Zugegeben, ein wenig Verwunderung löst das Klientel auf dem Ehrenhof-Terrain schon aus, welches sich am heutigen Abend auch anscheinend auf dem Weg zum Konzert des englischen Großmeisters der spanischen Gitarre aka Charlie Cunningham befindet. Das Rätsel ist schnell gelöst: Die extrem gutaussehenden und stylish daherkommenden Zoomer wollen die Party der Sneaker-Ausstellung im NRW-Forum besuchen. Und nehmen dafür eine Berghainsche Warteschlange unter katastrophalen Winterwetter-Verhältnissen in Kauf.
Im Foyer des Robert Schumann Saals wartet bereits die mindestens genauso extrem gutaussehende und geschmackvoll gekleidete Zuhörerschaft ebenfalls auf Einlass. Binnen weniger Minuten haben die 800 Besucher im ausverkauften Saal Platz genommen. Und es kann losgehen!
Einen besseres Support als die Yann Tiersen Gattin Émilie Tiersen, die unter ihrem Mädchennamen Quinquis operiert, oder genauer unter ihrem Mädchennamen in frankophoner Schreibweise (sprich: kɛ̃kis), kann man nicht engagieren. Zu Beginn ihres kurzweiligen Vortrags verrät sie dem Publikum dass Cunningham heute seinen 40. Geburtstag feiert, und animiert zu einem spontanen Ständchen, dass aber erst nach ihrem Set bei Betreten der Hauptattraktion gesungen werden soll. Was auch alles so stattfinden, und bei Cunningham tatsächlich (wie er am Ende seines Sets verrät) zu einer schönen (und ihn etwas kalt erwischenden) Überraschung wird. Ihre elektronischen Tracks sind formal nicht unbedingt weltbewegend, die düsteren Geschichten von tödlich verunglückten Seefahrern und anderen morbiden Themen, die sie vor den Songs erzählt (und gefühlt die gleiche Laufzeit wie die eigentlichen Lieder haben) aber umso mehr. Ist vielleicht auch ganz gut von ihr etwas vorab zu erklären, denn die Stücke werden auf Bretonisch, Färöisch und Walisisch gesungen.
Nach dem Geburtstagsständchen beginnt der wirklich sichtlich überraschte Cunningham mit seinem Konzert. Aus der neuen Platte „Frame“ gibt es insgesamt fünf Lieder, genauso viele wie aus dem Vorgänger „Permanent Way“. Über das Album hat mal jemand geschrieben, dass eigentlich nur die Ideen aus dem Debüt mit aufwendigerer Instrumentierung aufgeblasen wurden. Das neue Album klingt ein wenig – zumindest die Produktion des Schlagzeug-Sounds – wie dieser minimalistische Nu-Jazz von GOGO PENGUIN. Ob das jetzt eine gute Eigenschaft ist oder nicht, mag jeder selber entscheiden.
An der Qualität der Songs, am Auftritt selbst, gibt es jedenfalls nichts zu mäkeln. Der Umzug von mittelgroßen Clubs in bestuhlte Konzertsäle wäre angesichts der dargebotenen Kunst überhaupt nicht nötig gewesen. Die notwendige Konzentration generiert sich automatisch aus den Liedern. Cunninghams Material ist einfach zu gut und profitiert eindeutig von der live dargebotenen Variante. Selbst das karge (beinahe) Instrumental „Water Tower“ zieht das Publikum in seinen Bann. Überhaupt faszinieren auch die neuen Tracks, bei denen Cunningham die spanische Fliege, äh, Gitarre gegen ein Piano eintauscht. Nach „Water Tower“ folgen im letzten Teil der Show aber ausschließlich die beliebten (und meistgestreamten) Tracks aus der vorangegangen Alben und EPs. Dabei hält es eine Zuhörerin nicht länger auf ihrem Stuhl aus. Kurzerhand wird der Seitenstreifen zum Ausgang für extrovertierte Tanzbewegungen zweckentfremdet. Besser alleine im Konzertsaal am Notausgang tanzen, als im Regen auf Einlass zu einer Sneaker-Ausstellung warten. Die Schlange draußen ist zweieinhalb Stunden später immerhin aufgelöst.