Jetzt kommt zusammen, was zusammengehört: Bielefeld und die Freunde, die bereits mit 18 einen Führerschein und noch besser ein Auto und am allerbesten einen Bulli hatten. Die Band, um die es heute gehen soll, habe ich zufällig als Vorband bei einem Konzert in besagter Ostwestfalen-Metropole Bielefeld gesehen. Dabei stand der Besuch in diesem pittoresken Städtchen am Fuße des Teutoburger Waldes unter keinem guten Stern. Tags vor dem Konzert entschied sich einer meiner vier Weisheitszähne, dass er gerne das Licht der Welt erblicken würde. Also fuhr ich, eigentlich krankgeschrieben, mit dicker Backe, ordentlich Pinn (niederrheinisch für Schmerzen) und der Ansage vom Zahnarzt, dass Alkohol der offenen Wunde nicht zuträglich wäre, in den Osten NRWs. Aber hey, es ging um ein Jimmy Eat World Konzert bei ihrer Tour zu Clarity. Ich kenne eine Menge Leute, die den beschwerlichen Weg mit „abben“ Gliedmaßen auf sich genommen hätten.
Die Ansage des Arztes missachtete ich bereits auf der Zugfahrt. Zu lang war diese und zu groß die Vorfreude auf das Konzert. Im Forum in Bielefeld angekommen fiel zunächst auf, dass der Laden eine seltsame Aufteilung hatte. Die Bühne war nicht von überall einsehbar, was gerade für die kleineren Besucher ein nicht unerhebliches Problem darstellte. Die Vorgruppe an diesem Abend sollten PALE aus Aachen sein. Na toll, eine deutsche Band, die sich an Midwest Emo versucht. Erster Gedanke: Wo ist die Theke? Zweiter Gedanke: Die Worte des Zahnarztes. Also behielt ich meinen Platz vor der Bühne, damit ich wenigstens auf die Hauptband eine vernünftige Sicht haben würde.
PALE kamen auf die Bühne, grüßten kurz und legten los. Von der ersten Sekunde an wussten sie durch eine unbändige Spielfreude zu überzeugen. Der Wechselgesang zwischen Holger Kochs und Christian Dang, der grimmig drein guckende Hilly am Bass und dazu die aberwitzigen Verrenkungen von Sänger Holger Kochs, gepaart mit wirklich mitreißenden Songs, hinterließ allenthalben offene Münder. Der Vierer aus der Kaiserstadt fegte wie ein Orkan durch das Forum und Jimmy Eat World hatten im Anschluss Schwierigkeiten, dieses Tempo beizubehalten. Am Merch dann standesgemäß die einzige CD, die PALE dabeihatten, erstanden und fortan mit RAZZMATAZZ einen treuen Wegbegleiter für den Frühling und den Sommer gehabt. Songs wie „The Coltrane Conspiracy“ lassen noch heute, 20 Jahre später, die alten Knochen zucken. Man hat einfach zwangsläufig den unbeholfen eskalierenden Holger Kochs vor Augen, wie er den Song mit Christian Dang in einem Wechselgesang vorträgt, so wie ich es seither nie mehr gesehen habe. Der dritte Song des Albums „Teenage Heaven“ war damals der Hit der Band. Zumindest hat VIVA2 ihn dazu gemacht. Wochenlang stand der Song vor Größen wie Limp Bizkit, Korn und Green Day auf Platz Eins der Fast Forward Charts.
Selbst Jan Schwarzkamp von der VISIONS, damals besser bekannt als DJ EmoJan, war Fan und einer der Höhepunkte in der damaligen Stammdisco, dem Rolling Stone in Voerde, zu der uns der 18 Jährige Kumpel mit Führerschein und Bulli gefahren hat, war definitiv, wenn er den Song aufgelegt und sich als DJ ähnlich unbeholfen dazu bewegt hat, wie Holger Kochs von PALE. Nach RAZZMATAZZ hat die Band mit HOW TO SURVIVE CHANCE ein weiteres großartiges Album aufgenommen, konnte dann aber mit ihrem letzten Werk BROTHER.SISTER.BORES!, erschienen bei Grand Hotel van Cleef, das Niveau der Vorgängeralben nicht halten, so dass die Auflösung irgendwie folgerichtig war.
Nichtsdestotrotz hat die Band bis heute eine treue Fangemeinde, die sich über nichts mehr als eine Reunion freuen würde. Dies schließt die Band aber kategorisch aus. Bis dahin zitieren wir bei jeder Gelegenheit den Song „The Disco Kid“, in dem es im Refrain so schön heißt: „This is not my Scene at all.“ In diesem Sinne, hört euch das Album an und habt ein wenig Freude in diesen seltsamen Tagen!