Am kommenden Freitag bringt der Berliner Musiker Chris Imler sein aktuelles Album „The Internet Will Break My Heart“ ins Kölner Gebäude 9. Bekannt durch seine Beteiligungen bei den Bands DIE TÜREN und OUM SHATT hat sich Imler mittlerweile durch seine Soloarbeiten auch international einen Namen gemacht – der Guardian kürte sein neuestes Werk gar zum „besten experimentellen Album des Monats“. Im Interview mit uns spricht er über seinen Schaffensprozess, die Entwicklung des Musikmarktes und seinen Weg durch die Berliner Musikszene.
JMC: Erstmal herzlichen Glückwunsch zur neuen Platte („The Internet Will Break My Heart“)! Dass die ziemlich gut geworden ist, haben ja anscheinend auch schon ein paar andere Leute festgestellt. Als ich von dem Guardian-Artikel zu Deiner Platte („Bestes experimentelles Album des Monats“) gehört habe, hat mich das gar nicht so sehr gewundert. Ich sehe ja immer: Chris Imler, in Italien, in Großbritannien… Du bist anscheinend ziemlich gut vernetzt.
Chris Imler: Es ist so, dass ich gar nicht überall so gut vernetzt bin. In Großbritannien ist das durchaus eine neue Entwicklung. Das fing mit einem Auftritt in London an, da kam ein Redakteur, NTS Radio, sehr betrunken, aber auch glaubhaft als großer Fan auf mich zu, um mich ins Radio einzuladen. Und um mich weiter wichtig zu machen…gestern hat sogar die französische Zeitung Libération angekündigt einen Artikel über mich zu machen. Interessanterweise habe ich erst nach fast zwei Wochen bemerkt, dass in einem sehr gut versteckten Instagram-Nachrichtenordner viele Medienanfragen auf mich warteten. Das läuft wirklich super – ich kann mich nicht beschweren.
JMC: Bei der Platte hast du wieder mit Benedikt Frey zusammengearbeitet und mit Leo James, einem australischen DJ und Produzenten. In den Credits taucht dann auch noch Jens Friebe auf. Inwiefern war der am Songwriting-Prozess involviert?
Chris Imler: Benedikt ist die Person meines Vertrauens und ich bin mit ihm fast immer einer Meinung. Jens ist ein dicker Freund von mir. Wenn ich, gerade in der ersten Entwicklungsphase nicht weiterweiß, dann ist Jens derjenige, der sich meine Sachen anhören muss. Es kommt durchaus vor dass ich bei einem Stück textlich nicht mehr weiterkomme oder sogar überhaupt noch gar keinen Text habe. Meist findet die Zusammenarbeit mit ihm auf der Textebene statt.
JMC: Die aktuelle Produktion ist so dermaßen fett, also gerade die Tiefen und Basslinien, dass bei mir beim Anhören fast die Wohnung eingestürzt wäre. In Bezug auf die Produktion ist das, finde ich, wirklich bisher deine stärkste Platte. Live hast Du fast einen Trademark-Sound, den ich als sehr perkussiv beschreiben würde. Nicht unbedingt als fettes Gepumpe. Und da frage ich mich, ob so ein aufwendig produziertes Album vielleicht sogar ein wenig kontraproduktiv sein kann. Oder werden die neuen Beats einfach auf deinen Maschinen gespeichert und dann abgespielt? Wie setzt Du das live um?
Chris Imler: Es ist so: Die Art und Weise, wie ich es mache, bedeutet natürlich maximale Macht auf meiner Seite, da ich einen Sampler benutze. Die Einschränkung ist, dass die Samplersounds in 16Bit-Qualität sind, ich also gewisse klangliche Einbußen hinnehmen muss, dafür aber starten und abbrechen kann wann ich will. Und so kann ich natürlich Breaks machen, die du sonst mit einer Band nicht hinbekommen würdest. Oder du müsstest üben ohne Ende. Ich bin auch nicht mal gegen das Proben. Ich tue es einfach nicht! Das deckt sich übrigens mit der Arbeitsweise bei den TÜREN.
JMC: Brezel Göring hasst das auch wie die Pest. Der sagt, dass er damit eine besondere Energie bewahren will. Und die kommt laut seiner Aussage nur spontan aus dem Moment. Das wäre viel interessanter als tagelang zu proben.
Chris Imler: Bei mir beruht es eher auf der Unmöglichkeit einem selbstgesteckten Zeitplan zu folgen. Es gibt heute, was ein echter Verlust of the Beauty of Rumpeln ist, auch keine klassischen Amateur-Bands mehr. Durch Tutorials und so weiter hat sich alles, in Anführungszeichen, professionalisiert. Es wird dann eher wieder versucht Fehler, also den Human Factor und irgendwelche Verstimmungen künstlich und oft im Nachhinein wieder in die Musik zu bekommen. Man stellt sich quasi die ganze Zeit selbst das Bein, weil in Punkto Perfektion die KI eh unschlagbar ist.
