Frei, politisch und spielerisch – Die Musik von Jenny Thiele ist bei Kölnerinnen und Kölnern beliebt, weil sie Zwischentöne hat, mitreißt und unverfälscht ist. Im „Alten Pfandhaus“ im Süden der Stadt war die Künstlerin live zu erleben. Nun sind die Videos vom Auftritt released. Alle Neugierigen können das Konzert nachstreamen und alle die dort waren, können nochmal in das Live-Erlebnis eintauchen:
Über 160 Menschen sind gekommen, um sich diesen Abend nicht entgehen zu lassen. Manchen im Publikum ist die Sängerin mit dem pinken Lippenstift, dem Septum und den vielen künstlerischen Facetten schon bekannt. Katharina (36) aus Köln erinnert sich an den Tag, als Jenny Thiele sich mit ihrer Musik für Klimaschutz stark machte: „Ich habe sie hier im Süden von Köln auf einer der letzten Fridays for Future Demos gesehen. Da hat sie auf einer größeren Bühne gespielt und da fand ich sie super.“ Peter (54) aus Hürth kennt die Singer-Songwriterin persönlich und mag ihre Musik, weil sie Thiele’s Wesen widerspiegelt: “Sie hat einen astreinen Charakter, sie weiß, was sie will und das, was sie macht, macht sie mit dem Herzen.” Eine weitere Kölnerin ist von Thiele’s gefühlvoller und atmosphärischer Erzählweise inspiriert: „Also ich finde es inhaltlich sehr interessant. Ich mag, wie sie mit ihren Texten umgeht und wie sie damit spielt. Ich mag ihre Themen. Ich mag den Vibe der Songs.“ Andere sind wegen des Chors „Tonart“ aus Dormagen gekommen, mit dem Jenny Thiele und ihre Band heute gemeinsam auftreten.
Als sie auf die Bühne kommen, breitet sich eine ganz besondere Stimmung im Saal aus: Eine intime Stimmung. Denn die Bühne ist eine freie Fläche, die in die Mitte eines engbesetzten, kleinen Amphitheaters hineinragt. Dort stellt Thiele sich mit ihrem Gitarristen Philipp Ulrich und ihrer Keyboarderin Ornella Tobar Gaete Rücken an Rücken auf. Von allen Seiten strahlen Scheinwerfer in Gelb- und Pink-Tönen durch den Saal und hüllen die Band und Publikum in warmes Licht. Als das erste Lied beginnt, der Chor singt und die rhythmischen Schläge der Drummerin Mel Geißler durch den Raum dringen, breitet sich ein Wohnzimmergefühl aus. Die Band, die Musik, die Performance – alles ist so nah und so persönlich, als fände das Konzert im eigenen Wohnzimmer statt. Der Raum ist ausgefüllt mit weichen Tönen, satten Farben und wohliger Stimmung. Das Licht der Scheinwerfer passt zu den Outfits der vierköpfigen Band. Alle Mitglieder tragen Overalls und Kleider in schrillen Pink- und Lila-Tönen mit gelben Streifen darauf, die von der Kölner Schneider Ulrike Janich designt wurden. Sie wirken wie ein aufgeregter Gegenpol zu einigen sanften Songs und zum ordentlich aufgestellten Chor.
Plötzlich gehen die anderen von der Bühne, Thiele legt die Gitarre ab. Sie geht zum Keyboard und dreht es plötzlich in eine andere Richtung. Und sagt: „Im Lied Fighter geht es um Perspektivwechsel. Ich finde wir sollten versuchen, andere zumindest irgendwie ansatzweise zu verstehen. Uns allen ist ja Status und was wir für eine Position in der Gesellschaft haben, wie viel Kohle wir verdienen, wie viele Follower wir haben, wichtig – Aber was machen wir eigentlich, wenn das alles mal wegbricht?“. Thiele ist in ihrem Element, während sie die Ballade singt, immer strahlend und funkelnd – Es geht ihr nicht darum bewundert zu werden, sondern darum, das Publikum zu verzaubern. Das ganze Amphitheater wiegt sich im balladigen Rhythmus mit. Nach dem Lied dreht sie das Keyboard wieder. Und die Perspektive ist wieder eine andere, als sie den Song „Archie“ spielt. Kleine überraschende Veränderungen, wie diese, machen den Abend kurzweilig.
