Die Diskussion um die Hamburger Schule, die im Frühsommer 2024 einmal kurz Teile des deutschen Feuilletons aufweckte, gehört inzwischen zur Folklore dieser Szene. Damals ärgerte sich Bernd Begemann lautstark über seine Abwesenheit in der ARD-Doku – ein Reflex, der mehr über die persönlichen Empfindlichkeiten des Betriebs erzählte als über die Doku selbst. Kaum war sein Protest verhallt, kam die präzisere Korrektur von den Grether-Schwestern: Das größere Problem sei nicht, welcher Mann diesmal vergessen wurde, sondern das strukturelle Unsichtbarmachen von Frauen und ihrer Mitarbeit sowie die Bagatellisierung ihres Einflusses.
Apropos Unsichtbar: Ein Abend mit Fast Weltweit
Und dann gibt es noch einen dritten Gedanken, der in all den Debatten erstaunlich selten vorkam, obwohl er sich eigentlich aufdrängt: Vielleicht liegt das eigentliche Problem nicht darin, ob Begemann vorkam oder ob die Rolle der Frauen endlich angemessen gewürdigt wird – beides, vor allem Letzteres, absolut relevante Punkte –, sondern in der Tatsache, dass diese Musik insgesamt auf einem Niveau randständig geblieben ist, das die Qualität in keiner Weise widerspiegelt. Wir sprechen hier von Stücken, die innerhalb der deutschsprachigen Popmusik deutlich herausragen und gleichzeitig von Streamingzahlen, die beweisen, dass das niemand mitbekommen hat. Von verkauften physischen Tonträgern fangen wir besser gar nicht erst an.
So ist es auch mit diesem Abend: Am kommenden Freitag findet ein Fast Weltweit-Labelabend bei 674FM statt, mit Achim Knorr, Frank Spilker, Bernadette La Hengst und Michael Girke. Eine dieser Veranstaltungen, die man leicht übersehen könnte, weil sie ohne Plakatierung, ohne Marketing, ohne irgendeinen Apparat auskommt.
FAST WELTWEIT: Ostwestfalen als Ausgangspunkt
FAST WELTWEIT entstand Mitte der Achtziger in Bad Salzuflen und Herford, ohne Konzept, ohne Szene-Anspruch. Beteiligte waren unter anderem Achim Knorr, Michael Girke, Frank Spilker, Andreas Henning, Frank Werner, später Bernadette La Hengst, Jochen Distelmeyer, Thomas Wenzel, Mijk van Dijk. Zentrum war die „Klangforschung“, ein kleines Studio, in dem viele der frühen Aufnahmen entstanden.
Von dort stammen Kassetten und Singles, die heute als Vorstufe des verstanden werden, was später als Hamburger Schule bezeichnet wurde: JETZT! mit „Liebe in GROSSEN Städten“, die ersten Songs der STERNE, Distelmeyers BIENENJÄGER. Die Verbindungen nach Hamburg entwickelten sich erst danach; der ästhetische Grundstock lag in Ostwestfalen.
Und damit genug der Historie. Es wäre die falsche Bewegung, ausgerechnet an diesem Abend wieder den Versuch zu unternehmen, der ganzen Thematik gerecht zu werden, die richtigen Namen zu nennen.
Entscheidend ist hier etwas anderes: An diesem Abend gibt es drei (!) Konzerte. Von Menschen, die seit Jahrzehnten zuverlässig gute Musik machen und die – in einer Bundesrepublik mit halbwegs stabilem Musikgeschmack – längst im Konjunktiv-Kanon auftauchen würden.
DER FREMDE eröffnet den Abend: Achim Knorr, Frank Spilker und Andreas Reth, eine Formation, die man nur aus frühen Fast-Weltweit-Veröffentlichungen kennt und die in dieser Konstellation kaum je live zu sehen war. Ein Zugriff auf ein Kapitel, das sonst im Archiv verbliebe.
Danach Bernadette La Hengst, deren Weg von DIE BRAUT HAUT INS AUGE über ihr die DIE ZUKUNFT zu ihrer Solokarriere führt. Von DIE ZUKUNFT stammt auch „Drogen nehmen und rumfahren“, ein Song, der vielleicht das Hauptthema der Hamburger Schule besser zusammenfasst als viele der theoretischen Erklärungen und Schriften.
Den Abschluss bildet JETZT!: Michael Girke, dessen Songs lange nur als Legenden und in Zitaten existierten und erst in den letzten Jahren wieder sichtbar wurden. Meisterwerke wie „Wenn Deutschland träumt“, „Kommst du mit in den Alltag“. Und dazu neuere Stücke wie „Der Mann, den ich nicht fassen kann“ – eine ergreifende, dennoch völlig unpathetische Beschreibung einer westdeutschen Babyboomer- und Nachkriegskindheit.
Außerdem gibt es an dem Abend eine Lesung aus dem Buch „von Christof Dörr.
674FM präsentiert: Fast Weltweit – Label-Abend mit Achim Knorr, Frank Spilker, Bernadette La Hengst und Michael Girke
28. November 2025
674FM Konzertraum, Ubierring 13, 50678 Köln
Tickets gibt es hier.
Foto: Wierke






