Christian Keßler ist wahrscheinlich für viele Filminteressierte im deutschsprachigen Raum DIE INSTANZ, wenn es um die etwas abseitigeren Spielarten des Unterhaltungskinos geht. Anders als beim moralinsauren Robert Zion, oder bei dem eventuell / möglicherweise (jedenfalls nicht komplett ausgeschlossen) etwas selbstverliebten Prof. Dr. Marcus Stiglegger, steht bei Keßler der Fun im Mittelpunkt. Für alle die ihn nicht kennen: Keßler ist mit großer Sicherheit der sympathischste und angenehmste Mensch, den man auf Facebook (auf Instagram oder TikTok ist er mit Sicherheit nicht) finden kann. Er ist das Leitbild der deutschen Cinephilie.
Die „deutsche Cinephilie“ ist ein loser Verbund von (meist männlichen) Filminteressierten, für die zeitgenössische Arthaus-Hits der Antichrist, und Til Schweiger der Heiland ist. So und nicht anders, wird es auch irgendwann über die „deutsche Cinephilie“ auf Wikipedia nachzulesen sein. Die Topthemen in dieser Gruppe sind: Darf man SUSPIRIA wirklich nur als Technicolor-Kopie sehen? Ist MISSION TO MARS von Brian De Palma Ultrakunst® oder ein Eimer Pisse™? Hat John Carpenter nach THEY LIVE nochmal einen brauchbaren Film gedreht? Wann erscheint endlich ein neuer BIBI & TINA Film?
Dass es unter den Angehörigen dieser Gruppe gelegentlich zu Meinungsverschiedenheiten kommt, kann man sich bestimmt vorstellen. Und hier kommt Christian Keßler ins Spiel. Allein seine (digitale) Anwesenheit verhindert die komplette (verbale) Entgleisung. Nicht dass man jetzt denkt, Keßler würde sich in schnöde Diskussionen einmischen. Es ist einfach seine Präsenz und Aura. Man kann ihn sich als die ZEN-Gelassenheit oder als den Friedensrichter der deutschen Filmkritik vorstellen. Er selber würde niemals irgendeinen Film als Total-Schrott bezeichnen. Dafür ist seine Wertschätzung gegenüber dem Filmschaffen viel zu groß. Das bedeutet aber auch nicht, dass er jeden Blödsinn selig spricht. Er schreibt dann lieber, dass man es nicht unbedingt mit einem „großen Grübelwerk“ zu tun hat.
Überhaupt Keßlers Sprache. Auch im neuen Buch „Bleigewitter über Cinecittà“, in dem er sich dem italienischen Gangster- und Polizeifilm widmet, schlägt er Kapriolen wie „nach dem Kucken riecht die ganze Wohnung nach Fisch, und das Vorhandensein einer Dusche zahlt sich aus“, oder „definitiv keiner von Frau Schwarzers Lieblingsfilmen“. Das spricht selbstredend eher Fans von Rainer Brandt, als Leser:innen der Filmlöwin an. Und hat dennoch in der schreibenden Zunft einen viel größeren Impact, als man auf den ersten Blick vermutet. Wer sich in Deutschland mit Film beschäftigt, liest auch Texte von Christian Keßler. Aber nicht nur die Filminteressierten. Il re dell’Italo-Pop Eric Pfeil nennt bei den Büchern, die ihn beeinflusst haben, Christian Keßlers Pionierarbeit über den italienischen Horrorfilm „Das wilde Auge“.
Man muss jedenfalls nicht erst andere (Sach-)Bücher oder irgendein Vorwissen mitbringen, um mit „Bleigewitter über Cinecittà“ etwas anfangen zu können. Wie bereits gesagt: Hier geht es um den Fun!
Christian Keßler – Bleigewitter über Cinecittà
Gangster- und Polizeifilme im italienischen Kino von 1960-1984
Martin Schmitz Verlag
360 Seiten
Hardcover
ISBN: 978-3-927795-99-0
Foto: Reanimate – Arne van Lessen
so viele Sternstunden des Filmbetrachtens wären ohne C.K. nicht in meiner vita.
Danke für den Buchtipp !