Gut, wie immer ist die Spezialisten Postille des jmc Magazins recht spät dran mit der Besprechung der neuen anorak. Platte. Aber diesmal gibt es – nicht so wie sonst – mindestens zwei gute Gründe für unsere Verspätung. Erstens haben wir SLEEP WELL erst relativ spät bekommen und zweitens handelt es sich um eine Platte, die man tunlichst nicht nach ein oder zwei Hördurchgängen beurteilen sollte.
Wie oft haben wir schon Platten besprochen, bei denen wir uns – zugegebenermaßen nach einmaligen Hören – sicher waren, einen Kandidaten für eine der Platten des Jahres auf den Ohren gehabt zu haben, um dann im Nachgang festzustellen, dass die Halbwertzeit doch äußerst überschaubar war. Bei SLEEP WELL ist das Gegenteil der Fall. Beim ersten Hören über Lautsprecher wollte noch nicht so viel hängenbleiben und die Weiterentwicklung der Band war noch nicht direkt erkennbar. Also, Album zur Seite legen, sich das Release Konzert anschauen und im Anschluss nochmal in aller Ruhe die Kopfhörer aufsetzten. Und siehe da, einige Songs erschließen sich auf einmal viel besser als beim ersten Durchgang. Das liegt vor allem an den vielen Feinheiten, die die äußerst akribischen Jungs aus Köln in den elf Songs der Platte versteckt haben. Die einen würden es Feinheiten nennen, eigentlich sind es aber eher „diese Momente“, die einen regelmäßig mit einer feisten Gänsehaut zurücklassen.
Dabei ist das, was anorak. da machen, nicht einmal besonders neu oder innovativ. Bemerkenswert ist jedoch, wie die Band auf ihrem Zweitlingswerk eine Musikrichtung, die ziemlich auserzählt schien, auf eine ganz neue Eben hievt. Man hört förmlich, dass die Einflüsse, die die fünf Jungs in die Songs einbringen, extrem weit gestreut sind. Da wird Postrock mit 90’er Indie gemischt, eine Prise Postpunk oben drauf gepackt und heraus kommt der frischeste Posthardcore, den wir seit langem zu hören bekommen haben. Dabei verlieren sie sich jedoch nicht vor lauter Weiterentwicklung in Soundfragmenten, wie es teilweise Genregrößen wie La Dispute oder Pianos become the Teeths passiert ist, sondern erweitern gekonnt ihre Stärken um gewisse Nuancen, die aus einem guten Song eben einen besonderen Song machen.
So startet der Song „An imprint of a pigeon which flew against the window“ eher in klassischen Indie Gefilden, um dann bei Minute 1:30 mit einem Postrock Riff in den Ausbruch überzuleiten, der wiederum mit einem anorak. typischen Scream-Part endet. Hier hätten sich andere Bands schon in den Indie-Gefilden verlaufen, nicht so die Jungs aus Köln. Ganz souverän werden hier Genres vermischt bzw. an den richtigen Stellen Referenzen pointiert eingesetzt. So erinnert das Break in „Red Flower“ bei Minute 2:12 ein wenig an den Anfang des Songs „Leave them Waiting“ des Gießener Dear Diary Nachfolgers Sometimes Go. Es scheint den Jungs einen Riesenspaß zu bereiten, die Hörer auf die falsche Fährte zu locken, um sie dann mit einem gekonnten Stilwechsel staunend zurückzulassen. Bestes Beispiel hierfür ist der Song „Phasing“, der shoegazig startet und im Anschluss in einem wundervoll melodiösen Posthardcore-Stampfer endet.
Wie wir auch schon während unseres Interviews mit Gitarrist Julian feststellen durften, machen anorak. genau die Musik, die ihnen Spaß macht und im besten Fall auch dem Zuhörer, aber nicht zwangsläufig und auf Teufel komm raus. Diese Authentizität spürt man, gerade wenn man das Album in aller Ruhe über Kopfhörer hört, nahezu bei jedem Ton. Diesmal sind wir uns sicher: Ein Anwärter auf die Platte des Jahres.
VÖ: 27. September 2019/ Uncle M
Ohr d’Oeuvre: An Imprint Of A Pigeon Which Flew Against The Window/ Phasing/ Red Flower
Gesamteindruck: 9 / 10
Tracklist: Introduction/ An Imprint Of A Pigeon Which Flew Against The Window/ Caffeine/ Applause/ Red Flower/ The Sun/ Phasing/ Flourish/ Interlude/ Perpetuum Mobile/ Dune