Mit LYGOPHOBIE unternehmen Lygo eine Reise zu den eigenen Ängsten und zur eigenen Euphorie. Das der Titel die übermäßige Angst vor Dunkelheit beschreibt, ist Zufall und passt doch wie die Faust aufs Auge, vor dem Hintergrund einer eher pessimistischen Bestandsaufnahme. Aber… manchmal muss man einfach auf ein Dach steigen, um wieder Licht in der Dunkelheit zu sehen.
Vielleicht haben Lygo mit der Zeile „In der Kommentarspalte brennt noch Licht“ die Textzeile des Jahres rausgehauen, drängt sich doch zunehmend das Gefühl auf, dass die Leute nur noch fähig sind sich im anonymisierten Raum austauschen – siehe jmc. Auch sonst steigen Lygo mit ihrer Wut und ihrem Schmerz dem Zeitgeist auf dem Fuß. Viel dreht sich um Abschied, Tod und zugleich die Euphorie, die plötzlich über einen kommt und der Abend auf einmal noch 100 Stunden zu haben scheint („Warmes Bier & Kalter Kaffee“). Lygo dribbeln sich durch diese Eckpfeiler sowohl musikalisch als auch textlich. Dabei sind die Songs etwas melancholischer ausgefallen. Der Punkrock zwischen Turbostaat, Jawbreaker und Frau Potz, angereichert mit einer Portion Hardcore, fällt stellenweise melodischer aus, nehmen die Exil-Bonner im Gegensatz zum letzten Album „Schwerkraft“ an einigen Stellen den Fuß vom Gaspedal, bleiben im Mid-Tempobereich, was die Songs teilweise aufgeräumter wirken lässt. Das Trio lässt sich mehr Anlaufzeit um in die Songs zu kommen, was diese reflektierter wirken lässt und diesen insgesamt zugute kommt. Dies wirkt sich auch positiv auf den Gesang und in die Texte aus, wirken diese doch schon mit dem ersten Hören nach. Wie oben bereits beschrieben, lösen sie meist eher Schluckbeschwerden im Hals aus, da die Themen keine leichte Kost sind. Sei es, dass das eigene Leben im Schatten des Altersheims eher klein wirkt oder es immer viel Energie erfordert die Schockstarre zu lösen. Fast befreiend wirken Songs wie das angesprochene „Warmes & Kalter Kaffee“ oder das Abschlussstück „13 Stunden Schlaf“, die mit ihren Refrains den Hörer aus dem Tiefsinn reißen, bevor es zu pessimistisch wird. Und dann ab dem zweiten Durchhören dämmert es langsam, dass Lygo mit LYGOPHOBIE vielleicht eines der besten deutschsprachigen Punkrockalben 2021 gemacht haben. Die Songs laufen einfach immer weiter in Rotation und das Identifikationspotential vor den ganzen Herausforderungen Corona, Vollidioten und dem Wegfall verdammt vieler Sicherheiten, ist einfach riesengroß und die Refrains von LYGOPHOBIE einfach das richtige Gegenmittel und der passende Befreiungsschlag. Das, was guter Punkrock zu vollbringen mag!
Aufgenommen hat das Trio die Songs in Eigenregie, vielleicht haben diese sich dadurch den Raum erobert, den sie brauchen. Tolle Platte, tolle Band und die Hoffnung bleibt, sie in 2022 öfters wieder live zusehen.
VÖ: 29.10.2021/ Kidnap Records
Tracklist: Schockstarre/ Warmes Bier & Kalter Kaffee/ Kein Fahrtwind/ Feuerzeug/ Zusammen im Bett/ Kommentarspalte/ Fight Club/ Altersheim/ Uwe, Erdgeschoss links/ Ufer/ Auf deine Bitte/ 13 Stunden Schlaf
Unsere Wertung: 8/10