JMC: Es heißt in dem gleichnamigen Titeltrack „The Internet Will Break My Heart“ an einer Stelle: „Ich höre 100.000 Lieder“. Das beschreibt die neue Konkurrenzsituation und diese unfassbare Verfügbarkeit und Menge von Musik, oder? Stella Sommer von DIE HEITERKEIT hat ihre letzte Platte, die vorletzten Freitag erschienen ist, gar nicht mehr über Spotify komplett veröffentlicht, sondern nur als EP mit Auszügen. Sie hat es so beschrieben, dass es ihr vorkommt, wenn man neue Sachen veröffentlicht, dass man die in einen digitalen Abgrund reinschmeißt und darauf wartet, was passiert.
Chris Imler: Ich sag mal so, wenn du das Leitungswasser in Deutschland nicht mehr trinken kannst, weil es vergiftet ist, dann musst du das akzeptieren. Dann trinkst du das nicht mehr, falls du es mitbekommen hast. Der Downgrade von Musik ist ja einfach aufspürbar. Insgesamt sind die Leute überlastet. Und Musik ist unter Druck. Und diese Drücke sind einfach überall. Das ist eine große Umwälzung. Es heißt bei mir „The Internet Will Break My Heart“, das klingt lyrischer als „The Internet Broke My Heart“. So ist es immerhin eine noch nicht komplett abgeschlossene Liebesgeschichte. Der Raum ist ein bisschen größer. Und da geht es natürlich auch darum, dass alles mit einer Riesenverheißung begonnen hat. Wir dachten, dass wir jetzt alles mitbekommen, jede Menschenrechtsverletzung, alles. Aber das Gegenteil ist natürlich passiert. Das Ganze ist jetzt in der Hand von wenigen privaten Firmen. Es ist so, als wäre die Bibliothek jetzt plötzlich privatisiert. Und was Stella Sommer sagt, ist natürlich ein passendes Bild.
JMC: Dich selber betrifft das also anscheinend nicht so sehr. Oder hast du auch schon mal darüber nachgedacht, deine Sachen nicht mehr bei Spotify zu veröffentlichen und auch nur noch direkt über Bandcamp?
Chris Imler: Ich kenne diese Diskussion. Ich denke man muss es sich leisten können. Zum Beispiel die Vorstellung ein Buch zu veröffentlichen ohne Internet wäre doch völlig sinnlos, außer man ist bereits sehr etabliert oder möchte das es erst posthum entdeckt wird.
JMC: Dann bekommst du keinen Traffic oder keine Relevanz. Ich wundere mich jedes Mal immer wieder, wenn zum Beispiel eine neue Platte von den Türen rauskommt. Also gerade bei den letzten beiden Platten fand ich es sehr auffällig. Diese beiden letzten Alben sind sicherlich theoretisch das interessanteste Angebot in der deutschen Musikbranche. Schaue ich mir die Streamingzahlen auf Spotify an, ärgere ich mich, dass das von so wenigen Leuten wahrgenommen wird.
Chris Imler: Das ist zwar ärgerlich, sagt aber nur zum Teil etwas über die Verbreitung der Stücke aus….ok vielleicht ja doch, aber die Vinyls gehen auch ziemlich gut weg. Auch ich habe bei meinen Liveauftritten relativ viele verkauft. Insofern geht es in Ordnung. Aber klar, wenn du es persönlich nimmst…Dann ist man da natürlich immer gekränkt. Man weiß, man kommt nicht durch.
JMC: Angesichts des Aufwands, der von euch betrieben wird. Die Alben wirken nicht gerade wie aus der Hüfte geschüttelt. Eklektizismus wird gemieden. Eher hat man es mit High-Concept zu tun. Jedenfalls bei den TÜREN. Das erfolgreichste Projekt, an dem du beteiligt bist, jedenfalls in Bezug auf Streams, ist OUM SHATT.
Chris Imler: Das ist auch schon ein anderes Genre. Ich muss dazu sagen als Jonas Poppe und ich Oum Shatt gegründet haben, hat das so keiner gemacht. Das gibt es aber mittlerweile als Format. Natürlich hatten wir Vorbilder, wie Erkin Koray. Solche Leute aus der Türkei oder aus Syrien. Und Umm Kulthum, eine ägyptische Sängerin mit Orchester im Hintergrund. Wir waren einfach schwer begeistert von diese Art von Musik. Wir haben das allerdings dann acht Jahre lang nicht mehr weitergeführt. Gleichzeitig gehört unsere Musik auch in den Bereich Indie oder so. Da können die Leute eher andocken. Das ist, wie soll ich sagen, weniger eckig, mehr charmant und besser goutierbar.
