– Jeder trägt die Zukunft in sich, man muss sich halt nur bewegen –
In unserem Vorbericht haben wir euch empfohlen, euch treiben zu lassen und die Zeit auf dem Haldern auch für gute Gespräche mit alten und neuen Bekannten zu nutzen.
Wir sind auf jeden Fall unserem Ratschlag gefolgt, was dazu geführt hat, dass wir – gefühlt – in diesem Jahr weniger Konzerte gesehen und dafür mehr neue Bekannte in unsere poshen Herzen geschlossen haben. Ob wir das schlimm finden? Nein, denn wir haben immer noch genug tolle Shows gesehen. Und wenn Haldern für etwas steht, dann, dass man nicht gestresst von Konzert zu Konzert eilt.
Aber der Reihe nach. Vor dem Festival war bei den Machern ein wenig Unsicherheit ob der Anzahl der verkauften Tickets zu verspüren. Man konnte also gespannt sein, ob es bei der Auslastung des Campingplatzes oder der Fülle des Festivalgeländes signifikante Unterschiede zu den letzten Jahren geben würde. Soviel sei vorab gesagt: Hatte man am Anfang den Eindruck, der Campingplatz füllt sich etwas langsamer als sonst, so war dieser dann spätestens am Freitagmorgen so voll, dass sogar noch eine Ersatzfläche freigegeben werden musste. Auch auf dem Gelände konnte man keine großen Unterschiede zu den letzten Jahren erkennen. Die Tatsache, dass sich am Spiegelzelt meist keine langen Schlangen bildeten, war wohl eher der Tatsache geschuldet, dass die Fluktuation aufgrund der großen Hitze im Zelt größer war als sonst.
Auch wenn wir keine abschließenden Zahlen kennen, so scheint es auch in diesem Jahr so gewesen zu sein, dass das Publikum dem Haldern Pop Festival vertraut hat und das Haldern Pop es dem Publikum durch ein wieder mal wundervolles Festival zurückgezahlt hat.
Unser musikalischer Donnerstag startet mit dem Australier GO-JO im brütend heißen Spiegelzelt. Sommerlicher Indie Pop, der an der ein oder anderen Stelle etwas arg beliebig klingt. Nichtsdestotrotz ein schöner Start für das Spiegelzelt. Warum der Gute jedoch große Teile seines Konzerts oberkörperfrei bestreiten musste, wird sein Geheimnis bleiben.
Crème Solaire aus Freiburg in der Schweiz bringen mit ihrem Electropunk dann im Anschluss schon zu einem recht frühen Zeitpunkt das Spiegelzelt zum kollektiven Ausrasten. Ein Paradebeispiel, welche Bühnenpräsenz eine Band, bestehend aus nur zwei Personen, entwickeln kann.
Unser Opener der Hauptbühne am Donnerstag sollte Yard Act aus Leeds sein.
Eine Band die den oft doch recht monotonen Postpunk auf eine tanzbare Ebene hebt. Wahnsinnig stilsicher und durchaus unterhaltsam, auch wenn die Ansagen eher routiniert und einstudiert als spontan wirken. Trotzdem ein frühes, starkes Konzert auf der Mainstage.
So, nun sollte der Donnerstag etwas „strubbelig“ werden. Nach der bereits bekannten Absage von Endless Wellness macht die kurzfristige Absage von Lola Young die schnelle Runde über den Reitplatz. Dies führt bei vielen zu großer Enttäuschung, wurde die Britin doch ein wenig als heimlicher Headliner des Donnerstags gehandelt. Die Absage Youngs führt dann dazu, dass Berq nach vorne geschoben wird und Big Special die Hauptbühne am Donnerstag abschließen sollten.
