe ich nochmal „Splitter von Granaten” gehört, wo es zum Beispiel noch heißt „Obama ist noch da”, jetzt ist Trump da…
Felix: Nicht unbedingt eine Verbesserung… Es ist schon interessant, wie sich alles so entwickelt hat. Wenn ich mal alle Punkte durchgehen würde, würde ich, glaube ich, überhaupt gar keine Verbesserung feststellen. Eigentlich nur Verschlechterung. In Bezug auf das rechte Gedankengut in Deutschland ist es sehr sehr viel schlimmer geworden! Trump und Obama, klar… Ich fand Obama auch nicht geil, aber ich will mich jetzt auch nicht auf dieses Trump-Bashing versteifen. Bei uns gibt es genug vor der eigenen Haustür zu kehren.
Es kommt mir auch so vor, als wäre die Figur Adam Angst auf „Neintology” nochmal sehr viel wütender und auch aggressiver geworden.
Felix: Das sagen so viele, aber wir selber empfinden es gar nicht so! Das ist ganz komisch, eigentlich habe ich gedacht, dass ich textlich etwas breiter werden, aber viele sagen, dass ich sehr viel direkter geworden bin. Was mich wirklich wundert, aber ich würde das trotzdem nie verneinen. Vielleicht ist es wirklich so und ich habe es einfach nicht gemerkt.
Zum Beispiel wenn man „Professoren” mit „D.I.N.N.” vergleicht – da ist dieser lustige, ironische Ton ja schon einem eher düsteren und direkten Ton gewichen.
Felix: Ja, die Stimmung ist irgendwie düsterer. Das war auch die Stimmung, in der ich zu dem Zeitpunkt war, die kommt wahrscheinlich einfach durch. Wobei ich das selber nicht gedacht hätte. Bei Songs wie „Immer Noch”, wo ein Ufo landet, oder „Alexa”, die die Weltherrschaft übernimmt oder so ein Schwachsinn, da hätte ich eher gedacht, dass das alles etwas auflockert. Aber die Menschen scheinen das anders wahrzunehmen.
Roman: Was ich mir auch gut vorstellen kann ist einfach, dass wir das Album schon viel länger als alle anderen kennen. Vielleicht sind wir etwas betriebsblind geworden. Vielleicht kämen uns die Songs auch anders vor, wenn wir jetzt die ganze Platte präsentiert kriegen würden und sie von vorn bis hinten durchhören müssten. Aber uns wurde schon in vielen Interviews gesagt, dass die zweite Platte düsterer und direkter sei. Wir sind aber der Meinung, dass die erste Platte insgesamt mehr knallt.
Felix: Aber natürlich kommt die deprimierendere Stimmung auf der zweiten Platte durch und zum anderen liegt der Eindruck, den viele haben, wahrscheinlich auch an dem härteren Bandsound. Auf „Neintology” kommen die Gitarren natürlich auch viel stärker durch. Das erste Album war ja noch eher zackig abgemischt, sogar etwas poppig. Ich denke, der Eindruck liegt einfach daran. Ein wenig, wie bei My Chemical Romance nur rückwärts.
„Depressionen sind eine selbstgemachte Krankheit der Gesellschaft“
Zwischen all den sehr kritischen und harten Songs sticht einer sehr hervor: “Damit ich schlafen kann”. Im Gegensatz zu den anderen wirkt er beinah irgendwie zerbrechlich. Ist das Thema Depression ein besonders wichtiges für dich?
Felix: Also, ich singe in dem Lied nicht direkt über mich selbst, sondern um die Krankheit der Depression. Ich habe in meinem eigenen Umfeld Menschen, die daran erkrankt sind und habe versucht, mit ihrer Hilfe versucht, das Gefühl etwas darzustellen. Ich würde mir nie anmaßen, zu sagen, dass ich es richtig getroffen habe, aber hoffe es. Ich kann aber zumindest nachvollziehen, dass sich Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, sich in einem ziemlichen Dilemma befinden, weil die Krankheit gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Das ist immer das große Problem: sie werden nicht ernst genommen! Deshalb müssen wir alle versuchen, diese Krankheit zu akzeptieren. Nur weil sie nicht greifbar ist und keine typischen Symptome hat, die man mit Tabletten bekämpfen kann, müssen wir trotzdem versuchen, mit der Forschung weiterzumachen und dagegen anzukämpfen. In dem Song geht es einfach darum, bestimmte Alltagssituationen darzustellen, wie man sie mit Depressionen erleben kann. In der ersten Strophe geht es zum Beispiel um eine Party, auf der man auf viele Menschen trifft, die ständig davon erzählen, wie geil alles ist, während man selbst sich nur noch überlastet fühlt und das alles eigentlich gar nicht hören will.
