Viele mögen ja Gonzo-Berichte überhaupt nicht. Ist auch okay. Falls das auf Dich zutrifft: Einfach nicht weiterlesen!
Ein Konzert im Helios37, das finden meine zwei Begleiter und ich sehr gut. In der Nähe gibt es absurderweise immer noch einen Burger King. Absurderweise, da in der Gegend eigentlich nahezu alle Gebäude in den letzten Jahren abgerissen wurden. Gut, ein paar alte Gebäude stehen noch. Dominiert wird die Gegend aber inzwischen vom fast fertig gestellten Schul-Neubau. Vielleicht gar nicht so schlecht für Burger King. Ein paar Straßenzüge entfernt wohnt Günter Wallraff. Man hört immer wieder, dass ihm die Häuser der halben Straße, in der er lebt, gehören. Vielleicht bedient er uns gerade im Burger King. Wir erkennen ihn nur nicht, wegen seiner perfekten Verkleidung. Vielleicht gehört ihm auch inzwischen ganz Ehrenfeld bis auf den Burger King. Und deswegen… Aber das ist jetzt ziemlich absurd und hochgradig spekulativ.
Nachdem Teile (ich) unserer Dreiergruppe die Sparmöglichkeit der Burger King App ziemlich ausgereizt haben, bewegen wir uns in die Richtung der von uns bisher unbesuchten Konzertlocation. Es ist keine gute Idee zu kiffen, wenn man dabei ein Kinderlastenfahrrad mit Elektromotor durch den Regen schieben muss. Ins Helios37 gelangt man durch eine Schleuse. Also ein Raum, der „Draußen“ und „Konzerthalle“ trennt oder verbindet – je nachdem, wie man das so sehen will. Einer meiner Begleiter hat eine Idee, wofür sich diese Schleuse auch eignen würde. Das kann ich hier aber nicht wiedergeben. Teile unserer Redaktion, fanden Teile meiner Berichte in der Vergangenheit schon nicht mehr akzeptabel und veröffentlichungswürdig. Eine Wiedergabe der Idee, würde das Tischtuch zwischen uns endgültig zerschneiden. Ich kann nur so viel sagen, dass mein Begleiter ergänzend hinzufügte, dass es einen solchen Raum selbst im Berghain nicht geben würde.
KING HANNAH bestehen aus zwei sehr jungen britischen Menschen. Um so erstaunter und verwirrter bin ich, als wir gemeinsam – also zu dritt – die unglaublich schwere Konzerthallen-Tür der Schleuse öffnen und uns beim anschließenden, nicht ganz geräuschlosen Zufallen dieser unglaublich schweren Metalltür, gefühlt einhundert 60-jährige Männer anstarren. Kurze Zeit später widmet sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden aber wieder der jungen Frau auf der Bühne. Camille Camille aus Belgien – inzwischen Wahl-Leipzigerin – singt zarten akustischen Folk, zu dem sie sich selber auf der Gibson Gitarre begleitet. Ich glaube es ist eine Gibson Gitarre. Ich bin mir aber nicht sicher. Ich sehe in letzter Zeit nicht mehr so gut. Später muss ich wegen dieser neuen Sehschwäche auch noch ein Weizenbier trinken (was für mich wirklich schlimm ist). In Bezug auf das Burger King „Essen“, geradezu eine Katastrophe. Das ist auch der Zeitpunkt zu dem die Schleusen-Idee zum ersten Mal an dem Abend ausgetauscht wurde. Auf dem T-Shirt von Camille sind aber eindeutig Schmetterlinge aufgedruckt. Schmetterlinge passen sehr gut zu ihrer Musik. Ich zähle neben den einhundert 60-jährigen Männern auch sieben Frauen. Okay, es kann es sein, dass ich mit den hundert 60-jährigen etwas übertreibe. Aber nicht sehr. Ich schwöre! Die Frauen sind alle jünger als sechzig. Es werden auch noch mehr Frauen kommen. Mindestens noch 13. Es soll auch jetzt nicht abwertend gegenüber den 60-jährigen klingen. Die 60-jährigen sehen alle fantastisch und sehr sympathisch aus. Die sieben Frauen auch. Die, die später kommen auch. Alles Leute, mit denen man gerne mal ein Bier (kein Weizenbier) trinken oder sich eine junge Folksängerin mit Schmetterling-Print auf dem T-Shirt anhören würde.
KING HANNAH spielen als erstes „A Well-Made Woman“. Das passt gut als erstes Lied: Ist es doch eine Art Biographie mit positivem Ausblick in die Zukunft von Hannah Merrick. Als zweites Lied spielen KING HANNAH „State Trooper“ von Bruce Springsteen, als Rocksong mit finaler Gitarren-Katharsis. Bei ihrer brutalen Interpretation glaubt man, dass der State Trooper den verrückten Fahrer doch angehalten hat und das für den Polizisten nicht so eine gute Idee war.
Bis auf „So Much Water so Close to Drone“, „All Being Fine“, „Ants Crawling on an Apple Stock“ und „Death of the House Phone“ spielen KING HANNAH alle Lieder von ihrer sehr schönen Debütplatte „I’m not sorry, I was just being me“. Nur sehr kurz glaube ich, dass sie absichtlich die Lieder mit den längsten Titeln nicht spielen, um mir mehr Arbeit mit meinem Bericht zu machen. Das kann aber aus verschiedenen Gründen absolut nicht stimmen. Insgesamt sind wir drei, die hundert 60-jährigen Männer, die mindestens zwanzig jüngeren Frauen und KING HANNAH und auch bestimmt Camille Camille sehr zufrieden an diesem Abend, als „Crème Brûlée“ (der vorletzte Song der Show) gespielt wird. Créme Brûlée habe ich dann auch noch gegessen. Also für alle ein sehr gelungener Abend.
Foto: Lucy McLachlan & moi