Trotz des deutlich früheren Slots auf der noch „hellen“ Hauptbühne liefert der erst 20-jährige Hamburger Berq eine grundsolide und vor allem grundsympathische Show ab, an der gerade das zahlreich erschienene jüngere Publikum große Freude hat. Die Erkenntnis dieses Auftritts sollte in erster Linie sein, dass solch junge aufstrebende Künstler*innen ein Weg sein könnten, auch wieder verstärkt jüngeres Publikum ins Lindendorf zu locken.
Im Anschluss an Berq fährt Faber dann das richtig große Besteck auf der Hauptbühne auf. Ein für Haldern-Verhältnisse fast schon gigantisches Bühnenbild, gepaart mit einer riesigen Band im Rücken, führen zunächst zu Verwunderung beim Publikum, kennt und liebt man den Schweizer doch eher durch seine eigene Bühnenpräsenz und eher weniger durch spektakuläre Bühnenbilder. Je länger das Konzert jedoch dauert, um so klarer wird, wie gut Faber diese große Show tut. Selten hat man den Schweizer so aufgeräumt und selbstbewusst auf der Bühne erlebt. Klar kann man jetzt sagen, dass man die früheren, kleineren Auftritte besser fand, aber diese Diskussion ist wahrscheinlich so alt, wie es Konzerte gibt und irgendwie auch völlig überflüssig. Für uns ist es eine der besten Faber Shows, die wir bis dato gesehen haben.
Nach Faber haben Big Special – aufgrund der Absage von Lola Young – die große Ehre, die Hauptbühne am ersten Festivaltag abzuschließen. Ursprünglich am Freitag ins Niederrheinzelt gebucht, sind alle gespannt, ob der UK Zweier es schaffen wird, die große Bühne mit seiner Präsenz auszufüllen. Diese Zweifel verfliegen nach wenigen Sekunden. Im Gegenteil: Joe Hicklin am Mikrofon rappt, schimpft und singt alles in Grund und Boden und Callum Moloney an den Drums – stilecht mit Buckethat – ist schlicht und ergreifend eine Urgewalt. Das Duo lässt vom Beginn an keinen Zweifel an ihrer Herkunft aus der Arbeiterklasse Birminghams, macht dies aber derart charmant, dass das Publikum der Band innerhalb kürzester Zeit zu Füßen liegt. Dabei sind ihre Songs eingängiger als die der Sleaford Mods, was nicht unwesentlich an der großartigen Singstimme von Joe Hicklin liegt. Ein Auftritt, der gefühlt viel zu schnell vorbei ist und der wahnsinnig viel Lust auf den Auftritt am nächsten Tag im kleinen Niederrheinzelt macht.
Der Abschluss im Spiegelzelt ist am Donnerstag dem „Comeback“ von Heisskalt vorbehalten. Eigentlich vor einigen Jahren getrennt, kam die Ankündigung des Comebacks im Frühjahr für viele überraschend. Dass dieses u.a. auf dem Haldern Pop Festival stattfinden sollte, war nach früheren Auftritten in Haldern und Kaltern dann nicht ganz so überraschend. Dass viele das Comeback kaum erwarten konnten, zeigt sich daran, dass das Spiegelzelt zur nachtschlafenden Zeit prall gefüllt ist. Die Band zeigt sich hervorragend aufgelegt und spielt ein Set gespickt mit Hits und einigen neuen Songs, was vom Publikum durch einen Riesenmoshpit honoriert wird. Ein würdiger Abschluss für den ersten Tag des 41. Haldern Pop Festivals.
Der Festivalfreitag startet nach einem sehr langen und intensiven Donnerstag etwas verschlafen. Auch das Wetter schließt sich dieser Stimmung an. Mit den ersten Sonnenstrahlen begeben wir uns auf den Weg ins Spiegelzelt zu Picture Parlour. Die Band aus Manchester um die charismatische Frontfrau Katherine Parlour weiß mit ihrem grundsoliden Gitarrenrock, gepaart mit ein wenig Glam und viel großer Geste durchaus zu gefallen, denn grundsolider Gitarrenrock kommt auf dem Haldern oftmals ein wenig zu kurz.
