Als ein Freund von dem Film „Alter weißer Mann“ im Sommer zum ersten Mal erzählt, halten wir die Sache für einen verspäteten Aprilscherz. Der Titel und die Hauptrolle mit „Allesdichtmachen-Jan“ scheinen jedoch kein Hoax zu sein. Der vor knapp zwei Monaten veröffentlichte Trailer ist dann sogar durchgehend lustig. Größer kann die Verwirrung nicht sein. Die vom Verleih schließlich der Presse vorgeführte Workprint-Version mit eingeblendeten Veränderungswünschen, ohne Colorgrading und in gefühlter 576i-Auflösung auf einer mindestens 15 Meter großen Leinwand, dient als Grundlage für diesen Text. Keine besonders guten Voraussetzungen also.
Typisches Wellness-Kino oder echte Subversion
Im neuen Film von Simon Verhoeven, dessen gelungenes Milli-Vanilli-Biopic „Girl You Know It’s True“ immerhin knapp 400.000 Zuschauer in die Kinos locken konnte, wird Liefers, bzw. seine Figur Heinz Hellmich, als Familienvater und Mitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens mit so manchen privaten und beruflichen Problemen konfrontiert. Eine in Aussicht gestellte Beförderung beim sich neuerdings ziemlich divers gebenden Arbeitgeber könnte die dringend benötigte finanzielle Befreiung darstellen, nachdem Hellmich beim Aktienkauf mit der Onlinebroker-App leider die Lesebrille vergessen und sich so ziemlich in die Nesseln gesetzt hat. Unabhängig von den finanziellen Schwierigkeiten läuft es in der Ehe mit Gattin Carla – gespielt von Nadja Uhl – auch nicht mehr ganz rund.
Bedingung für die ersehnte Beförderung ist die Ausrichtung eines Abendessens im Privaten, mitsamt Hellmichs Familie, dem Chef, diversen Beratern und Mitarbeitern des Unternehmens. Die Abendgesellschaft soll nach einigen Missverständnissen als Beleg für Hellmichs Commitment gegenüber der neu behaupteten Geschäftsethik dienen. Und natürlich werden alle Disharmonien am Ende aufgelöst sein. Auch wenn es eine sanfte Kapitalismuskritik gibt (der Chef – das darf ja wohl nicht wahr sein – ist auf den neuen progressiven Pfaden nur des schnöden Mammons wegen unterwegs), will der Film natürlich keine tiefgründige Wokeness-Debatte anstoßen. Dafür gibt es ja Thomas Gottschalk; oder so ähnlich.
Die seltsamen Wege der Marktforscher und Filmförderung
Als kurzweilige Komödie funktioniert der Film von Verhoeven jedoch mehr als gut. Damit man die Förderung aus dem Berlin-/Brandenburg-Filmfördertopf noch mitnehmen kann, muss der ansonsten in NRW gedrehte und geförderte Film seinen Protagonisten für die im deutschen Unterhaltungskino schon „obligatorische Drogenkonsum-Szene mit bürgerlichem Klientel“ in die Hauptstadt reisen lassen. Und aus diesem unfreiwilligen Schlenker schlägt das Drehbuch, welches Regisseur Simon Verhoeven ebenfalls verantwortet, vielleicht sogar sein größtes Kapital. Ich will nicht verraten, nur vielleicht, dass ich einen mehrminütigen Lachanfall „durchstehen“ musste.
Weshalb man Elyas M’Barek für einen aufgeblasenen Cameo engagiert und ins Buch geschrieben hat, wissen nur die Marktforscher. Ein schrecklicher Nichtschauspieler, der neben Liefers, Uhl und der wunderbaren Meltem Kaptan („Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“) in seinen Szenen blass bleibt. Die heimliche Hauptattraktion ist Friedrich Thun („Schindlers Liste“) als nichts mehr begreifen wollender Großvater. Nur mit dem Casting von Dieter Hallervorden hätte man diese Performance noch toppen können. Aber der hatte wahrscheinlich keine Lust auf den Film und seine Message. Man kann nur hoffen, dass Verhoeven mit seinem Film das Publikum und den Zulauf erhält, den sein sehr gelungenes Werk verdient hat.
Fotos: ©2024 LEONINE Studios