Morgen Abend spielen SHAME im Gebäude 9. Seit über zehn Jahren gilt die Band aus Süd-London als eine der aufregendsten Stimmen des Post-Punks. Mit ihrem neuen Album „Cutthroat“ im Gepäck kehren SHAME nun nach Köln zurück, lauter, experimentierfreudiger und wilder denn je. Die Frage ist nicht, ob es kracht – sondern wie sehr.
Von Brixton in die Welt
Entstanden sind SHAME im Londoner Club Windmill, dem Brutkasten einer ganzen Szene. Dort trieben auch FAT WHITE FAMILY, GOAT GIRL und später BLACK MIDI ihr Unwesen. Jede dieser Gruppen suchte ihren eigenen Ausweg aus dem engen Korsett des Genres: FAT WHITE FAMILY inszenierten den Exzess als Selbstzerstörungskunst, BLACK MIDI verschoben die Grenzen ins jazzige Chaos, GOAT GIRL gaben der Szene feministische Schärfe. SHAME dagegen entschieden sich für Konfrontation: kompromisslos, aber vergleichsweise geerdet. Ihr Debüt „Songs of Praise“ von 2018 klang wie ein Aufschrei direkt aus der Kellerkneipe.
Zwischen Hype und Erschöpfung
Der frühe Jubel brachte SHAME nicht nur Lorbeeren, sondern auch Druck. „Drunk Tank Pink“ von 2021 wirkte wie ein verballertes Selbstgespräch. Definitiv sehr ehrgeizig, aber auch schwer verdaulich. „Food for Worms“ aus dem Jahr 2023 führte sie dann zurück zur Direktheit des Debüts, ohne die Unsicherheiten des Vorgängers zu wiederholen.
„Cutthroat“ – ein riskanter Joyride
Das neue Album „Cutthroat“ entstand mit dem amerikanischen Produzenten John Congleton in den Salvation Studios in Brighton. Congleton hat in den letzten Jahren unter anderem mit ST. VINCENT, ANGEL OLSEN oder EXPLOSIONS IN THE SKY gearbeitet und ist bekannt dafür, Bands aus der Komfortzone zu treiben. Jeder Produktion verleiht er eine eigene Handschrift, ohne den Markenkern seiner Kundschaft zu verwässern. Bei SHAME bedeutet das: eine präzisere Wucht, weniger Zufall, mehr Konkretes.
„Cutthroat“ umfasst zwölf Stücke und dauert knapp vierzig Minuten. Es ist ein wilder Ritt zwischen Trotz und Verzweiflung, verziert mit unerwarteten Elementen: Synthesizer, elektronische Loops, Rockabilly-Riffs, sogar Anklänge portugiesischer Folklore. Nicht jeder Einfall trifft, doch gerade diese Unebenheiten verhindern Stillstand. Inhaltlich kreist die Platte um Konflikte, Machtmissbrauch, Gier und Resignation – stets gebrochen durch Ironie und Selbstreflexion.
Vergleich mit den Nachbarn
Neben FAT WHITE FAMILY wirken SHAME fast kontrolliert. Deren Dekadenz ist Steen und seine Mitstreitern fremd.. Im Vergleich zu IDLES fehlt ihnen zwar das Stadion-Pathos, doch genau das macht SHAME glaubwürdig: Sie sprechen nicht für alle, sondern nur für sich. Ihre Texte sind bissig, politisch, oft sarkastisch.
Live: Eskalation mit Fragezeichen
„Our live shows aren’t performance art – they’re direct, confrontational and raw“, sagt Charlie Steen. Und tatsächlich: SHAME-Konzerte sind keine gutgeölte Routine, sondern Eskalation mit offenem Ausgang. Moshpits, Stagedives, Chaos gehören dazu, ebenso wie ein Moment von Fremdheits-Erfahrung. Steen sucht Nähe, indem er sich ins Publikum stürzt, bleibt aber ein Getriebener.
Der kritische Punkt
Zehn Jahre nach ihren ersten Abenden im Brixton-Underground stehen SHAME an einer Weggabelung. „Cutthroat“ ist der Versuch, das eigene Konzept nicht zum Ritual verkommen zu lassen, sondern neu zu entfachen. Ob diese Gratwanderung gelingt, zeigt sich morgen in Köln. Sicher ist nur: leise wird es nicht.
Tickets gibt es hier.
Foto: Jamie Wdziekosnski







