„Ich habe über den Jahreswechsel heimlich eine Soloplatte gemacht. Es ist ein sehr ruhiges Album – vielleicht findet ihr die Zeit.“ M.B.
Mittlerweile soll es ja Touren durch den Kölner Stadtteil Ehrenfeld geben, die die Lieblingsorte von Martin Bechler aka Fortuna Ehrenfeld besuchen und hoffen den „Meister“ dort persönlich zu treffen. Seit Erscheinen der Band auf der musikalischen Landschaftskarte, fliegen ihr – und insbesondere dem Sänger – die Herzen zu, ist doch das Identifikationspotential mit den Texten, der ganzen schnoddrigen Haltung so groß, dass der Bedarf nach einem Bier mit ihm hoch zu sein scheint. Beim Großteil der jmc-Redaktion verhält es ähnlich. Aber wir kommen einfach aus der Südstadt nicht raus. Jetzt also ein neues Werk, ein Solowerk. Intim, ruhig und wunderschön könnten erste Umschreibungen der Songs sein, die sie gut treffen, aber doch nicht abschließend greifen.
So ist SOLO I denn auch wie eine kleine Stadtführung oder ein musikalischer Veedelszoch durch die Kneipenlandschaft zwischen Brüsseler- und Lenauplatz, die Landmannstraße herunter bis in den Laden, wo der Wirt die Gäste anbrüllt, weil er auf ihr Geld nicht angewiesen ist. Szenen, die jeder aus Köln kennt, wo der verbale Zweikampf zwischen Theke und Gast zum guten Ton dazugehört. Aber die Songs sind auch ein wenig wie ein vertonter Sven Regener Roman über eine untergegangene Welt. Wer trägt noch Minipli? Wohnt am Brüsseler Platz noch eine Oma? Statt Marillenlikör wird doch Haselnussschnaps getrunken. Vielleicht ist es die Gentrifizierung oder nur das Alter, schwingt doch eine gewisse Melancholie und Erinnerung durch den Raum, wie im wunderschönen Sophie 2.0 oder dem Mitsinghit Irgendwas vom jungen Dr. Dre. Zugleich ist es auch ein kleiner Seitenhieb auf die eigene Generation (40+), dass die Koordinaten der Welt sich verschoben haben und man etwas aus der Welt gefallen ist, wenn ihr Mittelpunkt immer noch die PS- Leistung der eigenen Karre oder die nächsten Bratwürste sind.
Musikalisch sind die Songs auf Stimme und zumeist Klavier oder Orgel reduziert. Sie sind sozusagen runtergestrippt, wie ein regnerischer Morgen nach einer durchzechten Nacht. Ein anderer Ansatz als bei der letzten Fortuna Ehrenfeld Veröffentlichung, die ein wenig die letzte Party auf der untergehenden Corona-Titanic vertont hat. Wie schon oben beschrieben, in ihrer Reduziertheit zeigen die Songs auch die ganze Schön- und Verrücktheit von Bechlers‘ Songwritingkunst.
VÖ: 25.03.2022, tonproduktion records, https://www.facebook.com/fortunaehrenfeld/
Tracklist: Ich schreibe meine Gedanken/ Irgendwas vom jungen Dr. Dre/ Sophie 2.0/ And it takes the pain away/ Brüsseler Platz/ Pech und Schwefel/ Stimmung gute Laune!/ Perpetuum Rosemarie/ Stundenlang am Wasser stehn/ Bohemian Rhapsodie/ Drei Tage Regen Danke Scheisskerl/ Eine Säge für die Nerven/ Zwanzig Meter Klingendraht
Unsere Wertung: 8/10