An anderer Stelle fällt die Begleitung während eines Liedes plötzlich weg. Thiele tritt vom Mikro zurück und singt in Akkustik, ohne Verstärkung, nur mit ihrer puren Stimme weiter: „I got a Hammer in my Hand and bottle that lies empty …on the backseat“. Sie singt es immer wieder, man hört sie klar und echt und während Zuschauenden Gänsehaut bekommen, fangen andere an miteinzustimmen.
Perspektivwechsel
Noch eine Überraschung: Anstelle eines neuen Stückes ertönen Audio-Aufnahmen, die über Lautsprecher durch den Raum dringen. Es sind Situationen aus dem echten Leben: Jemand möchte einen einfachen Kaffee bestellen und wird dabei von der Verkäuferin nicht wirklich verstanden. Ein lyrisches Ich, das fliehen muss spricht: „Mach dir keinen Kopf um die Lichter, die dich verfolgen, die holen dich nicht mehr ein. Und mach dir keinen Sorgen um die Stimmen in deinem Kopf, die hören bald auf zu schreien.“ Einblicke, wie diese, machen das Motto des Abends „Perspektivenwechsel“ zu einem stilistischen Element im Programm.
Perspektivwechsel bedeutet außerdem: Nicht nur zuschauen, sondern auch mitmachen. Das Publikum singt immer wieder mit – zum Beispiel bei dem Refrain des eigängigen Titels, nach dem auch Thiele’s aktuelles Album benannt ist, „Killing Time“. Während sie den Happy-Song “Love” spielt, bringt die Lead-Sängerin den Zuschauenden sogar eine Choreo bei. Jeder und jede ist nun Teil von Thiele’s Perspektive – und Thiele’s Perspektive steckt nun in jedem und jeder Person, die mittanzt, physisch drin. Verbundenheit. Die Stimmung im Saal ist auf dem Höhepunkt.
Zuletzt bedeutet Perspektivwechsel auch Humor und Selbstironie. Bei der Zugabe kündigt die Künstlerin trocken an: „Jetzt kommt noch so‘n Heulbojen-Epos, den wir euch um die Ohren feuern.“ Zu Beginn dieses letzten Liedes taucht der Chor plötzlich an den obersten Rängen des Amphitheaters auf. Er umringt das Publikum und der Gesang kommt plötzlich aus allen Ecken. Es ist eine Atmosphäre, die einen Applaus mit Standing-Ovations auslöst und die sich bei vielen einbrennt. Daniel aus Nippes (48) sagt unmittelbar nach dem Konzert: „ Ich bin überwältigt. Ich liebe Jenny Thiele schon lange, aber heute war alles so ein bisschen anders arrangiert und das war schon supergeil.“ Er meint damit nicht nur den Chor, sondern auch die vielen eingearbeiteten akustischen Überraschungen und die Variationen der Songs auf dem aktuellen Album “Killing Time”.
Vom Kernthema auf dieser Platte – nämlich Zeit und Bewertung von Zeit – hat sich Johanna (33) aus Dormagen besonders angesprochen gefühlt: „Als Jenny über Zeit gesprochen hat, das hat mich sehr berührt. Da geht direkt mal so ein bisschen der Kopf an und man überlegt sich schon, wie oft man dann mal am Handy hängt, unnötigerweise oder so und wie oft man das eigentlich einfach lassen könnte.“ Wieder andere haben sich von dem melodischen Fluss davontragen lassen, in den Jenny Thiele, ihre Band und der Chor Tonart sie hineingezogen haben. Kim (37) aus der Schweiz, fasst das in Worte, was vermutlich viele an diesem Abend im Alten Pfandhaus, fühlen: „Echt geiler Sound, geile Performance. Für mich war es Baden. Baden in Musik.“
Live zu sehen
Live in Köln ist Jenny Thiele das nächste Mal wieder am 3. August Open Air im Odonien zu sehen.
Tickets gibt es hier: https://t.rausgegangen.de/tickets/lagerfeuer-deluxe-odonien-mit-jenny-thiele-makeda-salomon
Tickets für das Jahresabschluss-Konzert mit Berliner Band Paula-Paula am 7. Dezember im Bürgerzentrum Ehrenfeld gibt es unter https://loveyourartist.com/de/profiles/em-drugge-pitter-2AW7HI/events/jenny-thiele-paula-paula-koln-IBNS33
Photos: Christian Ohlig