Oder der typische Spruch: „Jaja, ich hatte auch mal Burnout, ich weiß, wie das ist. Du musst dich nur zusammenreißen!”
Roman: Ja genau, das ist auch wieder eine Blase, die man sich da aufbaut. Blase auf, jaja ich hatte auch mal Burnout, Blase zu – jetzt hab ich mich mit dem Thema beschäftigt. Das ist genau das Problem. Man muss darüber reden, ganz viel darüber reden, und die Problematik publik machen, damit die Menschen Depressionen als Krankheit akzeptieren und sie eben nicht nur runterreden und nicht einfach sagen: „Ach komm, mach einfach! Du stellst dich nur an!”
Felix: Aber ich kann natürlich verstehen, dass die Menschen, die daran etwas ändern könnten – ob das jetzt das Gesundheitsministerium ist, oder die Forschung – ein Interesse daran haben, das gerade nicht zu tun. Die haben einfach Angst, damit eine Büchse der Pandora zu öffnen und alle sich dann nur noch krankmelden. Ich glaube, Depressionen sind eine selbstgemachte Krankheit der Gesellschaft und wir sind in der Pflicht, das auch wieder gerade zu biegen.
Was meinst du damit, dass Depressionen eine selbstgemachte Krankheit der Gesellschaft ist?
Felix: Ich glaube, dass Depressionen aus vielen verschiedenen Einflüssen entstanden sind: dem Stress, der Überarbeitung, den vielen Eindrücken, die sozialen Medien, der Leistungsdruck. Es sind ganz viele Dinge, die dazu führen. Problematisch ist auch dieses Vorleben im Internet, wie man zu sein hat und wenn man eben nicht so ist, weiß man nicht, wohin mit sich. Dem müssen wir auf die Spur kommen!
„Vielleicht wird es irgendwann möglich sein, dass es keine Geschlechter mehr gibt.“
Um Ähnliches geht es ja auch in „Alphatier”. Dort geht es mit der Genderfrage ja auch wieder um dieses Phänomen, dass die Gesellschaft einfach nicht hinguckt, es gibt eben Schwarz und Weiß, Frau und Mann. Alles Andere, was eben nicht in diese Schubladen passt, existiert dann einfach nicht.
Roman: Genau. Es wird sich immer gegen Neues verschlossen, dann werden so Dinge gesagt wie: „Du musst ja jetzt nur wieder besonders sein, weil du nach Aufmerksamkeit schreist.” und all so ein Quatsch, den Leute sich ausdenken, um sich nicht mit den Dingen zu beschäftigen.
Felix: Ich finde es sowieso immer nervig, wenn Menschen sich partout dagegen wehren, in die Zukunft zu gucken. Ob das jetzt der Klimawandel ist, ob das Technologie ist, ob das die Anerkennung dessen ist, dass wir sicherlich nicht allein in diesem Universum sind. Alle 10 Jahre kommen wir unglaublich weit und die Schritte werden immer und immer größer. Und trotzdem gibt es immer diese Leute, die dann darauf bestehen: „So wie es jetzt ist, so bleibt das auch!” Das finde ich so hirnrissig! Die Zeit hat doch gezeigt, dass alles immer möglicher wird. Genauso wird es vielleicht irgendwann auch möglich sein, dass es keine Geschlechter mehr gibt. Fertig.
Roman: Was mich dabei auch immer so wütend macht, ist dass die Leute ständig so tun, als würde es ihnen schaden, wenn ein anderer Mensch so ist, wie er gerne sein möchte. Lass doch jedem sein Glück, er tut dir nicht weh, er nimmt dir nichts weg! Du regst dich doch nur darüber auf, weil du sonst nichts besseres zu tun hast!
