Als Anja Franziska Plaschg 2024 in der Berlinale-prämierten Produktion „Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala auftritt, ist sie nicht einfach eine Musikerin, die sich ins Schauspiel verirrt. Ihre Verkörperung der Agnes – einer jungen Frau im ländlichen Österreich um 1750 – wirkt so, als hätte sie nie etwas anderes getan. Der Film beginnt mit der Hinrichtung einer Kindsmörderin und entfaltet von dort eine düstere Chronik religiöser Verzweiflung und gesellschaftlicher Enge: Agnes heiratet, erlebt Zurückweisung, religiösen Wahn, körperliche Qualen und eine immer tiefer werdende Depression, die in eine grausame, zugleich kalkulierte Tat mündet. Um Vergebung zu erlangen, tötet sie einen Jungen – im Wissen, dass sie so ihre letzte Beichte ablegen und vor der Hinrichtung absolviert werden kann. Der Film endet mit ihrer öffentlichen Enthauptung, während das Dorf ihr Blut in Bechern auffängt.
Plaschg spielt Agnes ohne moderne Distanz, ohne Pathos, aber mit einer physischen und psychischen Kompromisslosigkeit, wie man sie selbst im europäischen Arthaus-Kino nur selten findet – auch wenn die beiden Regisseur*innen bei diesem Begriff vermutlich sanft die Stirn runzeln würden.
Dass sie in dieser Rolle an ihre Anfänge erinnert, liegt nahe. Plaschg ist 1990 in der Oststeiermark geboren und wächst auf einem abgelegenen Bauernhof auf. Früh zeigt sich ihr eigenwilliger Zugang zur Musik – Klavierunterricht ab dem sechsten Lebensjahr, später autodidaktisches Erlernen von Violine und Komposition. Mit sechzehn verlässt sie das Gymnasium, zieht nach Wien, um Kunst zu studieren – bricht aber ab, weil sie lieber ihre eigenen Wege geht. Schon ihre frühen Aufnahmen klingen, als stammten sie aus einer anderen Zeit: dunkel, klar, kompromisslos.
2008 erscheint ihre erste EP „Untitled“, kurz darauf das Debütalbum „Lovetune for Vacuum“. Plaschg produziert weitgehend allein, spielt die Instrumente selbst ein, und erarbeitet sich einen Sound, der von düsteren Pianoklängen, Streicherflächen und elektronischen Fragmenten lebt. Manche etikettieren das damals flapsig als „Ambient für Folterkeller“. In Wirklichkeit war es eine vollkommen ernsthafte, in sich geschlossene Klangwelt – hermetisch, aber nicht verschlossen.
Ihr zweites Album „Narrow“ (2012) wird zum persönlichen Einschnitt. Es ist dem Tod ihres Vaters gewidmet und enthält mit „Vater“ ihren bis heute einzigen deutschsprachigen Song – ein Stück, das live regelmäßig für einen dieser seltenen, nicht gesuchten Gänsehautmomente sorgt. Das Album erreicht in Österreich Platz eins, macht sie im deutschsprachigen Raum zu einer Ausnahmeerscheinung. Danach folgt eine lange Phase des Zweifelns. Plaschg weiß nicht, ob sie mit SOAP & SKIN weitermachen möchte. Stattdessen entstehen Filmmusiken („Sicilian Ghost Story“, „War Games“) und Theaterarbeiten, etwa mit Anton Spielmann.
2016 tritt sie in Ruth Beckermanns „Die Geträumten“ auf, einer filmischen Annäherung an den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Auch hier agiert sie präzise, fast dokumentarisch, nie überzogen. Schauspiel ist für sie keine Nebentätigkeit, sondern eine Erweiterung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten – mit derselben Schmerzfreiheit, mit der sie auch musikalisch arbeitet.
Diese Schmerzfreiheit ist der Schlüssel zu ihrem Werk. Ob in der Rolle der Agnes, die sich in einer religiösen Welt zu Tode sehnt, oder in der Dekonstruktion eines Popsongs: Plaschg nähert sich Material nie zögerlich. Sie bricht es auf, durchdringt es, verwandelt es. Veronika Franz und Severin Fiala erzählten nach der Premiere von „Des Teufels Bad“ von einer Szene, in der Agnes’ Ehemann ihr den Finger in den Hals stecken sollte, damit sie sich übergibt. Plaschg habe am Set immer wieder gefordert, den Finger tiefer zu schieben – nicht aus Effekthascherei, sondern weil es sonst einfach nicht echt genug gewesen wäre.
Das zeigt sich auch auf ihrem neuen Album „Torso“. Der Titel ist Programm: „Da ist ein steinerner Torso auf dem Cover. Etwas an ihm wölbt sich hervor, leicht schwarz, als sei es ihm eingebrannt worden. Oder hat es sich in Schimmelsporen lebend aus ihm erhoben? Sieht man genauer hin, erkennt man: Es ist ein Gesicht. Wie Perlmutt glänzt es aus dem Hohlraum des Torsos hervor. Es ist das Abbild von Anja Plaschgs Gesicht.“
Seit „Narrow“ findet sich auf jedem SOAP & SKIN-Album mindestens ein Cover – aber selten erkennt man sie auf den ersten Blick. „Ich höre einen Song“, sagt Plaschg, „und fühle, dass da noch etwas ist, das ich ihm gerne hinzufügen würde. Dann höre ich die Originalversion nicht mehr. Manchmal jahrelang nicht. Ich nehme die Songs aus der Erinnerung auf.“
Legendär ist ihre Version von „Voyage, Voyage“, die sie 2011 für Sebastian Meises „Stillleben“ aufnahm. Aus der radiotauglichen Synthpop-Nummer von DESIRELESS formt Plaschg eine eindringliche Parabel über Vergänglichkeit und Sehnsucht, die jede Spur von Leichtigkeit in einen Sog von Schwere verwandelt. Auf „Torso“ kehrt der Song zurück – gereift und vielschichtig, mit einer neuen emotionalen Tiefe zwischen Verzweiflung und Hoffnung.
Neben „Mystery of Love“ (Sufjan Stevens) und „The End“ (THE DOORS) finden sich auch „Gods & Monsters“ (Lana Del Rey) und „Johnsburg, Illinois“ (Tom Waits) – letzteres mit der singenden Säge von David Coulter. In all diesen Songs verschiebt sie den Blick: weg vom Ich der Originale, hin zu einem universell geteilten Gefühl. „Torso“ ist, wie sie selbst sagt, „eine Werkschau hinter den vorgehaltenen Masken der anderen“.
Und nun kehrt SOAP & SKIN nach längerer Pause nach Köln zurück. Am Freitag, den 17. Oktober 2025, spielt Anja Plaschg mit Ensemble im Theater am Tanzbrunnen. Zuletzt war sie 2019 im Gloria zu erleben, wo sie den Saal in einen pulsierenden Klangraum verwandelte und „What a Wonderful World“ am Ende wie eine ferne Hoffnung aufschien.
Was der neue Abend bereithält, lässt sich nicht vorhersagen. Fest steht jedoch: Plaschg hat erneut eine Sammlung von Stimmen, Liedern und Masken geschaffen, die durch sie hindurchgehen und verwandelt zurückkehren. Vielleicht ein wenig wie Agnes in „Des Teufels Bad“ verlässt auch ihre Musik den Raum nicht, wie sie ihn betreten hat.
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Foto: Katarina Šoškić







