Einmal im Jahr feiert Köln das internationale Kino – zumindest auf dem Papier. In der Realität bleibt das Festival ein Ereignis für die Branche, nicht für die Stadt. Das soll nicht heißen, dass das Programm schwach wäre. Im Gegenteil: große Namen, ambitionierte Stoffe, viel Diskurs. Wer nur auf die Titel blickt, könnte meinen, hier entfalte sich filmische Weltläufigkeit mitten in der Domstadt. Doch dieser Eindruck täuscht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich: Die Fassade wirkt stabiler als das, was dahinter tatsächlich geschieht.
Rhetorischer Wandel, strukturelle Beharrung
Nach den internen Auseinandersetzungen im Vorjahr – Vorwürfe von Mobbing, Machtmissbrauch und intransparentem Umgang mit Fördergeldern – reagierte Festivalleiterin Martina Richter nicht mit einem Umbau der Strukturen, sondern mit einer Neuausrichtung der Sprache.
Gegenüber der Stadtrevue kündigte Richter an, gemeinsam mit Diversity Culture Cologne einen „Awareness-Prozess“ und einen „Code of Conduct“ zu starten. Diversity Culture Cologne ist das Projekt von Julia Mädrich, die die Initiative 2023 gegründet hat und nach eigener Beschreibung Kulturinstitutionen zu Gender- und Queerthemen, Neurodivergenz, chronischen Erkrankungen und Barrierefreiheit berät.
Ein Profil, das hervorragend zu Podien, Konzeptpapieren und Instagram-Kampagnen passt. Die Frage ist nur, ob es auch das richtige Instrument ist, wenn das Problem nicht fehlende Awareness, sondern eine Chefin ist, die ihren Laden schlecht führt. Zumindest in Bezug auf die Stimmung ihrer Helfer*innen.
Der „Vorfall“, so Richter, zeige, „wie schnell heutzutage unbelegte Anschuldigungen eine große öffentliche Reichweite erlangen können“. Im Kölner Stadt-Anzeiger inszenierte sie sich parallel als verletzliche Figur: „Mir ist in dieser Zeit bewusst geworden, wie angreifbar man als öffentliche Person ist“ (Michael Kohler, 5.10.2025).
Und dann dieser Satz: „Ich fand es immer problematisch, dass das Festival lediglich einer Person gehört.“
Er klingt, als stamme er aus einem kritischen Kommentar – nicht von der Frau, die das System aufgebaut, verwaltet und gegen Kritik verteidigt hat. Aus dem Mund der Alleingesellschafterin bekommt er einen fast surrealen Beiklang. Es ist einer dieser Momente, die man eher aus der Politik kennt: Selbstbeschreibung und Realität klaffen weit auseinander. Die Architektin benennt ihre eigene Konstruktion, ohne auch nur einen Stein zu verrücken.
Angesichts der Vorwürfe und internen Auseinandersetzungen des vergangenen Jahres wirkt dieses Statement fast dadaistisch – als wolle jemand seine Führungsqualitäten mit dem Hinweis belegen, die eigenen Eltern seien stets freundlich zum Familienhund gewesen.
Finanzielle Korrektur, inhaltliche Konstanz
Das Land NRW hat seinen Zuschuss 2025 um 200.000 Euro auf 450.000 Euro gekürzt. Offiziell aus Spargründen, inoffiziell als stilles Misstrauenssignal. „Das hat aber keinerlei Auswirkungen auf unser Programm“, versichert Richter (Westdeutsche Zeitung, 29.9.2025).
Die Gala entfällt, das E-Werk ebenfalls, das Festival konzentriert sich künftig stärker auf den Kölner Filmpalast und das Filmhaus. Inhaltlich aber bleibt alles beim Alten: Filme, die in den kommenden Wochen oder Monaten regulär anlaufen oder bald im Fernsehen verfügbar sein werden, laufen hier vorab – öffentlich gefördert, stets versehen mit dem Nimbus des Besonderen. Ob dieses Modell bei sinkenden Kinozahlen wirklich zielführend ist, darf man bezweifeln.
Es hängt freilich davon ab, was man unter „Zielführung“ versteht. Geht es darum, den eigenen Anteil am Staatssäckel verlässlich zu sichern, erweist sich das System als bemerkenswert funktional. Geht es hingegen darum, mehr Menschen für Kino und Filmkultur zu gewinnen, fällt die Bilanz deutlich nüchterner aus.