Im Anschluss an Picture Parlour spielt Anna Ternheim ein wundervoll sommerliches Set auf der Mainstage. Ein Auftritt, bei dem alles passt. Leider können wir dem Auftritt der Schwedin nicht ganz bis zum Schluss beiwohnen, da im Südtirolzelt eine Podiumsdiskussion mit Aladin El Mafaalani und Armin Nassehi stattfindet. In einem launigen Gespräch unterhalten sich die beiden Professoren der Soziologie über die aktuellen Krisen und wie man diese einordnen sollte. Dabei liefert gerade Armin Nassehi ganz neue Perspektiven und Ansatzpunkte, wie lange es vermeintlich aktuelle Krisen bereits gibt bzw. wie lange diese eigentlich vorhersehbar waren. Das Südtirolzelt platzt aus allen Nähten und wieder mal zeigt sich, wie groß das Interesse auch auf einem Musikfestival an derartig spannenden Diskussionen ist. Wir empfehlen, den beiden Protagonisten in den sozialen Medien zu folgen, weil sie dort immer wieder punktgenaue Einschätzungen zu aktuellen Themen teilen.
Das Haldern Pop ist dafür bekannt, sowohl beim Booking als auch vor allem dabei, welche*r Künstler*in wann auf welcher Bühne spielt, großen Mut zu beweisen. So waren nicht wenige überrascht, dass der Pianist Chilly Gonzales am Freitag um 20:30 Uhr auf die Hauptbühne gebucht wurde. Der kanadische Wahlkölner weiß diesen Slot aber hervorragend zu nutzen. Er gibt den meinungsfreudigen Entertainer, dessen Ansagen immer wieder zu großem Gelächter beim Publikum führen. Musikalisch ist Gonzales sowieso über jegliche Skepsis erhaben.
Nach Chilly Gonzales ist die Vorfreude auf das zweite Konzert von Big Special im Niederrheinzelt groß. Am Vorabend noch als Ersatz für Lola Young auf der Hauptbühne erschüttern sie das Niederrheinzelt mit ihrem Konzert in seinen Grundfesten. Eine Band, die offensichtlich übermannt ist von der enthusiastischen Publikumsreaktion und ein Publikum, das von Beginn an das komplette Zelt in eine riesige Tanzfläche verwandelt. Eine Melange, die zum besten Konzert des gesamten Wochenendes führt. Nach dem Konzert sieht man allenthalben verschwitzte, aber glückliche Menschen, die kaum fassen können, was sie da gerade erlebt haben.
Hauptbühne, Freitag 22:30 Uhr – Zeit für DEN großen Headliner des 41. Haldern Pop Festivals: die Fontaines D.C. aus Dublin. Gut, eigentlich denkt man in Haldern nicht in Headliner-Kategorien. Aber nach allem, was Festivalmacher Stefan Reichmann im Vorhinein verlautbaren ließ, waren die Iren doch die Band, auf die man sich besonders gefreut hat. Verstehen wir uns nicht falsch. Die Band spielt ein grundsolides Konzert auf einer Bühne mit einem beeindruckenden, puristischen Bühnenbild. Nichtsdestotrotz wird man den Eindruck nicht los, die Band fühlt sich an diesem Punkt vielleicht schon etwas zu groß für ein Festival der Haldern Pop Größe. Im nächsten Jahr dann vor 50.000 Menschen im Finsbury Park in London.
The Mary Wallopers beschließen den „irischen Freitagabend“ auf der Hauptbühne. Irish Folk wie er klassischer nicht sein könnte. Ist der alte Reitplatz nach dem Ende der Fontaines D.C. erstaunlich leer, so füllt er sich mit den ersten Klängen der Wallopers. Das Publikum ist in Tanzlaune und die Band lässt sich nicht lange bitten und zündet ein Hitfeuerwerk. Selten hat man den Reitplatz zu nachtschlafender Zeit derart enthusiastisch tanzen sehen. Ein toller und schweißtreibender Abschluss des zweiten Festivaltages.
