Man wolle „mal schauen, was das denn damals noch so war, und ob da noch was ist“, sagte Tilman Rossmy, als DIE REGIERUNG 2015 nach rund zwei Jahrzehnten zu einem sensationellen Comeback zusammen kam. Anscheinend war da noch eine ganze Menge, denn nach zwei Touren und dem überzeugenden 2017er-Album RAUS setzt jetzt das neue Album WAS die Geschichte von DIE REGIERUNG fort.
Auch auf WAS geht es vornehmlich um die Leiden des jungen Rossmy. Das ist weder Überraschung noch Enttäuschung sondern selbstverständlich für das Werk von Rossmy, der einst auf die Frage nach seinem persönlichsten Song schulterzuckend antworte: „Ja… alle!“ Die Perspektive ist freilich nicht mehr exakt die gleiche, wie in den frühen Jahren. Es geht heutzutage abgeklärter und entspannter zu, etwas weniger Mittendrin, etwas mehr Verständnis für die eigenen Widersprüche.
Bearbeitet werden diese Widersprüche dennoch unverändert. Die Sehnsucht nach einem Ankommen trifft auf die Warnung vor der Komfortzone. Die Möglichkeit, das Leben als etwas Gutes zu erfahren, konkurriert mit dem Misstrauen gegen die eigene Zufriedenheit und materielle Bequemlichkeit. Verheißungsvolle Beziehungen brechen auseinander. Hamburg wird glorifiziert und im nächsten Song zurückgelassen. Daneben stehen mit „Geschichte“ und „Jedes Kind“ zwei Songs, in denen Rossmy in reduzierter und umso beeindruckender Weise über seine Erfahrungen mit depressiven Erkrankungen als Heranwachsender berichtet.
Die Songs sind insgesamt, ohne sich in Beliebigkeit zu verlieren, weitläufiger gestaltet als auf RAUS. Vielleicht hängt das mit dem Ausscheiden vom Schlagzeuger Thomas Geier zusammen. Vielleicht liegt es auch an den neu hinzugekommenen Bandmitgliedern. WAS steht ein wenig näher an den Alben, die Rossmy zwischenzeitlich mit dem Tilman-Rossmy-Quartett produziert hat. Es wird noch ein weniger mehr genuschelt und gesprochen, die Songs sind stellenweise sanfter arrangiert. In „Regen“ gibt Rossmy mal wieder den deutschen Lou Reed und „Was Besseres“ kommt aus der Gute-Laune-Schublade, aus der Rossmy schon immer mal eine Gospel oder einen zahmen Poprocksong hervorgezaubert hat. In „Mörder“ wechseln sich bedrohlich langsam gezischte Strophen und ein nach vorne flüchtender Refrain gekonnt ab. „Was gut für mich ist“ und „Besessen“ folgen dagegen enger den früheren Alben von DIE REGIERUNG. Jeder der Songs überzeugt auf eigene Weise und jeder Song klingt unverwechselbar nach Tilman Rossmy.
Sollte die Rossmy-Gemeinde noch einen Anreiz benötigen: WAS ist die unverzichtbare Fortsetzung vom Schaffen des Großmeisters der Selbstreflektion. Für Alle Anderen: Noch ist es nicht zu spät, daran teilzuhaben.
VÖ: 22.März 2019, Staatsakt, wwww.facebook.com/dieregierung/
Tracklist: Regen / Geschichte / Jedes Kind / Was gut für mich ist / Was Besseres / Vielleicht in Hamburg / Besessen / Schönes Paar / Mörder / Zeit / Zurück in die Welt / Alter Hase
Ohr d’Oeuvre: Jedes Kind / Was gut für mich ist / Mörder
Gesamteindruck: 8/10
(tj)