Umso bemerkenswerter ist, dass im diesjährigen Programm ausgerechnet ein Film über eine Figur auftaucht, die genau das über Jahrzehnte geleistet hat: Christiane Büchners Dokumentarfilm Erzählungen eines Kinogehers – Werner Dütsch (D 2025). Dütsch prägte als Filmredakteur des WDR seit den 1970er Jahren ganze Generationen von Cinephilen in Deutschland. Auf der Grundlage eines über achtstündigen Interviews entfaltet der Film ein Panorama seiner Arbeit – von der Nachkriegszeit in den Filmclubs über die Jahrzehnte beim Fernsehen bis zu seinen späten Jahren als Professor an der Kölner KHM. Wahrscheinlich hat Werner Dütsch für die Filmbildung der deutschen Boomer- und Generation-X-Jahrgänge mehr bewirkt als sämtliche Filmfestivals des Landes zusammen. Ein Beispiel dafür, wie jemand mit klaren Ideen die verfügbaren Mittel wirksam einzusetzen wusste.
Ein starkes Programm – und die Frage nach dem Resonanzraum
Bei aller Kritik, die sich wohlgemerkt nicht ausschließlich gegen das Kölner Festival richtet, lohnt dennoch ein Blick auf das diesjährige Programm. 2025 ist es zweifellos prominent besetzt: Paolo Sorrentino (Grace), Nadav Lapid (Yes), die Dardenne-Brüder (Jeunes Mères), Jafar Panahi, Alexander Kluge, Werner Herzog, Gianfranco Rosi, Mstyslav Chernov (2000 Meters to Andriivka), Kelly Reichardt mit The Mastermind – nur vordergründig ein Heist-Film, tatsächlich das Porträt einer Generation im Schatten des Vietnamkriegs – sowie Kirsten Stewart mit ihrem gefeierten Regiedebüt The Chronology of Water.
Dazu kommen der NRW-Wettbewerb, Serienpremieren wie A Better Man, Putain und The Deal, Fachveranstaltungen und Panels, Networking-Formate sowie ein Tatort-Special (Die Schöpfung).
Die inhaltliche Dichte ist unbestritten hoch. Doch sie trifft auf eine Stadt, die filmisch erstaunlich leer ist.
Köln und das Publikum, das nicht da ist
Ob eine Stadt, in der am Startwochenende des international gefeierten Films One Battle After Another von diesem nicht einmal 400 Karten im gesamten Stadtgebiet verkauft werden, ein Filmfestival mit großem öffentlichen Screening-Anteil braucht, ist vermutlich schneller zu beantworten als die Frage nach dem Standort des neuen Geißbockheims oder dem Sinn eines weiteren unterirdischen Straßenbahntunnels.
Das Festival erreicht kein neues Publikum. Es versammelt das vorhandene – und zieht es vorab aus dem regulären Kinobetrieb ab. Man könnte es Publikumsentwicklung nennen. Treffender wäre: eine elegant organisierte Kannibalisierung.
Förderlogik statt Öffentlichkeit
Während in den Kinos leere Reihen bleiben, funktioniert die Struktur präzise. Panels diskutieren Finanzierungswege, Produzenten erzählen, wie ihre Serien „am Ende dann doch“ mit dem Luxemburger Co-Produzenten entstanden. Man muss kein kulturpessimistischer Querulant sein, um hier an Klaus Lemke zu denken, der die deutsche Filmförderung als ein System kritisierte, in dem, so Lemke, „die paar Hanseln, die da sitzen, entscheiden, was Film zu sein hat. Und das Publikum spielt keine Rolle mehr“ (epd Film, 10/2012). Das Festival illustriert diesen Gedanken – unfreiwillig, aber mustergültig.
Schöner Schein
Ob das Festival jemals (wieder) echte Strahlkraft entfaltet oder endgültig zur Fachkonferenz mit Tatort-Anstrich wird, hängt weniger von Awareness-Formulierungen ab als vom politischen Willen.
Derzeit spricht wenig für Bewegung. Die Struktur ist stabil, das öffentliche Interesse gering. Das Festival funktioniert – aber es leuchtet nicht in die Stadt hinein. Es ist eine elegante, gut geölte Maschine, die jedes Jahr zuverlässig anspringt. Sie produziert Bilder, Reden, Zuschüsse. Nur eines erzeugt sie kaum: Resonanz.
Foto: ©Mastermind Movie Inc 2025