Der letzte Festivaltag beginnt etwas wehmütig. Die Ersten bauen bereits ihre Zelte ab und einem wird bewusst, dass das 41. Haldern Pop sich auf die Zielgerade begibt.
Gringo Mayer und die Kegelband wissen aber ganz genau, wie sie es schaffen, diese Wehmut zu vertreiben. Scheinen diejenigen, die Mayer nicht kennen, zu Beginn noch ein wenig mit seinem kurpfälzischen Dialekt zu fremdeln, so schafft er es innerhalb kürzester Zeit, den gesamten Platz um den Finger zu wickeln. Seine Songs, wahnsinnig cool und immer mit einem Augenzwinkern vorgetragen, seine wichtigen Ansagen zu gesellschaftspolitischen Themen, seine großartige Kegelband – all das ist es, was dazu führt, dass das Publikum ihn nach 45 Minuten nicht von der Bühne gehen lassen will. Gringo würde sagen: „Des wor brudaaal!“
Mick Flannery sollte eigentlich im letzten Jahr schon auf dem Haldern Pop spielen. Sein Auftritt musste aber kurzfristig abgesagt werden. Warum damals viele enttäuscht waren, zeigt Flannery eindrucksvoll in diesem Jahr auf der Hauptbühne. Können irische Singer/Songwriter eigentlich schlecht sein? Spätestens, als dann auch noch Susan O’Neil die Bühne betritt und die beiden zusammen den Song BABY TALK performen, ist es um das Publikum geschehen.
Deadletter im Anschluss können wohl die längste Schlange des Wochenendes vor dem Spiegelzelt für sich verbuchen. Eilt ihnen doch der Ruf einer großartigen ekstatischen Live Band voraus. Diesem Ruf werden die Londoner in kürzester Zeit gerecht. Ihr etwas unorthodoxer Postpunk bringt nicht nur das komplette Zelt in Bewegung. Auch die, die es nicht mehr ins Zelt geschafft haben, funktionieren den Biergarten in eine große Tanzfläche um. Ein Haldern Moment.
Die Villagers sind gute alte Bekannte im Haldern Universum. Den Headliner Slot am letzten Festivaltag auf der Hauptbühne hatten sie aber noch nicht inne. Nervosität ist bei der Band um Mastermind Conor J.O’Brien jedoch nicht zu erkennen. Die sonst sehr leise Band spielt einige Songs überraschend laut und ausufernd, was vom Publikum begeistert honoriert wird. Als er dann noch die kleine „Haldern Hymne“ BECOMING A JACKAL spielt, ist der Höhepunkt des letzten Festivaltages erreicht.
Den letzten Auftritt im Spiegelzelt hat in diesem Jahr keine Band, sondern das Publikum, die Helfer*innen und die Künstler*innen. Wie früher auf der Hauptbühne ist es Zeit für die Sause. Eine wunderbare Gelegenheit mit Freund*innen und alten und neuen Bekanntschaften noch in Erinnerungen des Wochenendes zu schwelgen, was zu trinken und – wenn noch Energie vorhanden ist – zu tanzen.
Das 41. Haldern Pop stand vor seinem Start auf etwas wackeligen Beinen. Was das Publikum, die Helfer*innen und die Künstler*innen dann aber wieder mal aus dem Festival gemacht haben, werden alle Besucher*innen noch lange in ihren Köpfen und Herzen mit sich tragen. Stefan Reichmann sagte auf der Pressekonferenz, er habe sich neu in das Festival verliebt und man konnte an den drei Tagen den Eindruck gewinnen, dass es Vielen im Publikum genauso ergangen ist. Dies manifestiert sich auch darin, dass die erstmalig angebotenen Early Bird Tickets bereits nach wenigen Tagen ausverkauft sind. Wir sehen uns im nächsten Jahr vom 07. -09.08.2025 auf dem alten Reitplatz.