Beinahe befinde ich mich in den Generalproben der Stunksitzung. Aus irgendeinem Grund hatte ich als Konzert-Location das E-Werk abgespeichert. Freundlicherweise macht mich die sehr nette Sicherheitsdame darauf aufmerksam, dass ich leider auf die andere Seite der Straße muss. Vielleicht eine methaphorische Aussage!?
Pünktlich um 20 Uhr betritt ein Künstler des geschätzten Domino-Labels die Bühne. (Sandy) Alex G hat wahrscheinlich Fotos vom Domino-A&R-Manager in der Schublade, die diesen beim Geschlechtsverkehr mit minderjährigen Hamstern zeigen. Anders ist das Signing nicht zu erklären. Ganz so schlimm ist es jetzt auch nicht. Kategorie belanglos. Nach einer halben Stunde ist auch schon Schluss.
Ebenfalls pünktlich um 21 Uhr geht es dann mit dem Hauptact los. Ich muss zugeben: ihr Konzert vor drei Jahren in der Live Music Hall habe ich (als voll zahlende Privatperson) vorzeitig verlassen. Ihre Headliner Show beim 2015er Haldern-Pop wurde vom Regen weggespült. Also ganz unvoreingenommen bin ich nicht. Der Applaus zum ersten Song ist respektabel aber noch ausbaufähig. Die Vorabsingle „Holding On“ aus dem Vorjahres-Album „A Deeper Understanding“ ist eine gute Wahl für den Konzertbeginn. Bei dem Beziehungsdrama sitzt bereits jeder Ton. Der Sound in dieser wirklich total blöden Veranstaltungshalle ist ebenfalls direkt von Anfang an über jeden Zweifel erhaben.
Blöd ist sie wirklich! Wenn man die Fläche, die das Palladium mit tatsächlich freier Sicht auf die Bühne zum Vergleich heranzieht, bietet die Halle nicht wirklich deutlich mehr Zuschauer-Kapazitäten als die Live Music Hall oder das E-Werk. Leider werden aber ausschließlich Kartenkontingente für die Halle verkauft, bei denen einkalkuliert ist, dass die Zuschauer auch neben diesen verfickten Säulen stehen sollen. Man sieht dann eigentlich immer nur Teile der Bühne, wenn man es nicht in die Mitte zwischen diese verfickten Säulen geschafft hat. Entsprechend ist immer die Stimmung. Ich habe wahrscheinlich bisher mindestens vier Dutzend Konzerte in der Halle sehen (sehen müssen). Dass die Stimmung wirklich, wirklich enthusiastisch war, habe ich zweimal erlebt. Einmal bei diesen Schweizer-Internats-Heinis von den STROKES. Einmal bei diesen österreichischen Alkoholikern von WANDA. Würde man jetzt aber nur so viele Tickets verkaufen, wie Personen zwischen die verfickten Säulen passen – die Stimmung wäre auch scheiße. Mein Wort darauf! So stellt sich ja kein Publikum in die Halle. Die wollen alle noch vorne. In den USA gibt es neben der Zuschauer-Fläche jeweils links und rechts eine Linie. Wer diese übertritt wird sofort erschossen. Das wollen wir hier ja aber auch nicht. Also, es gibt nur eine Lösung: das Palladium bitte schnell zwischen den Tagen abreißen. Das muss doch möglich sein! Sofort! Petition folgt.
Habe ich etwa den Faden verloren? Vielleicht sind die Zuschauer ja heute auch nur etwas zurückhaltender, weil THE WAR ON DRUGS cheesy Radiorock aus den 1980er Jahren für Kiffer aufbereiten. Die sind alle bekifft hier! Ich eventuell auch – weil meine Gedanken abschweifen? Vom Passivrauch draußen? Geht das überhaupt? Wie der Schlagzeuger Charlie Hall da mit wallendem Haar, in seinem schwarzen Sakko in der Einflugschneise der Windmaschine sitzt, das sieht schon fantastisch aus. Ich werde ihn das ganze Konzert über fasziniert beobachten.
Der zweite Song, die Americana Nummer „Baby Missiles“ aus dem zweiten Album „Slave Ambient“ ist dramaturgisch fein gesetzt. Ein perfekter Song um langsam Spannung aufzubauen. Mit sieben Songs von „A Depper Understanding“ – exakt der Hälfte der gespielten Songs – und sechs Stücken vom 2014er Durchbruchsalbum „Lost In The Dream“ wird die Frühphase, bis auf diesen einen Ausreißer, heute Abend komplett ausgeklammert. Die zweite Konzerthälfte, die mit „Eyes To The Wind“, über „Red Eyes“, „In Reverse“ und schließlich „Under Pressure“ komplett aus den Schlüsselstücken von „Lost In The Dream“ besteht, ist mit Sicherheit der stärkste Teil eines großartigen Konzertes. Die Band spielt inzwischen so tight – ein Stadionkonzert wird nur noch eine Frage der Zeit sein, wenn die Band weiterhin auf dem Level Songs schreiben kann.
Das Publikum ist inzwischen auch wach geworden. Die Stimmung in der traurigsten Konzerthalle Kölns ist auf dem Höhepunkt. Vielleicht war die Stimmung anfangs auch nicht schlecht. Vielleicht ist das Publikum heute nur sehr konzentriert und aufmerksam. Der Band gefällt es in Köln anscheinend auch wirklich gut. Da kommen sogar Erinnerungen an ein bemerkenswertes Konzert vor sieben Jahren im King Georg bei Frontmann Adam Granduciel hoch. Die Sympathiebekundung wirkt jedenfalls kein bisschen anbiedernd. Granduciel gibt nur etwas von dem Respekt zurück, den THE WAR ON DRUGS heute hier erfahren.
Wie sie den vorletzten Song „Thinking Of A Place“ – ihrem „Jungleland“ – zum Höhepunkt spielen, ist einfach nur unglaublich. Wahrscheinlich einer der größten Konzertmomente des Jahres. Die Band ist definitiv auf ihrem bisherigen Karrierehöhepunkt. Nach der letzten Nummer „In Chains“ stellt sich eigentlich nur die Frage, wo und wann wir diese große Rockband wiedersehen werden. Wahrscheinlich nicht im Palladium.