Oder weil man einfach wieder in seiner Blase bleiben will, um sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen…
Roman: Genau, oder man hat nachher noch Unrecht, weil die Leute immer meinen, sie haben die Weisheit mit Löffeln gefressen.
Felix: Manche Leute wollen sich einfach mit anderen zusammenschließen, um gegen etwas zu sein.
„Frau Potz wurde ermordet für ’ne Boyband mit Tattoos“
Aber es sind ja nicht nur “die Anderen”, die auf’s Korn genommen werden, “Punk” ist da ja etwas anders, da wendet ihr euch ja quasi gegen musikalische Kollegen. Es heißt immer, Punk sei ohne Regeln und man könnte machen, was man will. Aber gleichzeitig gibt es dann doch trotzdem Regeln, wie man auszusehen hat, was man tun und lassen soll usw.
Felix: Genau, das Unsinnige daran wollten wir mit diesem Song zeigen. Es gab sicherlich einige Leute, die sich selbst als Punks bezeichnen und mit dem Finger auf uns zeigten und behaupteten, wir seien keine Punks, weil… Das fand ich immer so irrsinnig, diese Menschen, die ständig sagen, wir wären ja gar keine richtigen Punks, weil wir ja geile Jobs hätten und sowieso nur so tun würden. Erstens wollen wir gar nicht in so eine Punkschublade gesteckt werden, musikalisch arbeiten wir gerade sehr stark darauf hin, nicht mehr in diese Schublade zu gelangen. Punk ist für jeden etwas sehr individuelles – manche klauen Kaugummi aus dem Automaten und andere lehnen Staat und Gesellschaft ab und leben auf der Straße und beide halten sich für Punks. Da finde ich es immer so witzig, wenn Leute auf uns zeigen und sagen, wir sind keine Punks und Regeln aufstellen, wie Punk zu sein hat, Punk definieren und dabei selber nicht merken, dass das überhaupt nicht Punk ist.
Roman: Ich möchte auch gerne die Rechenschaft sehen, warum sie das entscheiden dürfen, was jetzt Punk ist und was nicht. Heißen sie Punk mit Nachnamen und sind deswegen die Punk-Urväter, die das entscheiden dürfen? Was wir auch immer wieder sagen, ist dass wir total happy über diese Punk-Szene sind, denn sie hat uns alle geformt und zu dem gemacht, was wir heute sind. Aber wir haben nie gesagt, dass wir Punkrock machen, wir fühlen uns jetzt aber auch nicht angegriffen, wenn wir als die Punkrockband aus Köln bezeichnet werden. Im Gegenteil, ich freue mich darüber, wenn Leute das so sehen, weil Punkrock für mich auch einfach ein ganz großes Genre ist, das viel kann und viel darf – eben ohne Regeln. Aber ja, da kommen dann Leute, die sagen, es gibt keine Regeln bis auf diese 12 hier… Am Ende des Tages tun wir keinem damit weh, was wir machen. Ich meine, ich mache das selber. Ich gucke mir auch Sachen an, die mir nicht gefallen, um mich darüber aufzuregen, aber ich habe dann nicht das Bedürfnis, das ins Internet zu schreiben, um möglichst viele Likes dafür zu bekommen oder Anerkennung von Leuten, die meine Meinung für richtig halten. Wenn ich was scheiße finde, dann hör ich mir das an und finde es scheiße. Und dann höre ich mir lieber etwas an, was ich mag, weil ich meine Zeit lieber mit Sachen vergeude, die ich cool finde. Ich frage mich auch immer, was die Leute damit bezwecken wollen, alles aufzulisten, was sie an einem Song scheiße finden. Dass die Band sich jetzt ändert? Man kann ja gerne sagen, dass wir keine Punker sind – okay, fair enough, da machen wir einen Haken hinter und sind cool damit. Zu sagen, dass wir scheiße sind? Okay, auch fair enough, machen wir einen Haken hinter. Niemand von uns zwingt jemanden dazu, Adam Angst zu mögen! Ich mag auch kein Autotune oder diese Rap-scheiße, die jetzt gerade aktuell ist. Und trotzdem habe ich nicht das Gefühl, alten Hip-Hop verteidigen verteidigen zu müssen. Können wir Schubladen nicht einfach abschaffen und einfach sagen: „Das ist Musik, die mir gefällt und das ist Musik, die mir nicht gefällt!”
