Irgendetwas ist anders – und trotzdem bleibt alles gleich. Pascow entfernen sich in ihrem sechstem Studioalbum JADE nach eigener Aussage von Codierung und „kryptischer Scheiße“. Trotz einiger ungewohnter Ausreißer, sind wir begeistert von dem Album und heilfroh das Pascow nach kleiner Bandkrise die Playlists, Plattenregale und Bühnen der Republik wieder ein großes Stück besser machen.
Fünf Jahre nach ihrem letzten Sahne-Album DIENE DER PARTY und der tollen Band-Doku „Lost Heimweh“ wollen Pascow mit JADE nun etwas verändern. Vielleicht ist es einfach an der Zeit, vielleicht kann die Band auch nur so weiterexistieren. Die Veränderung kündigen sie vollmundig an und lassen sich bewusst zitieren mit „kryptischer Scheiße“, die es nun auf JADE im Gegensatz zu Früher nicht mehr geben soll.
Na gut, der instrumentale Piano-Opener „Prolog“ ist schon etwas ungewöhnlich, dient aber gelungen als Auftakt für die folgenden 30 Minuten Pascow-Erlebnis, als auch für das als erste Single veröffentlichte „Silberblick & Scherenhände“. Die Geschichte einer schrecklich-schönen Jugend besticht mit großartigen Pascow-Riffs und eingänglichem Refrain. Richtig vorwärts geht es dann mit dem titelgebenden Stück „Jade“, das knallt, ballert und treibt. Frontmann Alex schreit „Himmel auf für das Geballer“ und die Wogen von E-Gitarren und Schlagzeug lassen einen durch den gedanklichen Moshpit stürzen.
Und dann ist er da, der Moment in dem Pascow anders ist. „Marie“ ist ein Liebeslied, welches auch so klingt. Getragen wird es durch einen Beat der an Polka und den Kölner an den Brings-Sound erinnert. Richtig schlimm wird es allerdings bei „Schmutzigrot“ – einer Power-Pop-Ballade im Duett, die so oder so ähnlich auch in das letzte Udo-Lindenberg-Musical gepasst hätte. Die Absicht nicht mehr kryptisch sein zu wollen, wechselt hier leider in das absolute Gegenteil und springt einem mit seiner Offensichtlichkeit, Pathos und Kitsch peinlich-unangenehm ins Gesicht. Zu honorieren ist dennoch der Mut sich eben nicht, bei dem Vorhaben weniger codierte Texte schrieben zu wollen, halbgar und feige hinter Ironie zu verstecken.
Größtenteils geht es jedoch wie immer punkig und mit dem altbewährten Gitarrensound Pascows weiter. „Kriegerin“ kritisiert zynisch und wütend das Gebaren von Großkonzernen wie Nestlé und Coca-Cola: „Die Anlagen, die hier/ am Anfang niemand verstand/ sie machten Felder zu Wüsten/ und Wasser schließlich zu Sand“. „Heute Jäger, morgen Taucher (ErwachenII)“ thematisiert den Umgang Europas und Deutschlands mit Geflüchteten an unseren Grenzen. „Denn die Lager sind fast voll/ und Europäer nehmen sie kaum noch/ [..] Dieses Land, das könnt ihr jetzt ganz haben/ ihr habt’s geschafft, ich will’s nicht mehr“. Das IST deutlich und das ist gut so. Vor einem der stärksten Songs auf JADE, kriegt man ein nettes instrumentales Western-Interlude namens „Die Backenzähne des Teufels“ zu hören. Auch neu. Dann beginnt „Unter Geiern“: Die Abrechnung der Gimbweiler mit Kommerz- und Bravopunks und dem Musikbusiness allgemein. Natürlich gab es das Thema schon mal – aber so rotzig wie einem das „Do they owe us a living“ um die Ohren fliegt, selten so gut auf den Punkt.
Das Album schließt mit dem ruhigen, eher uninspirierten Klaviergeklimper von „Wunderkind“. Trotzdem ein durchaus stimmiges Ende für ein Album, das nach der Klaviereinleitung und Westerngitarren im Interlude, wie ein Konzeptalbum, nun wieder mit Klavier endet. Verstärkt wird der Eindruck auch durch die bereits veröffentlichten tollen Musikvideos, in denen uns das Gesicht vom Albumcover wieder begegnet.
Und trotzdem: Das Album ist in sich absolut stimmig. Die genannten, neuen Töne und schwächeren Titel fügen sich ohne Probleme in die restlichen Songs ein, die klare Sprache verstärken Haltung und Energie Pascows noch einmal um ein Vielfaches. Und so viel anders ist JADE auf dem Rest des Albums dann auch nicht. Das in drei Wochen Studiozeit zusammen mit Kurt Ebelhäuser produzierte Ergebnis ist nicht mehr und nicht weniger als ein weiteres tolles pascowsches Album. Die musikalische Midlife-Crisis scheint mit JADE überwunden und wir freuen uns gespannt auf die nächsten 6 Alben.
VÖ: 25. Januar 2019, Rookie Records, www.pascow.org
Ohr d’Oeuvre: Silberblick & Scherenhände, Kriegerin, Unter Geiern
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Prolog/ Silberblick & Scherenhände/ Jade/ Marie/ Kriegerin/ Die Backenzähne des Teufels/ Unter Geiern/ Treck der Toten/ Schmutzigrot/ Heute Jäger, morgen Taucher (Erwachen II)/ Sturm, der durch Erlen zieht/ Wunderkind
Pascow live erleben:
23.01.19 Bremen, Lagerhaus
24.01.19 Darmstadt, Oettinger Villa (ausverkauft)
25.01.19 Neunkirchen, Gebläsehalle (Release Party, ausverkauft)
09.03.19 Essen, Turock (30 Jahre Ox Fanzine)
17.04.19 Hannover, Faust
18.04.19 Jena, Kassablanca
19.04.19 CH-Zürich, Dynamo
20.04.19 Freiburg, Waldsee
22.04.19 München, Strøm
23.04.19 Stuttgart, Universum
24.04.19 Erlangen, E-Werk
25.04.19 Köln, Gloria
26.04.19 Berlin, SO36
27.04.19 Hamburg, Uebel & Gefährlich
28.04.19 Leipzig, Conne Island