Die wundersame Wandlung der Sharon Van Etten ist wahrscheinlich das bisher größte Glück des aktuellen Musikjahres.
Nach ihren introspektiven Folkplatten erschien fünf Jahre, nach dem letzten Album „Are we there“, Mitte Januar ihre neue Platte „Remember Me Tomorow“. Ob sie den alten Fans gut gefällt – ist schwer zu beantworten. Wahrscheinlich ist das aber auch völlig egal. Mit der neuen Veröffentlichung öffnen sich für Van Etten, 1981 in Belleville/New Jersey geboren, künstlerisch und kommerziell völlig neue Horizonte. Dass „Remember Me Tomorrow“ zu den bisher stärksten Platten des Jahres zählt, dürfte sich inzwischen weltweit herumgesprochen haben.
Mit dem Produzenten John Congleton (ST. VINCENT, XIU XIU) und ihrem Manager, Drummer und Vater ihres 2017 geborenen Kindes – Zeke Hutchins – fand Van Etten aus der künstlerischen Sackgasse heraus, in der sie sich nach dem letzten Album befand. Sie hatte schlicht und ergreifend die Verbindung zu ihrem Werk verloren und nach der letzten Platte erstmal ein Psychologie-Studium begonnen. Die alten Songs über dysfunktionale und toxische Beziehungen hatten mit ihrem gegenwärtigen Leben nichts mehr zu tun. Und die Vorstellung diese weiterhin jeden Abend performen zu müssen, war Van Etten ein Graus.
Als Einflüsse der neuen Platte nannte Van Etten unter anderem PORTISHEAD und SUICIDE. Wenn am Anfang von „No One’s Easy To Love“ das Drumloop startet, könnte man sich auch gut in einem NINE INCH NAILS Song befinden. Genau wie Trent Reznors Gruppe durfte sie übrigens als eine der Gastbands am Ende jeder Folge, in David Lynchs TWIN PEAKS auftreten.
Auf „Are we there“ kamen auch bereits Synthies und Keys zum Einsatz. Trotzdem klang das Ganze tendenziell immer noch nach Marke Songwriterin mit etwas besserer Homerecording Produktion. Der neue Sound und die Atmosphäre auf “Remember Me Tomorrow “ ist dunkel (nicht düster) und geheimnisvoll. Ein faszinierendes Nacht- und (mit etwas umgestellter Trackreihenfolge) kathartisches Sexalbum hat Van Etten da herausgebracht.
Mit dem Schauspieler Michael Cera (Superbad, Juno) teilte sich Van Etten nicht nur zeitweise ein Apartment, sondern die Vorliebe für alte Analog-Synthesizer – wie dem Jupiter 4 von Roland. Der gleichnamige Song ist mit dem auf ihm folgenden wehmütigen „Seventeen“ (einen schöneren Song wird das Musikjahr so schnell nicht hervorbringen) der Höhepunkt, auf der an großen Momenten nicht armen Platte.
Nach all der Lobhudelei gibt es jedoch auch zwei größere Probleme: mit ihrem Livegesang befindet sich Sharon Van Etten (freundlich formuliert) häufig am Limit. Man kann nur hoffen, dass ihre nicht sehr überzeugenden Gesangsqualitäten – bei ihren Auftritten in den Shows von Kimmel und Fallon – durch Nervosität und nicht durch mangelnde Fähigkeiten beeinträchtigt waren. Der SaturdayNightLiveLanaDelReyEffekt sozusagen. Die andere Sache ist eben der neue Sound. Die neue Ausrichtung beinhaltet auch die Gefahr einer immensen Fallhöhe. Erfahrungsgemäß sind genau solche Produktionen, mit ihrem leicht übersteuerten Drum- und Keyboardsound live sehr schwer adäquat umzusetzen. Das für Van Etten gebuchte viel zu kleine (und ausverkaufte) Luxor ist da sicherlich auch nicht hilfreich. Man kann nur hoffen, dass es nicht zu einem dieser Konzerte mit viel zu laut ausgesteuertem und schlecht gemixtem Sound und einer heillos überforderten jungen Sängering kommt. Ich persönlich gehe vom schlimmsten aus. Dann wird es in der Regel nämlich gut!