Leere macht sich in einem breit, während man die Massen an durchgeschwitzten Menschen beobachtet, die die prall gefüllte Große Freiheit 36 verlassen. Mit dem Ende des Reeperbahnfestivals sieht man wiedermal dem kalten Winter und vor allem dem großen, gähnenden Festivalloch entgegen. Bleibt immerhin genug Zeit, die drei wunderbaren Abende auf dem Hamburger Kiez Revue passieren zu lassen.
Das etwas andere Festival, umschwärmt von Zuschauern wie Künstler und Bands, wartet abermals mit beeindruckenden Zahlen auf und kann sich gegenüber dem Vorjahr sogar steigern. 17.500 Gäste aus aller Herren Länder, 1.900 Medienvertreter und über 200 Bands. Nicht zu vergessen der Reeperbahn Campus und Arts Teil, die den Besuch in der Hochburg der Partyszene Europas zu einem einzigartigen Erlebnis macht. Die Mischung macht’s. Aber starten wir von Anfang an.
Die Aufwärmphase für die beiden Haupttage des Festivals bildet der Donnerstag. Obwohl viele der sonderbarsten Locations ihre Pforten noch geschlossen haben, hat es das Programm in sich. Bevor wir uns zu den ersten Bands begeben, gönnen wir uns einen kurzen Blick auf die Flatstock Musik-Poster Ausstellung. Hier säumen wahre Kunstwerke, egal ob schlicht oder knallbunt, zu erschwinglichen Preisen das Ambiente direkt auf dem Spielbudenplatz. Durchaus angetan schauen wir uns nun auf selbigem, zur besten deutschen Fernsehzeit, die blutjunge Band The Drakes an. Mit leichten Soundproblemen kämpfend, meistern die Indie-Rocker aus Wernigerode ihren Auftritt jedoch mit Bravour und stimmen uns fröhlich auf das Kommende ein. Das erwartet uns gleich nebenan in den „Docks“. Hier steht der Abend frei unter dem Motto „Musik aus Stockholm“, startend mit der symphytischen Miss Li. Die beschloss vor fünf Jahren über Nacht, ihr Leben der Musik zu verschreiben und hat seitdem schlappe fünf Alben herausgebracht. Ausgerüstet mit einigen musikwütigen Männern an ihrer Seite, hat die Schwedin mit ihrem unbeschwerten Mix aus Jazz / Indie / Pop ordentlich was zu bieten und verzückt die Menge mit den schnellen genauso wie mit den ruhigeren Tönen. Mit dem gleichen Prinzip trumpfen kurz darauf auch die Indie-Folker Friska Viljor auf, ebenso Künstler aus Stockholm. Während das gut gefüllte Docks in der verträumten Atmosphäre langsam versinkt, verschwinden wir gen Ende des Konzerts in die kleine Prinzenbar um die Nacht mit einem Kontrastprogramm ausklingen zu lassen. Die elektrisierenden Beats Ira Ataris lassen von der ersten Sekunde an kein Tanzbein locker und stimmen uns schon mal vorsorglich auf den Audiolith Marathon Samstagabend ein.
