Mit Ihrer zweiten Platte KEIN WETTER hinterlassen Friends of Gas tiefe Spuren im Untergrund, die sich bis an die Oberfläche durchtreten werden.
Musik sollte im besten Fall die Eigenschaft haben, verschiedenste Sinne anzusprechen und den Hörer aus dem Alltag und seinem Trott zu reißen. Da ist es ein gutes Zeichen, wenn der Hörer sich selbst dabei erwischt wie er minutenlang aus eben jenem Alltag rausgerissen wird und der Musik folgt.
„Kapital oder Kapitulieren“
Letzteres ist der Fall bei der zweiten Platte KEIN WETTER der Münchener Band Friends of Gas. Reihten sie sich mit ihrem Debüt FATAL SCHWACH bereits in eine Riege großartiger Noiserock- und Post-Punkbands wie Die Nerven oder Messer ein, führen sie die Lust am Experimentieren auf ihrer zweiten Platte weiter aus. Die Songs pendeln zwischen schweren, langsam-mäandrierenden Noisewerken, in denen sich Bass und Gitarre auf bizarre Wechselspiele einlassen und relativ straighten Grungesongs, die an die frühen Sonic Youth erinnern („Blaiberg“). Teilweise fordernd im Sound, wird KEIN WETTER jedoch zwingend und einnehmend durch den kratzig- kehligen Gesang von Nina Walser. Eine Stimme, die wie eine Mischung aus Kim Gordon und Lydia Lynch klingt, bei der man nicht weiß, ob sie so kratzig ist, weil sie lange geschwiegen hat oder gerade die Menschen im Proseminar Politische Ökonomie nieder diskutiert hat. Mit einer Mischung aus Nüchternheit und Spott beschreibt sie den Mensch als Spielball des globalen Kapitalismus, der selbst vor dieser Einsicht kapituliert, weil es zu verwirrend, vielleicht zu groß für den Einzelnen in der Analyse ist.
„Unsere Liebe ist ein in Hollywood gezüchtetes Monster“
Auch der eigenen Zwischenmenschlichkeit wird unterstellt nur ein Abziehbild der Filmindustrie zu sein („Stechpalmenwald“). Charmant ist die eindringliche Wiederholung von Programmsätzen und Parolen ohne als solche wahrgenommen zu werden, was der Sängerin durch geschickte Pausen und Wortdehnungen gelingt. Eigentlich würden Friends of Gas ganz gut in die frühe Punkbewegung mit ihrer „No Future“ – Haltung passen und doch ist da dieser Hang zur nüchternen, stoischen Reflexion, die so wunderbar musikalisch vom verzerrt-stoischen SST-Sound gespiegelt wird. Den Höhepunkt erreicht dies beim vorletzen Stück „Im Bad“, in dem sich die Haupfigur darum bemüht, den inneren Ausgleich zu finden. Dazu scheinen die dahinfliehenden Akkorde, die sich langsam zu einem Rückkopplungsfeuerwerk aufbauen, den Hörer ähnlich hinabzuziehen und zu ertränken wie die Wärme, die sich im Bad ausbreitet. Man ist ein wenig froh, wenn man aus seinen Gedanken zurück in den Alltag gerissen wird. Ab und zu wäre etwas weniger Patrick Wagner mehr gewesen, aber die Platte tut weh und läßt doch einen anderen Blick auf sich und die Welt zu.
VÖ: 05.06.2020, Staatsakt, http://friendsofgas.com/
Gesamteindruck: 8/10
Ohr d’Oeuvre: Blaiberg/ Stechpalmenwald/ Im Bad
Tracklist: Waldbrand/ Schrumpfen/ Blaiberg/ Graue Luft/ Felder/ Stechpalmenwald/ Abwsser/ Teilchen/ Im Bad/ Selber Keine