Die Idles aus England fegen mit Wut und ganz viel Liebe durch die Live Music Hall.
Es gibt ja nicht allzu viel, über das man sich zurzeit aus England freuen kann. Auf eines ist jedoch Verlass, dass von der Insel in Sachen Musik regelmäßig spannende Projekte kommen, wenigstens darauf. Etwa die Idles, die das Ende der 1970er von Crass postulierte „Punk is Dead“ nicht nur widerlegen, sondern regelrecht ad absurdum führen. Lebendiger als der erfrischende Post-Punk der fünf Musiker aus Bristol kann eigentlich kaum etwas sein. Zwei Alben haben Idles bislang veröffentlicht – und sowohl das Debüt BRUTALISM von 2017 wie auch das ein Jahr später erschienene JOY AS AN ACT OF RESISTANCE eroberten die Herzen im Sturm und konnten sich in sämtlichen Jahrescharts jeweils weit oben platzieren.
Die Idles sind zurzeit also so etwas wie die Band der Stunde – was sich auch auf ihrer aktuellen Tour bemerkbar macht. Der Gruppe eilt zudem noch der Ruf als eine fantastische Live-Band voraus. So verwunderte es wenig, dass das Konzert in Köln am vergangenen Montag zunächst vom Gloria-Theater in die mehr als doppelt so viele Zuschauer fassende Live Music Hall verlegt werden musste und auch dort in kürzester Zeit ausverkauft war. Und die rund 1200 Fans – darunter, so ließen die Unterhaltungen vor dem Konzert zumindest vermuten, auffallend viele Exil-Engländer – sollten keinesfalls enttäuscht werden. Wie fünf losgelassene tollwütige Bulldogen legen Sänger Joe Talbot, Bassist Adam Devonshire, die Gitarristen Mark Bowen und Lee Kiernan sowie Schlagzeuger Jon Beavis nach dem Break im langsam anrollenden Opener „Colossus“ los. „I’m Like Stone Cold Steve Austin/I Put Homophobes In Coffins/I’m Like Fred Astaire/I Dance Like I Don’t Care“ heißt es darin. Zeilen, die die gesamte Ausrichtung der Band gut wiedergeben. Mit dissonanten Gitarren, die mal abgehackt rhythmisch, mal meterhohe Noise-Wände aufbauend das Grundgerüst der Songs legen, wütet Frontmann Talbot sich durch sämtliche Themen, die ihm am Herzen liegen.
Da werden bellend, brüllend, winselnd und murmelnd soziale Missstände und die aktuelle Politik angeprangert, gegen Rassismus und Sexismus gekeift, überholte Geschlechterrollenbilder zerschlagen, aber auch Persönliches wie der Tod der Mutter und die Fehlgeburt der Tochter und die
daraus resultierende, mittlerweile aber überstandene Alkoholsucht nach außen getragen. Das alles wird mit ungelenken Verrenkungen und eigenwilligen Tanzschritten auf die Bühne projiziert, während Bowen und Kiernan mit ihren Instrumenten immer wieder ins Publikum verschwinden, um
sich dort auf Händen tragen oder ihre sechs Saiten bespielen zu lassen.
Bei all der Wut, welche die Idles im Bauch haben, stehen die Musiker eigentlich jedoch für ein ganz anderes, völlig gegensätzliches Gefühl: „All Is Love“ lautet das Motto der Band, welches sie auf charmant-höfliche Art und Weise herüberbringen. Talbot, ganz der britische Gentleman, verteilt Umarmungen
und Wasser an die Anhänger, schließt zwischen nahezu jedem der insgesamt 17 Songs neue Freundschaften, propagiert immer wieder „Liebt euren Nachbarn!“ und bittet um Rücksichtnahme im Moshpit. Punk ist tot? Nein, der Punk der Idles ist vielleicht einfach nur ein Stück weit weniger
asozial und facettenreicher, dafür aber so sozialkritisch wie zu seinen besten Zeiten.