Dass im letzten Jahr einige Konzerte aufgrund des Zustandes des SISTERS OF MERCY Vorsitzenden Andrew Eldritch abgebrochen und (teilweise als sich das Publikum schon in der Halle befand) abgesagt wurden, dürfte inzwischen bekannt sein. Aber fangen wir doch lieber mit etwas Angenehmem an.
Aus Macclesfield ist heute deren berühmteste Band – das ehemalige Trio THE VIRGINMARYS – zu Gast. Im letzten Sommer feierten sie das zehnjährige Jubiläum ihres Albums „King of Conflict“; mit zwei in wenigen Stunden ausverkauften Konzerten. Anlässlich der Feierlichkeiten gesellte sich sogar der ehemalige Bassist zurück zu seinen ehemaligen Kollegen. Bei ihrem Anwärmkonzert im Carlswerk Victoria wird der Bass nur aus der Konserve (ab-)gespielt. Dafür hat der Schlagzeuger nicht einen an der Glocke, aber eine solche (und sogar ein besonders schönes Exemplar) dabei. Trotz des offensichtlichen Bass-Playbacks kommt der Power-Rock von THE VIRGINMARYS ganz gut an. Trotzdem: Komplett live gespielte Musik wird gerade bei Supporting-Shows immer seltener. Dafür werden die Konzertkarten immer teurer, der Aufwand und die Kosten für die Veranstalter immer höher, die Erwartungen der Konzertbesucher:innen immer geringer. Und die Bereitschaft sich mit Quatsch zufrieden zu geben immer größer. Das soll noch jemand verstehen. Aber es wird noch komplizierter.
Kurz nach 9 startet das Hauptkonzert. Hier klingt die (immerhin historisch authentisch, haha) dargebotene Instrumentierung, als würde Turntablerocker Chris Catalyst sie direkt komplett aus der Konserve abspielen. Man weiß es nicht. Dafür können die Gitarristen Kai und Ben Christo später ausgiebig Rücken an Rücken spielen. So etwas Schönes hat man lange nicht gesehen. Daran dass man es nicht mit einem Playback-Auftritt zu tun hat, wird man aber sehr schnell von der Oberschwester Andrew persönlich erinnert. Immer wieder röchelt, oder krächzt sich der 64-jährige durch die 19 Stücke umfassende Setlist, die er in der exakt gleichen Reihenfolge, wie bei den letzten beiden Konzerten, heute Abend wieder kredenzt. Manchmal denkt man er würde ins Mikrophon rülpsen. Dann wieder überschlägt sich seine Stimme. Ob man als Sänger bei einem Konzert jetzt lieber eine Störung des oberen (Speiseröhre) oder des unteren Schließmuskels (Anus) haben will, wenn man sich entscheiden müsste… Schwierig! Das sollen liebe andere entscheiden. Ich stelle mal die These auf, dass ich in den letzten dreißig Jahren jedenfalls schon mehr Konzerte gesehen habe, bei denen sich auf der Bühne jemand in die Hosen gemacht hat, als Konzerte, bei denen jemand solche Stimmprobleme wie Eldritch hatte. Jemand hinter uns sagt, dass dies „das schlechteste Konzert, das er jemals gesehen hat“ wäre. Das ist natürlich Unfug! Im vorderen Teil der Halle ist die Stimmung ganz hervorragend. Was aber auch nicht weniger verwirrend ist. Man freut sich nach 80 Minuten Spielzeit wirklich ganz ohne Häme, dass es Andrew Eldritch geschafft hat. Sein nach der letzten Zugabe auf Deutsch gesprochenes „Bis demnächst“, meint er wahrscheinlich sogar ernst.
Foto: Comedy Central