Am Freitag, 15. August, spielen MOLCHAT DOMA im Carlswerk Victoria in Köln. 2017 in Minsk gegründet, ist die Band innerhalb weniger Jahre vom lokalen Untergrundprojekt zu einem international bekannten Namen im Post-Punk und Cold-Wave geworden. Ihr Sound ist karg, kühl und reduziert: Drum-Machine statt Schlagzeug, Synth-Flächen, eine sparsame Gitarre, Bass als Stütze, nicht als treibende Kraft, und Vocals, die stoisch und distanziert wirken. Ein irrer Kontrast zu den für Freitag angekündigten Temperaturen.
Der bekannteste Track, „Sudno (Boris Ryzhy)“, hat auf Social-Media-Plattformen eine zweite Karriere hingelegt. Entweder im Original oder in slowed-Edits dient er als Goldstandard für Reels mit brutalistischer Architektur. Die Russen mal wieder. Oder die Weißrussen. Oder genauer: die Belarusen. MOLCHAT DOMA leben inzwischen in den USA. Brutalismus war lange ein Wort für Architekturbücher oder Uni-Seminare. Heute reicht ein Blick ins TikTok- oder Instagram-Feed, und man bekommt Plattenbauten, Verwaltungsriegel und graue Monumentalbauten in Zeitlupe – unterlegt mit „Sudno“. Der Effekt ist so tief in die Netzkultur eingraviert, dass viele den Song gar nicht mehr aus dem Bandkontext kennen, sondern als „den Beton-Track aus TikTok“. Für die einen verstärkt er perfekt die Kälte und Anonymität dieser Bauwerke, für die anderen ist er längst ein Meme, das vom eigentlichen Text und Kontext nichts mehr übrig lässt. Also: Worum geht es eigentlich im Hit der Band?
„Sudno (Boris Ryzhy)“ ist die Vertonung eines Gedichts des 2001 verstorbenen russischen Lyrikers Boris Ryzhy. Der Text spielt in einem Krankenhaus, aus der Perspektive eines Menschen, der krank ist, gebrochen, dem Ende nah. Bilder von Krankheit, Resignation und Tod ziehen sich durch jede Zeile. Es geht um den Blick aus dem Krankenzimmer, um das Gefühl, vom Leben abgeschnitten zu sein, und um die Akzeptanz des unausweichlichen Endes. Ryzhy, selbst von Depressionen gezeichnet und mit 26 Jahren durch Suizid gestorben, verarbeitete darin persönliche Abgründe – MOLCHAT DOMA haben diese Worte fast wortgetreu übernommen. Dass dieser düstere Monolog heute als Meme läuft, ist eine jener Internet-Umdeutungen, die den ursprünglichen Inhalt komplett verschieben. Ein wenig so, als würde man Katzenvideos mit „Hurt“ von NINE INCH NAILS unterlegen.
Der Lo-Fi-Sound von MOLCHAT DOMA ist die nächste Seltsamkeit. Heute muss man den Verzicht auf Höhen und Bässe eigentlich als reines Gimmick wahrnehmen – sonst macht man sich schon etwas lächerlich. Früher war er klar eine Folge der verfügbaren Produktionsmittel – billige Interfaces, kleine Räume, kaum Budget –, inzwischen ist er eine bewusst beibehaltene Ästhetik. Ein kalkuliertes Stilmittel, so gezielt wie das Vorhaben, UPS würde Pakete per Postkutsche ausliefern. Die Band könnte längst in teuren Studios mit Top-Produzenten arbeiten, aber das würde den Kern ihrer Marke beschädigen. Und wenn’s den Leuten gefällt.
MOLCHAT DOMA haben den Angriff auf die Ukraine öffentlich verurteilt, Spenden an Hilfsorganisationen angekündigt und Belarus verlassen. Sie distanzieren sich von jedem Regime, vermeiden platte Parolen, der Standpunkt ist eindeutig. Dass ihre Songs trotzdem in russischen Propagandaclips auftauchen, ist ein Nebeneffekt der digitalen Verwertungslogik: Wer einmal viral geht, hat keine Kontrolle mehr darüber, in welchem Kontext die Musik genutzt wird.
Live bleiben sie minimalistisch. Keine Pyrotechnik, kein LED-Overkill, keine Choreografie. Oft klingen die Stücke fast identisch zur Studioversion, nur härter im Anschlag und dichter im Raum. Das Carlswerk Victoria mit seiner Industriearchitektur ist dafür wie gemacht. Der Nachhall der Drum-Machine, die schneidenden Synths, der trockene Gesang – alles bekommt in diesem Setting eine zusätzliche räumliche Härte.
Vorband ist RARE DM aus New York. Ebenfalls elektronisch, dunkel gefärbt, mit einer Vorliebe für entschleunigte Sounds, aber ohne die Beton- und Ostblock-Ikonografie von MOLCHAT DOMA. Mehr introspektiv als monumental, eher Club als Großwohnsiedlung. Genug Cringe jedenfalls für eine heiße Freitagnacht.
Tickets gibt es hier.