Doch zuvor steht erst mal der Freitag auf dem Plan, der ebenfalls einige Schmankerl zu bieten hat. Los geht’s mit Go Back To The Zoo. Die vier Rocker aus Amsterdam durchleben zurzeit einen Bilderbuchaufstieg und berauschen auch in St. Pauli mit ihren Hits „Beam Me Up“ und „Electric“. Kurz darauf müssen wir uns Sputen, um noch rechtzeitig zum Beginn des Headliners Friendly Fires zu kommen. Dafür nehmen wir, ein weiterer Aspekt der dieses Festival so einmalig macht, einfach die nächste U-Bahn. Diese fährt uns direkt zur Feldstraße, wo es im riesigen ehemaligen Luftschutzbunker mit dem Fahrtstuhl rauf in das etablierte Übel und Gefährlich geht. Hier knüpfen die Briten nahtlos an die ausgelassene Stimmung bei Go Back To The Zoo an und setzen noch eins drauf. Es wird getanzt und mit gejauchzt und bei den regelmäßigen Ausflügen von Sänger Ed Macfarlane in die Menge, möchten viele mal kurz das durch genässte Hemd berühren. Auch die Setlist lässt keine Wünsche offen: Von „Skeleton Boy“ zu „Paris“ und „Hawaiian Air“, alles war dabei. Die schweißtreibenden Temperaturen im „Übel und Gefährlich“ hinter uns lassend, brechen wir wieder auf zu den „Docks“. Dabei hören wir auf dem Weg unter anderem aus der Reeperbahn Haspa-Filiale und einem anrüchigen Stripclub, dröhnende Musik nach außen kommen, denn selbst hier wird den Künstlern eine Bühne geboten. Einzigartigkeit wird auf dem Reeperbahn Festival ganz groß geschrieben. Viel Zeit bleibt uns leider nicht einen kurzen, faszinierten Blick hineinzuwerfen. The Rifles beginnen in wenigen Minuten und den Trip zurück Richtung Spielbudenplatz bereuen wir nicht. Die Indie Band durch und durch überzeugt die Menge mit „Shes Got Standards“ als zweiten Song schnell und auch der restliche Gig enttäuscht nicht. Und wer nun das Docks in die kühle Hamburger Nacht verlässt, hat gleich gegenüber noch die Möglichkeit überschüssige Energie in der Converse Silent Disco abzubauen, oder in einer der vielen, vielen Partner-Clubs des Festivals. Wir steigen mit ein.
Samstag, der letzte musikalische Abend auf dem Kiez, steht wie schon erwähnt, ganz im Zeichen des Hamburger Labels Audiolith. Die setzen bekanntlich besonders auf fetzige Beats und klare Aussagen. Doch gleich vier Bands in Diensten Audioliths, im Komplettpaket auf einem Festival vereint, das hat man bisher sehr nur ganz selten gesehen. Deswegen ergreifen wir die Chance und stellen uns auf einen langen Abend in einer der größten Locations der Reeperbahn ein, der „Großen Freiheit 36“. Noch überschaubar gefüllt machen die beiden Jungs von Captain Capa den Anfang. Und was die für ein Feuerwerk an tanzbaren Electro-Beat zaubern sucht seinesgleichen. Das Tempo ist enorm, der Sound leider nicht perfekt, doch das ist schnell vergessen. Freudig eingestimmt erwarten wir nun die Band, die uns schon auf dem Dockville nah an die Taubheit gebracht hat. Auch heute sind die „8000 Mark“ Rufe sicher bis weit nach draußen hörbar. Von den lautstarken Parolen Supershirts geht es nun hinüber zu den lautstarken Bässen Bratzes. Die eben schon ausgelassene Stimmung erfährt hier nun noch eine weitere Steigerung, es wird wild getanzt, teilweise gepogt und mitgegröhlt. Besonders die knallbunte, explosive Lichtshow trägt ihren Teil zum grandiosen Auftritt Bratzes bei. Noch deutlich sichtbar aufgedreht sehen wir mit Frittenbude dem Höhepunkt und Finale des Abends entgegen. Diese sorgen mit ihrem aufwändig gedrehten Video zu dem hochgelobten Song „Bilder mit Katze“ zurzeit für Aufsehen. Umso erstaunlicher und ein wenig enttäuschend, dass sie gerade dieses Stück nicht spielen. Doch von „Hildegard“ zu „Mindestens in 1000 Jahren“ war für jeden Frittenbude und Audiolith Fan in der zum Bersten gefüllten „Großen Freiheit“ was dabei, sodass alle versöhnlich gestimmt in die Partynacht strömen. Was bleibt, ist die eingangs erwähnte Leere, die einem schon fast sentimental stimmt. Aber was ebenso bleibt, sind die wunderschönen Erinnerungen, in denen wir noch Tage danach schwelgen werden und die unsere Freude auf das nächste Jahr nur noch steigern wird.
Fotos; Titelbild: Stefan Malzkorn; Fotografin Lisa G.
Friendly Fires
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