Ok. In der Überschrift übertreiben wir etwas. Aber ein Konzertbeginn um 19:35 Uhr ist schon eine ziemlich ernüchternde Angelegenheit. Da darf man sich nichts vormachen. Gianna Nannini verzichtet auf einen Support. Das macht beim Lärmschutz bedingten Rahmen auch überhaupt keinen Sinn. Eigentlich ist das Thema „Lärmschutz und Open-Air Veranstaltungen in Köln“ auch bereits mehr als abgefrühstückt. Aber nach der Entdeckung eines (von der Stadt Köln veröffentlichten) Beschwerdebriefes von Bürgern aus dem Agnesviertel, stellen wir das Thema einmal in den Mittelpunkt der Berichterstattung.
Nicht vorzuenthalten ist jedoch der Fakt, dass Gianna Nannini – eine der bis heute bekanntesten und lautesten Stimmen der europäischen Rockmusik – ein formal großartiges Konzert im Tanzbrunnen gespielt hat. Ihre („ohne Gewähr“) zwanzig Stücke umfassende Setlist wurde anscheinend an Kartoffel-Hörgewohnheiten angepasst. Bei ihren italienischen Shows hat sie (zumindest in den letzten Wochen) nie dieses etwas käsige, von Giorgio Moroder zur Fussball-WM 1990 in Italien komponierte „Un’estate italiana“ gespielt. Im Tanzbrunnen ist es das letzte Lied der knapp 100-minütigen Show. Auch das weltberühmte „Nel blu dipinto di blu“ aka „Volare“ aus dem ersten von drei Zugabeteilen, welches Nannini als Reggae Rock Nummer interpretiert, wird bei italienischen Shows von Nannini nicht aufgeführt. Kann man aber mal machen.
Die Cringemomente im Konzert fallen jeden falls sehr kurz aus. Wenn man da überhaupt von Cringe reden kann. Das 1996er Stück „Contaminata“ könnte formal in die Kategorie passen. Zumindest wäre es ein perfekter Kandidat, wenn man zusätzlich eine entsprechende Einleitung voranstellen würde, wie „dass es leider gerade heute wieder – angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen – mehr als aktuell wäre“. Aber auch ohne entsprechende Einleitung ist es ein Song der Art, wie ihn Künstler wie Lindenberg, Maahn, Kunze etc. dutzendweise in ihrem Repertoire haben: ambitionierter, gutgemeinter, letztendlich bescheuerter Text, gruselige Komposition. Nach der verkraftbaren Belanglosigkeit in Nanninis Konzert, ist das darauf folgende „Profumo“ – dem Titelstück aus dem gleichnamigen 1988er (von Conny Plank produzierten) Album, dramaturgisch sehr clever gewählt. Nach dem ruhigen Stück beginnt nämlich die „Erntezeit“. Die Hitdichte unter den restlichen Liedern des Konzertes ist wirklich – man kann es anders nicht sagen – der absolute Wahnsinn. „Hey bionda“ kombiniert im Intro die von ARCADE FIRE popularisierten „Hey“- Rufe, mit dem (exakt) selben programmierten Drumbeat wie von Michael Jacksons „The Way You Make Me Feel“. Mein persönlicher Höhepunkt ist das erste Stück des zweiten Zugabenteils: die Ballade „Sei nell’anima“ vom 2006er Hitalbum „Grazie“. Wenn man filmende Smartphones als Indikator für die Beliebtheit der einzelnen Lieder heranzieht, bin ich mit meiner Einschätzung wohl nicht alleine. Um 21:20 Uhr ist das großartige Konzert beendet. Man wagt sich die potentiell möglichen Euphorieschübe einer Show, die in einer heißen Sommernacht gegen Mitternacht enden würde, überhaupt nicht vorzustellen.
Um den Tanzbrunnen gibt es eigentlich keine Wohnhäuser. Wenn man ein wenig recherchiert, findet man einen Brief an die Stadt Köln, von verärgerten Bewohnern des Ringturms am Theodor-Heuss-Ring im Agnesviertel. Im ihrem episch angelegten Beschwerdeschreiben, beklagen sie nicht nur die Konzerte am Abend, die zwischen 19 und 22 Uhr stattfinden. Besonders belastend finden sie, dass mit den Konzerten ebenfalls auch Proben am frühen Nachmittag eingehen. Am schlimmsten wären zweitägige Festivals im Tanzbrunnen. Außerdem gebe es auch noch eine Lärmbelästigung, die von vorbeifahrenden KD-Schiffen auf den Partys stattfinden, ausgehen würde. In ihrem Brief von 2011 schreiben die Beschwerdeführer, dass sie seit drei Jahren in Köln wohnen würden und „einige Dinge, die sie seit ihrer Wohnzeit bemerken und auch grundsätzlich als veränderungsbedürftig empfinden, ansprechen, um vielleicht diese auf die Agenda der potenziellen Verbesserungen für den Bezirk Innenstadt aufnehmen zu lassen“. Wir fassen mal kurz zusammen: Da ziehen ein paar Stronzo im Jahr 2008 nach Köln und bemerken, dass es auf der anderen Rheinseite Open-Air Konzerte und auf dem Rhein selber Schiffsverkehr, u.a. mit Partybooten gibt. Daraufhin schreiben sie der Stadt Köln – wenn man ihren Text zusammenfasst – dass die Einstellung oder Reduzierung genannter Aktivitäten, eine Verbesserung für die Innenstadt darstellen würden. Was kann man nur gegen diese Provinzialisierung der deutschen Großstädte unternehmen? Ok, sapete una cosa, al diavolo.