Es ist 1996. Du denkst, dass dein bester Freund im Dorf der coolste Typ im Umkreis von mindestens zwei Tankladungen ist. Er ist der Wächter eines unerschöpflichen Gras- und Haschischvorrats. Zusammen habt ihr schon ziemlich viele Bongs zerraucht. Die Lederhose trägt dein Freund, weil er Jim Morrison von allen Rockstars am besten findet. Kurz danach kommt direkt Mark Hollis. Obwohl der eigentlich gar kein Rockstar ist.
Wenn ihr mal wieder mit dem Auto unterwegs seid, um Nachschub bei echt ultra bescheuerten Idioten zu holen, bei denen ihr euch immer mindestens anderthalb Stunden lang irgendeinen Quatsch (im besten Fall einfach nur dummes Gelaber) anhören, oder als Worst Case Szenario, bei einem polytoxen Schulbusfahrer erst seine neuen Lieder loben müsst, die er angeblich gerade erst (immer das selbe Spiel und die selben Lieder) mit SEINER BAND aufgenommen hat (DIE POLYTOXEN SCHULBUSFAHRER, oder was??), bevor er sich dann endlich dazu bequemt, die Waage auszupacken, um euch mit schwarzem Afghanen zu versorgen, dann läuft auf der Hinfahrt IMMER „Vision Thing“ von den SISTERS OF MERCY. Der CD-Player des Opel Astra Cabrios punktet theoretisch mit ausgetüftelter Ingenieurkunst: einer Funktion, bei der die Laustärke der abgespielten Musik, bei zunehmender Fahrtgeschwindigkeit – ergo lauteren Außengeräuschen – automatisch angepasst wird. In der Praxis wird die Musik irgendwann zu einer unerträglichen Krachscheiße. Meistens dann, wenn man mit ungefähr 180 Stundenkilometern unterwegs ist. Und IMMER schafft es der verdammte Krachscheiße-Player nicht durch den zweiten Track. IMMER hakt das Ende von „Ribbons“. DoDoDoDontbebebebebeafraidjustwawawawawawalkininin. Das Ganze ist eine echte Nervenprobe, bevor der eigentliche Zirkus überhaupt erst stattfindet. Um die Humoreske zu vollenden, holt dein Freund schließlich die CD mit oscarreif gespielter Verwunderung über die technischen Probleme während der zumindest akustisch abrupt unterbrochenen Hochgeschwindigkeitsfahrt aus dem CD-Player; schaut sich die Rückseite der völlig verdreckten und hoffnungslos zerkratzten CD an, und beginnt anschließend den optimistischen, aber völlig sinnlosen Versuch, sie an seiner speckigen Lederhose sauber zu wischen. Trotz dieser Probleme: Für diese Art von Autofahrt waren die SISTERS OF MERCY der beste Soundtrack. Aber nur auf den Hinfahrten. Zu der Stimmung und Verfassung bei den Rückfahrten passte Hiphop besser.
Was Dein Freund heute so macht, weißt du nicht. Es würde dich aber nicht wundern, wenn alles noch genauso wie 1996 ist. Bei Andrew Eldritch, dem Oberchef und seit 1984 (!) einzigen Gründungsmitglied von THE SISTERS OF MERCY, ist ganz sicher noch alles wie 1996. Dafür muss man nur auf die Band-Homepage schauen. Im letzten Jahr lief es bei den Konzerten wohl nicht ganz so gut für ihn. Jetzt werden die abgebrochenen und geplatzten Shows nachgeholt. Der Rock’n Roll Lifestyle fordert seinen Tribut.
Das Frühwerk hört sich ja noch mehr wie diese russische Band an, von der immer das eine Lied hochgepitched bei diesen Instagram Brutalismus-Architektur Reels als Hintergrundmusik gewählt wird. Oder abgekürzt: so ähnlich wie JOY DIVISON.
Ab Album zwei klingt die Chose wie die Amphetamin geschwängerte Allmachtsphantasie eines Geisteskranken mit Faible für Gospelgesang, der sich den Soundtrack für eine Orgie unter Gruftis selber eingespielt hat. Den Einfluss auf andere Spinnerbands wie RAMMSTEIN kann man wohl nicht hoch genug einschätzen. Versuche, die Performance mit Humor (oder auf andere Metaebenen) zu erweitern, wie man sie bei RAMMSTEIN inzwischen nur noch als abstoßend und verlogen zur Kenntnis nehmen kann, zumindest wenn man einen Rest von Anstand besitzt, gab es bei Aldritch nie. Ebenfalls anders als bei der deutschen Sado-Maso Witzband, haben Größenwahn oder gar gemeingefährliches Verhalten bei Eldritch auch nie eine Rolle gespielt. Obwohl das mit der kompletten Abwesenheit von Humor so auch nicht stimmt.
Um aus einem Vertrag mit Warner Music zu kommen, gründete Eldritch nämlich einmal eine Band namens SSV-NSMABAAOTWMODAACOTIATW (bedeutet wohl: Screw Shareholder Value – Not So Much A Band As Another Opportunity To Waste Money On Drugs And Ammunition, courtesy Of The Idiots At Time Warner), mit der er eine gezielt schlechte Aufnahme anfertigte, die die Auflösung seines Vertrags provozieren sollte. Wahrscheinlich ist der Mann einfach der letzte echte FuckYouAll-Charakter der Rockmusik.
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Foto: thodorismakou.com