Im Herbst letzten Jahres wurde Jenny Thieles zweites Album KILLING TIME veröffentlicht. Sie ist vielen sicherlich als frühere Tastenfrau von Fortuna Ehrenfeld bekannt und einige werden sie als eine Hälfte des Elektro-Duos Anna Otta kennen. Nach gut 5 Jahren als Gegenpol zu Martin Bechler bei Fortuna Ehrenfeld, verschiedenen Veröffentlichungen mit Anna Otta, wo ein Anhören absolut lohnenswert ist, und verschiedenen Projekten mit einem Fokus auf die Bereiche Musik und Tanz, war es für Sie an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Ihre musikalischen Ideen hat sie auf ihrem zweiten Soloalbum festgehalten, und wir haben uns darüber und auch über die anstehende Tour mit ihr persönlich unterhalten.
Im Frühsommer 2022 kündigte sie Ihren Ausstieg bei Fortuna Ehrenfeld an. Die Entscheidung traf Jenny Thiele ebenso bewusst, wie den Einstieg vor fünf Jahren, da nun nach der Zeit in der Band der passende Zeitpunkt war, um einen anderen künstlerischen Raum zu betreten und ein neues, musikalisches Kapitel aufzuschlagen. In ihrem Verständnis bestehen die künstlerischen Projekte in Räumen nebeneinander und sie möchte sich die Freiheit nehmen, diese Räume zu betreten und in ihnen zu gestalten. Anna Otta ist ebenso ein Teil von ihrer künstlerischen Vita wie die Tanz- und Theaterprojekte aber auch Fortuna Ehrenfeld, was in den letzten Jahren sehr viel Raum eingenommen hat. Ihre Erfahrungen aus der Arbeit mit Martin Bechler bei Fortuna Ehrenfeld beeinflussen das Album. Beim Songwriting setzt sie, durch diese Erfahrungen bedingt, auf Reduktion und Klarheit. Die minimalistische Poesie der Texte lässt dem Zuhörer Raum für Abstraktion und eigene Gedanken. Ihre Songideen hat sie in ihrer Wohnung aufgenommen. Dabei wurde ihr im Produktionsprozess immer bewusster, dass sie das Pure, Ungeschönte und Unperfekte bevorzuge, was die Songs aus den Wohnzimmersessions ausstrahlen. Dieser Minimalismus war es, den sie für Killing Time wollte. Die Instrumentierung und der Aufnahmeort bilden einen Gegenpol zu Ihrer Stimme, die durch ein Gesangsstudium ausgebildet wurde. Das wurde ihr aber im Verlauf der Zeit erst klar. Einige Songs hat sie von einer Band einspielen lassen. Was sie aber im Nachgang verworfen hat, da es nicht ihren Vorstellungen entsprach und die Songs gelangten in der ursprünglichen Form auf das Album.
Einen wichtigen Part nahm René Tinner ein, den Jenny Thiele durch die Arbeit mit Fortuna Ehrenfeld kennengelernt hatte. Er produzierte das Album und unterstützte sie mit einem Blick von außen auf die Songs. Laut ihren Ausführungen wusste sie in dem Arbeitsprozess irgendwann nicht mehr, was war gut, was war schlecht, was konnte so bleiben und wo war noch eine Veränderung von Nöten. Nach dem sie mit der Aufnahme fertig war, wurden alle Spuren an Tinner gesendet. Seine Arbeit beschreibt sie wie folgt: „Er hat dann nochmal sortiert. Er hat noch Sachen rausgeschmissen und hat gesagt, das brauchen wir nicht, und hat aber auch die Essenz und die Arrangements der Songs gefunden. Das war total cool, da du auch irgendwann blind wirst und nicht mehr weißt, was dazu gehört und was nicht“. Sie hat zum ersten Mal in dieser Form gearbeitet, wodurch der Produktionsprozess des Albums im Gegensatz zum Schreiben knapp 18 Monat gedauert hat.
Die Arbeit und Energie ist auf Killing Time zu hören. Die 11 Songs stehen für sich und haben einen hohen Wiedererkennungswert. Neben der Stimme Jenny Thieles und ihrem Gesang werden die Songs durch die minimale Instrumentierung getragen. Sie entwickeln einen außergewöhnlich einprägsamen Charakter und bleiben im Ohr. Auch wenn die Künstlerin nicht genauer darauf eingehen möchte, so versichert sie, dass Loonie, der es fast ohne Veränderungen auf das Album geschafft hat, und Juiciy beating muscle für sie besondere Bedeutung haben. Die Favoriten des Redakteurs – Archie, The Park und Oh boy – sind für sie die Songs des Albums, zu denen der Zugang nicht so direkt möglich ist. Das Urteil soll jede Person für sich fällen. Der Facettenreichtum und der Charakter ihres Albums wird schlussendlich auf der Bühne zum Tragen kommen, wie erste kleine Konzerte Ende 2022 gezeigt haben. Neben den unterschiedlichen musikalischen Wurzeln, von denen deutscher Indiepop neben Soul, Punk und Elektro der geringste Einfluss ist, wird sie ihr Bühnentalent voll ausspielen, das Publikum in den Bann ziehen und mit ihrer Ausstrahlung einnehmen. Dieses Album wird sie im Frühjahr mit einer Tour live spielen. Zudem wird Killing Time nach der Veröffentlichung als CD im Herbst nun auch auf Vinyl erscheinen. Ein Konzertbesuch auf der Tour, die am 12.03.2023 in Dortmund beginnt, ist eine uneingeschränkte Empfehlung.
Trackliste: Juicy beating muscle/ Loonie/ Oh boy/ Archie/ Love/ Unknown/ The Park/ Killing time/ Almost going home
Unsere Wertung:
Ohr d’Oeuvre: Archie, The Park, Oh Boy
Gesamteindruck: 7/10
Live zu sehen ist Jenny Thiele mit dem Album im Frühjahr hier:
12.03.23 Dortmund, Junkyard
18.03.23 Freiburg, Studio pro Arte
20.03.23 Köln, Weltempfänger Hostel
13.05.23 Stuttgart, Vive la Vie Festival
16.05.23 Nürnberg, Club Stereo
18.05.23 Lindau, Zeughaus
19.05.23 Karlsruhe, Tollhaus
14.07.23 Speyer, Liederfest