Die zweifelhafte Ehre, dass erste richtige Konzert (nach mehr als anderthalb Jahren) – ohne Maske, ohne Platzzuweisung – unter 2G Bedingungen im Innenbereich des Bumann & SOHN zu erleben, gebührt dem Kölner Ordnungsamt. Nach einer mehr als zweifelhaften und völlig eskalierten Kontrollvisite der Behörde, hat der sympathische Ehrenfelder Club momentan übrigens überhaupt keine Außengastronomie mehr. Absurder geht es eigentlich nicht. Wer sich jedoch schon einmal mit Konzert- oder Festivalplanern aus Köln unterhalten hat, wird jedoch nicht besonders überrascht sein: Zeichnete sich das Kölner Ordnungsamt auch in der Vergangenheit schon regelmäßig mit Exzentrik und statischen Vorgaben aus. Wo kumme mer och söns hin?
So stehen wir an diesem Dienstag im gut gefüllten Innenraum und könnten uns – wie Viktor Marek vom Golden Pudel Club in Hamburg CoronaRegel befreites Feiern definiert hat – die Eiswürfel von Mund zu Mund weitergeben. Genau diese Stimmung herrscht(e) auch im Hotel Shanghai – der Essener Durchdreh-Spielwiese vom gleichnamigen Zeremonienmeister der Eskalation Kay Shanghai. Der in Wuhan geborene Clubbetreiber macht jetzt auch Musik. Nach seiner ersten launingen Veröffentlichung „Ananas“ dachte man, dass es jetzt halt einen weiteren deutschsprachigen Trap-Act mehr geben würde. Nach seinem Warm-up für Dagobert muss man die ursprüngliche Kategorisierung deutlich revidieren. Shanghai ist zwar nicht der erste schwule Rapper der Republik (da gibt es schon Ash M.O. und das Duo SPNNNK); aber vielleicht der erste, der es in den deutschen Feuilleton schaffen wird. Denn sein Material ist massenkompatibel und scheint auch schon etwas länger zu existieren. Oder Shanghai komponiert seine Tracks unabhängig von irgendwelchen Trends, um direkt Anschluss in der Deichkind-Liga zu finden. Mit deutungsfähigen Texten über (das) Schwänze(n) in der Schule (oder so ähnlich), sollte das kein allzugroßes Problem darstellen. Man darf gespannt sein, was da in Zukunft noch kommen wird. Großes auf jeden Fall!
An dem Phänomen Dagobert haben sich schon viele Texte abgearbeitet und letztendlich die Zähne ausgebissen. Es ist aber auch (nach vier Platten und acht Jahren nach Veröffentlichung seines Debütalbums) immer noch mehr als erstaunlich, wie der einst seine eigene Eremitenlegende schaffende Schweizer und Wahlberliner, mit Stereotypen aus der Requisitenkammer der Rockstar-Posen, es immer wieder schafft sein Publikum völlig in Bann zu ziehen und letztendlich durchdrehen zu lassen. Es liegt natürlich zu großen Teilen an seinen Liedern, die wirklich sehr gut und einzigartig sind, in ihrer beinahe schmerzhaften Wahrhaftigkeit und ihrem bedingungslosen Commitment zum Lieben. Die Lieder von anderen vermeintlichen Ironiker-Acts wie Alexander Marcus sind oft, wenn man ein wenig an der Oberfläche kratzt, eigentlich völlig humorfrei – wenn man den Dada wegnimmt.
Für die Gruppenhysterie braucht Dagobert – am heutigen Abend – nur manchmal etwas Unterstützung an der Gitarre oder von seinem Freund Kay Shanghai. Ansonsten reicht eine Halbplayback-Perfomance, dass sich am Ende der Show, die rund 100 Zuschauer mitsingend in den Armen liegen. Das war ein großer Konzertabend auf den wir lange gewartet haben. Vielen Dank, lieber Dagobert.