Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit LES SAVY FAV zuletzt in Berlin auftraten. Eine kleine Ewigkeit in der Halbwertszeit des Indie-Rock. Dass die Band um Tim Harrington an diesem Sonntag tatsächlich wieder eine deutsche Bühne betritt – und nur diese eine – wirkt fast wie ein Ausrutscher.
LES SAVY FAV waren immer die Ausnahme. Ihre Konzerte: ein Kontrollverlust. Ihre Alben: Unruhe. In den späten Nullerjahren galten sie als die inoffizielle VICE-Band – nicht, weil sie für die Marke standen, sondern weil sie diese Ära prägten. Der Exzess war intelligent, die Ironie präzise, das Energielevel konstant hoch. Während andere sich an Authentizität abarbeiteten, machten LES SAVY FAV sie zum Konzept. Sie passten perfekt in eine Zeit, die noch nicht wusste, wie sehr sie bald nach Bedeutung hungern würde.
Harrington war damals ein Bühnenwesen, das in einem Atemzug Clown, Philosoph und körperlicher Beweis dafür war, dass Rockmusik als soziales Experiment noch funktionieren konnte. Er sang selten schön, aber immer wahr. Der Rest der Band – Seth Jabour, Syd Butler, Harrison Haynes – hielt den Rahmen: präzise, rhythmisch, stoisch. Die Spannung lag genau dazwischen.
Die beiden Alben, an denen sich das Erbe am deutlichsten zeigt, erschienen in kurzer Folge: „Let’s Stay Friends“ (2007) und „Root for Ruin“ (2010). Das erste – fast kammermusikalisch für eine Punkband – suchte die Balance zwischen Aggression und Form. Songs wie „The Equestrian“ oder „Patty Lee“ klangen, als würden TELEVISION und FUGAZI gemeinsame Sache machen. Das zweite, „Root for Ruin“, ein Nachglühen: direkter, schärfer, entschlossener. „Appetites“ und „Dirty Knails“ führten den Ansatz zu Ende, ohne ihn zu wiederholen. Diese beiden Platten sind heute wie Scharniere zwischen den Jahrzehnten – von der MySpace-Ära ins Zeitalter der Streaming-Routine.
Wer damals jung war, las VICE, trank Bier, schnupfte, was wach machte, und wusste, dass alles, was sich zu ernst nahm, sofort verdächtig war. LES SAVY FAV waren der Soundtrack dazu: laut, reflektiert, kaputt und stolz darauf. Die Band spielte im Londoner OLD BLUE LAST, dem von VICE betriebenen Club, und tauchte regelmäßig im Magazin auf – als Symbol eines neuen, selbstironischen Hedonismus. Es war die Zeit, in der Chaos noch als Haltung galt und nicht als Strategie.
Dann verschwand die Band. Oder genauer: Sie hörte nicht auf, aber sie verstummte. Vierzehn Jahre lang kein neues Album. Die Mitglieder wurden älter, zwei von ihnen – Jabour und Butler – landeten in der 8G-Hausband von Late Night with Seth Meyers.
Dann „OUI, LSF“ (2024) – das erste Studioalbum seit 2010. Schon der Titel klingt wie eine Selbstbestätigung, ein Augenzwinkern an das eigene Überleben. Die Songs sind überraschend sanft, manchmal fast zärtlich. „Void Moon“, „Legendary Tippers“, „Limo Scene“ – Stücke, die mehr Atem zulassen, ohne an Schärfe zu verlieren. Der Ton ist introspektiver, das Chaos bleibt angedeutet. PITCHFORK sprach von „erstaunlicher Reife“, THE GUARDIAN hörte „eine kontrolliertere, melodischere Rückkehr“. Und doch: Hinter allem lauert immer noch jener alte Reflex – die Gewissheit, dass jede Ordnung sofort wieder kippen kann.
Es wäre zu einfach, ihre Rückkehr bloß als reine Nostalgie zu lesen. LES SAVY FAV waren nie sentimental. Ihre Musik kennt keine Rückblicke, nur Richtungswechsel. Aber natürlich haftet diesem Abend der Verdacht an, ein Symbol zu sein – für eine Ära, in der man an Musik noch glaubte, weil sie sich weigerte, irgendetwas anderes zu sein. Und weil sie, ohne die verfickten Spotifys dieser Welt, einfach einen anderen Wert hatte.
Vielleicht wird das Konzert am Sonntag tatsächlich zu dem, was man eine zweite Geburt nennt. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es nur ein Wiedersehen, eine fiebrige Erinnerung an eine Zeit, in der Bands und Publikum noch gemeinsam Bühnen stürmten. Doch selbst wenn nichts „Neues“ entsteht, bleibt etwas, das heute selten geworden ist: eine Form von Intensität, die nicht auf Zustimmung zielt.
LES SAVY FAV stehen für ein Versprechen, das Pop längst vergessen hat: dass Musik immer auch ein Ort der Unordnung ist. Und dass aus dieser Unordnung Schönheit entstehen kann. Ob sich dieser Zauber noch einmal herstellen lässt, weiß niemand. Aber falls doch – dann vermutlich an diesem Sonntag in Kreuzberg. Und falls nicht, bleibt wenigstens das schönste Scheitern des Herbstes.
Tickets gibt es hier.