JMC: Ist es von dir eine bewusste Entscheidung, dass Du nicht nostalgisch klingen willst. Es gibt ja offensichtlich schon Einflüsse, wie von SUICIDE oder von mir aus auch vom Krautrock. Was treibt dich an beim Musikmachen?
Chris Imler: Also die Antwort ist natürlich, es fließt einfach so aus mir heraus. Die Wahrheit ist: Ich möchte natürlich dass es irgendwie speziell klingt. In einer Garage-Punkband in der ich anfing in Berlin Musik zu machen war ich ein großer Fan von Nachahmung. Natürlich von 60er-Bands, die ich als Vorbilder hatte. Ich dachte immer, so schnallst du erstmal, was eigentlich vorliegt. Wenn du dahinter kommst, wie vielschichtig diese Simplizität ist. Ähm, das ist ein bisschen paradox, aber so ist es eben. Also sozusagen Musik, die den nächsten Atomschlag auch noch überleben würde.
JMC: Wenn die Komposition stimmt, ist die Form also nicht so wichtig?
Chris Imler: Ja, ganz genau.
JMC: Klaus Lemke war davon sehr beeindruckt, wie die ROLLING STONES im Circus Krone in München einen neuen Song aufgenommen und dafür die billigsten Lautsprecher, die man finden konnte, verwendet haben. Und dass die damals natürlich schon alle Mittel gehabt hätten, um irgendwelche Progressiv-Rock- Boxentürme aufzubauen.
Chris Imler: Für gewisse Musikgenres ist das auch alles nicht relevant, wie beim Blues. Ab Mitte der 80er kannst du alles wegschmeißen. Das ist alles totaler Bullshit. Weil das überhaupt nicht zum Blues passt. Die Aufnahmetechnik war in ihrer Cleanheit absolut nicht passend und dazu wurde alles noch mit Overdubs zubetoniert. Das ist wie ein aufgeräumter Schrottplatz. Was für Emotionen soll diese Musik eigentlich auslösen? Wo will die bei mir andocken? Spricht das direkt zu mir, ohne Umwege? Macht es mir klar: Du bist safe! Du kannst ja auch tanzen und du wirst nicht verhaftet. Du bist in Sicherheit. Das möchte ich den Leuten gerne vermitteln. Gleichzeitig möchte ich Ihnen natürlich auch sagen: Da geht es übrigens auch noch lang. Die Tür gibt es auch noch. Die hast du nur immer nicht gesehen. Ich bin natürlich auch Raketeningenieur, wie Elon Musk. Denn ich möchte natürlich auch in unbekannte Welten vorstoßen. Ich versteige mich jetzt nicht, dass ich denke, hier wird gerade neue Musik erfunden. Aber klar, probiere ich natürlich alles mögliche aus.
JMC: In dem Buch „Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint. Staatsakt Stories“ – zum 20-jährigen Label-Geburtstag von Staatsakt – erfährt man einiges über deine Vita. Deine Kindheit war geprägt von einigen harten Schicksalsschlägen, deine ersten Jahre in Berlin von besonders prekären Lebensumständen. Wer hat da vor eure WG- oder besser Flur-Waschmaschine gekackt?
Chris Imler: Ich habe vergessen wie es heißt. Manchester Theorie? oder Broken-Windows-Syndrom… ungefähr so. Es gibt auch bei Verwahrlosung eine gewisse Mechanik. Einer traut sich
etwas, und dann wird es immer schlimmer.
JMC: War es damals eine bewusste Entscheidung von Dir, diese prekären Lebensumstände in Kauf zu nehmen, um dein Ding zu machen und eben nicht irgendwelche Jobs oder Karrieren zu verfolgen?
Chris Imler: Verrückterweise ist es viel einfacher: Ich habe einfach nicht planen können! Ich konnte nie planen! ADHS haben natürlich mittlerweile alle. Ich betreibe es allerdings als Hochleistungssport. Ich habe mittlerweile Methoden gefunden, mich selbst zu zwingen, eine Platte rauszubringen. Indem ich mir Deadlines setzen lasse. Das ist, glaube ich, das Beste. Wenn ich zum Beispiel ein eigenes Label hätte, da würde nie was rauskommen. So habe ich ein bisschen Druck und ja klar, ein bisschen Ehrgeiz habe ich auch. Und auch die Ahnung, dass ich gute Sachen mache.
JMC: Ich kann nur sagen: Nach Jahren der Selbstmedikation und ihren Folgen, wird es nach professioneller Behandlung besser. Haha.
Chris Imler: Ich mag Drogen, es macht mir viel Spaß. Aber auch nicht alle und zu jeder Tageszeit. Selbstbeherrschung wie „kein Bier vor vier“ ist wichtig. Man muss wissen, dass ich oft sehr spät auftrete, aber selbst mit irgendwelchen Substanzen vergeht die Zeit meist unverschämt langsam.
JMC: Danke für das Gespräch.
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Foto: Galya Feierman