Gießen, dass hört sich nicht nach großer weiter Welt an, eher nach hessischer Provinz. So, erstmal halb Hessen gegen sich aufgebracht. Dabei ist das gar nicht abfällig gemeint. Vielmehr ist es der Sound der Provinz, den Sometimes Go auf ihr erstes Album seit Bandgründung 2008 bannen. Auch hier, erstmal tief durchatmen, bevor der Blutdruck die 200’er Grenze sprengt.
Sind wir mal ehrlich. Die Bands, die wir Ende der Neunziger, Anfang der 2000’er geliebt bzw. nahezu vergöttert haben, kamen auch nicht aus den Metropolen dieser Welt, sondern aus Kansas, Gainsville, Mesa oder Aachen. Ähnlich sah es bei den Konzerten aus, auf denen man sich zu dieser Zeit traf. Fanden sie doch in Jugendzentren in der Eifel, im Saarland oder irgendwo in der norddeutschen Tiefebene statt. Dort in der Provinz spielten dann meist Bands aus der Provinz vor einem Publikum, was oftmals aus Städten angereist war, weil dieser provinzielle Charme etwas war, das man in den großen Studentenmetropolen so nicht mehr vorgefunden hat und weil diese Bands in den Städten noch keiner sehen wollte.
Dort traf man dann Woche für Woche bekannte Gesichter, die alle eins gemein hatten, nämlich die Liebe zum Midwest Emo wie man ihn zur Jahrtausendwende gehört hat. Oft wurden die „großen“ Vorbilder aus den USA von deutschen Bands supportet, die oftmals ein wenig windschief, dafür aber mit unbändiger Leidenschaft unterwegs waren. Einige dieser Supportbands, wie PALE, Reno Kid, Ambrose oder Dear Diary aus Gießen, brachten es zu dieser Zeit in der Szene zu ein wenig Berühmtheit. Während die ersten drei Bands leider die Gitarren an den Nagel gehängt haben, haben ein kleiner Teil von Dear Diary, zusammen mit ehemaligen Mitgliedern von Colorful Grey, Amber und Shadow Painter die Band Sometimes Go gegründet. Den zwei Stammlesern unserer kleinen Hardrockpostille könnte die Band bereits ein Begriff sein, hat sie es doch mit ihrer EP HOW TO DESTROY THIS CITY WITHIN A MINUTE in die Jahrescharts 2014 geschafft.
Jetzt, sechs Jahre später, kommt die Band aus der hessischen Provinz – irgendwie musste ich die Kurve zum Beginn der Besprechung ja kriegen – mit ihrem ersten Album MOUNTAINS und ja, wir waren, auch aufgrund der 2014’er EP, äußerst vorfreudig gestimmt. Ob diese Vorfreude sich auch nach dem ersten Hördurchgang gehalten hat, kann mit einem sowas von klaren JA beantwortet werden. Selten hat man sich so stilecht in die muffigen Jugendzentren anno 2001 zurückversetzt gefühlt. Enthusiasmus gepaart mit einer unbändigen Spielfreude, die an der ein oder anderen Stelle mal völlig übers Ziel hinausschießt, aber nie aufgesetzt klingt. Da gibt es diesen charakteristischen Wechselgesang wie man ihn von Bands wie Tribute to Nothing oder den obengenannten Pale kannte, da wird mal ganz schön am Ton vorbei gesungen wie man es von nahezu allen Bands dieses Genres kannte und da wird ganz tief in den schönsten Schubladen des Postrocks gekramt. Startet der Opener HIDEOUT noch ein wenig verhalten, so würde man das Wohnzimmer beim Basslauf von NO MORE MUSIC am liebsten in die Tanzfläche der Jugendlieblingsdorfdisco verwandeln. Dazu der raue Gesang, der ebenfalls an die großartigen Tribute to Nothing erinnert und vor Augen führt, wie gut unprätentiöse Rockmusik doch sein kann. Sometimes Go machen alles das richtig, was die meisten Gitarrenbands heutzutage falsch machen: Sie legen den Fokus nicht auf die Produktion, sondern stellen die Spielfreude in den Vordergrund, auch auf die Gefahr hin, dass das nicht immer perfekt klingt. Aber hey, genau das unperfekte war es, was wir alle an den Emo Bands vor 20 Jahren gefeiert haben.
So, da 2020 ja eh scheisse ist, kram ich mal in der Kiste mit den alten Klamotten, hefte mir ein paar Buttons an die Hosentasche, schnappe mir statt dem Delorean MOUNTAINS und begebe mich auf die Reise ins Jahr 2000. Wir sehen uns wieder bei den Jahrescharts, ziemlich sicher mit Sometimes Go und MOUNTAINS.
Euer Marty McFly
VÖ: 20.11.2020/ Midsummer / Cargo
Tracklist: Hideout/ Everything was fine/ No more music/ Sound of the radio/ Watch the falls/ Promises we made/ Places/ Clover Mountain/ It doesn’t matter how hard I tried to explain myself, you wouldn’t understand anyway/ Albanian squares/ I won’t hide
Ohr d’Oeuvre: No more Music/ Promises we made/ Albanian Squares
Gesamteindruck: 8,5/10