In Zeiten wie diesen ist es immer schön, wenn man viele Freunde hat. Ich hatte ab der 10. Klasse eigentlich das Glück, immer einen ganzen Batzen guter Freunde zu haben. Die waren es auch, mit denen ich mich damals in die Musik stürzte. Zunächst saßen wir meist im Kellerzimmer von einem dieser Freunde – meist dem mit den tolerantesten Eltern – und spielten uns mit leuchtenden Augen unsere neuesten musikalischen Errungenschaften vor. Später versuchten wir den Wirt oder die Kellner in unserem Stammwirtshaus, dem legendären Prinzenhof, davon zu überzeugen, doch mal eine unserer Neuentdeckungen zu spielen. Uns machte es stolz, wenn unsere neuentdeckte Band für gut befunden und oft gespielt wurde und dem Wirt oder damals noch der Wirtin bescherten wir Umsatz, weil wir länger blieben und noch durstiger waren als eh schon.
Da wir damals wie heute alle recht schlecht in Geburtstagsgeschenken waren, schenkten wir uns meist irgendeinen Quatsch. Dabei gab es durchaus Freunde, die sich – egal wie groß dieser Quatsch auch war – tatsächlich über den Schrott zu freuen schienen. Ich konnte mich nie künstlich über irgendetwas freuen, was ich eigentlich doof fand und so hatte ich meistens Glück mit meinen Schrott-Geschenken.
Zu meinem 23. Geburtstag im Jahr 1999 waren meine Freunde mal wieder einigermaßen ratlos, was sie mir schenken sollten. Beim Tocotronic Konzert im Bielefelder PC69 hatten sie dann den unfassbar kreativen Einfall, mir eine signierte CD der Vorgruppe zu schenken, am besten noch mit einem Autogramm des Sängers. Da ich dem Konzert selbst nicht beiwohnen konnte, fanden sie die Idee besonders gut, weil ich erstens die Vorband nicht kannte und zweitens die CD sie nicht in den finanziellen Ruin stürzen sollte. Also bekam ich beim nächsten Abend im Prinzenhof eine beige CD mit einer Weizenähre auf dem Cover geschenkt, worauf geschrieben stand: „For Alex ? John.K. Samson“. Die Band, um die es sich handelte, waren The Weakerthans, das Album hieß FALLOW. Ich tat also mehr schlecht als recht so, als würde ich mich freuen und ließ die CD in meiner Jacke verschwinden, wo sie dann auch die nächste Zeit ihr Dasein fristete. Irgendwann Wochen später beim Entmüllen der Jackentaschen tauchte die CD dann wieder auf und da ich Langweile hatte, schob ich sie in den CD-Player. Der erste Song „Illustrated Bible Stories for Children“ kroch noch recht gemächlich aus den Boxen. Was aber sofort auffiel, war diese sonore, leicht nasale Stimme, die irgendwie wunderschön eindringlich diesen ersten Song sprach. Beim zweiten Song „Diagnosis“ kamen dann ohne Umschweife großartig, bratzige Gitarren zur Stimme J.K. Samsons und ich weiß noch genau, wie es in dem Moment um mich geschehen war. Selten hatte ich so wundervoll unpeinlich catchige Gitarren gehört, selten jemanden, der so stoisch schön seine in Songperlen verpackte Geschichten vortrug. Nachdem ich das Album mindestens fünf Mal hintereinander durchgehört hatte, wusste ich, dass mich dieses Album noch lange begleiten würde.
Recht bald nach FALLOW brachte die Band dann ihr zweites Album LEFT AND LEAVING heraus, das heute noch, völlig zu Recht, ein Referenzwerk für viele Bands ist. Mit LEFT AND LEAVING gelang den Weakerthans etwas, an dem viele Bands scheitern, nämlich einem Meisterwerk noch einen drauf zu setzen. John K. Samson, dem bereits nach FALLOW der Ruf vorauseilte, einer der größten Songwriter seiner Generation zu sein, übertraf sich textlich auf dem Zweitwerk seiner Band. Und dass er seinem Ruf mehr als gerecht wurde, davon zeugt u.a. diese Textzeile aus „Pamphleteer“:
„How I don’t know what I should do
With my hands when I talk to you
How you don’t know where you should look
So you look at my hands“
Schöner wurde kommunikative Unbeholfenheit nie mehr beschrieben. Es wird den Weakerthans eigentlich nicht gerecht, wenn man nur eine Textzeile oder aber nur ein Album aus ihrem Gesamtwerk herauspickt. Zu viele Textzeilen für die Ewigkeit stammen aus J.K. Samsons Feder, zu gut ist jedes einzelne ihrer vier Alben. Es ist FALLOW geworden, denn ohne dieses Album, ohne die Schnapsidee meiner Freunde, hätte ich diese Lieblingsband wohl nie entdeckt. Deshalb muss ich noch drei Dinge loswerden:
1. Ich habe mich selten im Nachhinein so über eines eurer Schrottgeschenke gefreut.
2. Wann gehen wir mal wieder zusammen in den Prinzenhof?
3. For John K. Samson ? Alex