Bei Adam Angst finden mich ja auch nicht alle scheiße, weil ich Karnevalsmusik mag. Und Felix schreibt mir auch nicht jeden Tag, dass ich gar kein echter Karnevalist bin, weil ich nicht jeden Tag mit einer Pappnase rumlaufe.
„In der Musikgeschichte haben einfach schon immer Firmen und Konzerne darüber entschieden, was tatsächlich gehört wird.“
Letzten Freitag auf dem Rockaway habt ihr immer wieder Witze gemacht, dass ihr euch einen Laptop zulegen solltet, um Geld mit der Musik zu verdienen. Beim Rockaway selbst waren 1300 Menschen, am nächsten Tag auf dem Elektro-Festival 5000. Was haltet ihr von den Entwicklungen der Musikwelt hier in Deutschland und überhaupt in den letzten Jahren – also das man überall nur noch Autotune hört und Algorithmen die neuen Hits berechnen?
Felix: Das ist eine schwierige Frage. Grundsätzlich sage ich erstmal: Lass sie das alles tun! Jeder entscheidet selbst, was er gut findet. Und wenn das dann eben so eine Konservenmusik ist, in die häufig nicht besonders viel Effort hineingesteckt wird, dann ist das eben so. Aber gerade mit Autotune kann ich nichts anfangen. Ich finde, dass das so krass eingesetzt wird, dass am Ende jedes Leben in der Musik fehlt. Wenn ich eine Stimme höre, will ich das Gefühl in der Stimme hören. Und das hört man da aber nicht mehr. Ich habe aber auch das Gefühl, dass wir in 20 Jahren hier im CBE auf der nächsten Trash-Party genau zu dieser Musik tanzen und darüber lachen. Am Ende sind es halt doch nur recht billige Effekte. Auch wenn ich natürlich nicht sagen will, dass die musikalisch gar keine Ahnung haben, natürlich machen sie sich auch ihre Gedanken. Das einzige, was ich schwierig an der Sache finde, ist, wie das alle promotet wird. Ich habe immer das Gefühl, dass das alles über einen Kanal läuft. In der Musikgeschichte haben einfach schon immer Firmen und Konzerne darüber entschieden, was tatsächlich gehört wird. Und das finde ich schade. Ich hatte eigentlich gedacht, dass durch das Internet jeder die Chance bekommt, gehört zu werden.
Roman: Ich würde mir ja selber widersprechen, natürlich soll jeder das hören, was ihm gefällt. Aber der Hip-Hop, der aktuell gehört wird mit krass homophoben Texten und Ideologien und sexistischen Texten füllt so riesige Hallen – das finden wir alle scheiße! Ich frage mich auch immer, warum es das braucht. Inhaltlich geht es einfach ständig nur darum, was sie so für tolle Marken tragen. Mehr als kleiden tut dich dein Gucci-Shirt aber halt auch nicht und eine bessere Qualität als irgendein in Bangladesh produzierte Kram hat es auch nicht. Und dazu kommt eben noch diese ganze homophobe und sexistische Scheiße, die auch noch von allen mitgerappt wird. Du siehst dann junge Leute, die sowas einfach mitrappen und akzeptieren. Ich frage mich, warum man seine Bühne nicht für etwas positives nutzen kann. Warum muss man jungen Leuten beibringen, Schwuchtel als Beleidigung zu verstehen anstatt sie über solche Themen aufzuklären, damit jeder glücklich sein kann, wie er ist. Aber stattdessen kriegt diese ganze Scheiße eine riesengroße Plattform!
Felix: Das alles kann einfach nichts Gutes bewirken und man braucht in dem Zusammenhang auch gar nicht über Zensur zu sprechen. Die Menschen, die diese Art der Musik machen, müssen es verstehen. Die werden doch auch älter und haben Familie, das ist einfach so bescheuert. Was ich auch wirklich schlimm finde ist, dass es auch viele Mädchen und Frauen gibt, die das alles unterstützen und es anscheinend geil finden, sich in einer solchen Rolle zu sehen.
Roman: Es macht einen sauer, dass zu sehen. Aber am Ende können wir eben auch nur unsere Bühne nutzen, um Menschen einen neuen Denkanstoß zu geben und zu sagen: Komm mal raus aus deine Blase und denk drüber nach!