Der Bandname ist kein Zufall. Er verweist auf „Starsailor“, das 1970 erschienene Album von Tim Buckley, mit dem der amerikanische Singer-Songwriter seine folkige Ausgangsbasis hinter sich ließ und sich radikal neuen musikalischen Formen öffnete. Jazzimprovisationen, Vokalexperimente, harmonische Brüche – das Werk gilt bis heute als herausfordernd und wegweisend. Wenn sich eine Band drei Jahrzehnte später nach diesem Album benennt, steckt darin eine klare Ansage. STARSAILOR wollten nicht einfach die nächste Indieband im Fahrwasser des Britpop sein, sondern Emotionalität, Ambition und Bedeutung vermitteln.
Tatsächlich gelingt dem Quartett aus dem nordenglischen Wigan ein kometenhafter Start. Ihr Debütalbum „Love Is Here“ erscheint im Oktober 2001, mitten hinein in die melancholisch aufgeladene Spätphase des Britpop, als COLDPLAY gerade den Weltpop erobern und TRAVIS die Charts weichzeichnen. In dieses Umfeld platzt eine Band, die all das aufgreift, aber mit aufrichtiger Emphase, klassischem Songwriting und der markanten, tremolierenden Falsettstimme von Sänger James Walsh auflädt. Songs wie „Alcoholic“, „Good Souls“ oder „Lullaby“ treffen einen Nerv – sanft, hymnisch, aber nie ganz glatt. Das Album verkauft sich über eine Million Mal, STARSAILOR gelten als eine der Hoffnungen einer neuen introspektiven britischen Gitarrenmusik, zwischen pubtauglicher Sentimentalität und großen Gefühlen für die weite Welt.
Nicht alles, was man heute als kometenhaften Aufstieg abgespeichert hat, verlief allerdings ganz von selbst. Ein Mitarbeiter der deutschen EMI-Dependance erzählte einmal, wie er damals die Verkaufszahlen des COLDPLAY-Debüts in Deutschland künstlich nach oben trieb: Indem er große Mengen CDs nach England verkaufte, die Umsätze aber auf dem deutschen Konto verbuchte. Auf dem Papier sah das nach einem Durchbruch in Deutschland aus – faktisch handelte es sich um einen Rechentrick. In diesem Umfeld wurde auch der Erfolg von STARSAILOR verortet.
Das zweite Album folgt ungewöhnlich schnell. „Silence Is Easy“ erscheint 2003, und diesmal schaltet die Band noch einen Gang höher. Die Singles laufen im Radio rauf und runter: „Silence Is Easy“ klingt wie eine weichgespülte Stadionballade, die auf den nächsten Werbespot wartet. „Four to the Floor“ verwandelt sich im Remix in einen Clubhit und bleibt bis heute eines der meistgespielten Stücke der 2000er – allerdings nicht unbedingt im positiven Sinn. Die poppige, beatgetriebene Nummer gehört zu den verabscheuenswürdigsten Songs der frühen 2000er Jahre. Das ganze Album wurde 2003 vom Musikportal Playlouder zum acht-schlimmsten Album des Jahres gekürt. Und wer ehrlich ist, versteht warum: Was auf dem Debüt noch berührte, kippt hier oft in Formelhaftigkeit und Pathos.
Für zwei Songs holten STARSAILOR einen Produzenten, der wie kein anderer für Bombast und Exzess steht: Phil Spector. Der Erfinder der „Wall of Sound“ war zu diesem Zeitpunkt längst eine zwielichtige Figur. Ein obsessiver Perfektionist, ein mit der Waffe herumfuchtelnder Psychopath, der Musiker regelmäßig durch sein Verhalten einschüchterte – und der kurz darauf wegen Mordes angeklagt wurde. Im Februar 2003 war in seinem Haus in Kalifornien die Schauspielerin Lana Clarkson tot aufgefunden worden, erschossen durch einen Schuss in den Mund. Spector wurde 2009 in einem zweiten Prozess schuldig gesprochen und zu 19 Jahren Haft verurteilt.
Die Zusammenarbeit zwischen einer jungen britischen Band und diesem amerikanischen Musikmythos im Spätstadium sorgte für Schlagzeilen – und für ein Album, das an vielen Stellen zwischen Selbstüberschätzung und Überproduktion taumelt.
Die Band selbst ringt fortan mit ihrer Identität. Die nachfolgenden Alben – „On the Outside“ (2005), „All the Plans“ (2009) und „All This Life“ (2017) – zeigen STARSAILOR als solide arbeitende, aber zunehmend unauffällige britische Rockband. Die Songs sind ordentlich, die Tourneen gut besucht, doch die Magie des Debüts bleibt unerreicht. Während Bands wie ELBOW, EDITORS oder KEANE eigene Handschriften entwickeln, verliert sich STARSAILOR zwischen Nostalgie und Routine.
Dass die Band 2023 – fast ein Vierteljahrhundert nach Gründung – ein neues Album mit Streichern aufgenommen hat, lässt sich mit etwas Wohlwollen als künstlerischer Versuch deuten, ihre alten Songs neu zu kontextualisieren. Realistischer betrachtet ist es aber das klassische Spätphasen-Signal: Wenn Gitarrenbands ihre Hits orchestrieren, klingt das häufig nach Schlusskapitel. Nach der stillen Vereinbarung, dass man das eigene Werk nun in einen goldgerahmten Bilderrahmen hängt.
Und doch: So einfach ist es nicht. „Love Is Here“ bleibt ein berührendes, in seiner sentimentalen Klarheit bis heute funktionierendes Debüt. Es ist das Dokument einer kurzen, intensiven Phase britischer Popgeschichte – vor dem großen Zynismus, vor Streaming-Algorithmik, vor dem Auseinanderfallen der Popöffentlichkeit. STARSAILOR schufen einen Sound, der für viele zum Soundtrack der frühen Nuller wurde: nicht revolutionär, aber aufrichtig, melancholisch und voller Sehnsucht.
Am Freitag kehren STARSAILOR ins Kölner Gebäude 9 zurück, um ein 25 Jahre umspannendes Set zu spielen. Für jene, die die Band damals nie live erlebt haben – und das dürften einige sein –, bietet sich damit die Gelegenheit, diese Ära noch einmal live aufleben zu lassen. Nostalgie ist hier kein Schimpfwort, sondern ein Modus des Erinnerns: an eine Zeit, in der eine Band aus Wigan glaubte, die Welt mit großen Gefühlen erobern zu können. Ob das gelingt, ist fast nebensächlich. Entscheidend ist, dass es die Songs noch gibt – und dass sie in ihrer besten Form immer noch berühren können.
Das Konzert ist restlos ausverkauft.







