Mit “Art of Almost” etwa verfügt THE WHOLE LOVE über einen mehr als sieben Minuten langen Opener, der teilweise an den Stil von Kasabian erinnert und sich gewaschen hat. Während der ersten viereinhalb Minuten bereitet das gute Stück den Hörer mit einer prägnanten Bassline, die – später gar in verschärfter Form – den ganzen Song trägt, mit Synthie-Effekten, Percussion, Streichern und allem, was dazu gehört, fast schon dramatisch auf das furiose Finale vor. Fast drei Minuten lang steigern sich die Jungs dort dann in einen musikalischen Rausch, der schließlich mit einer mitreißenden Gitarrenperformance endet und einfach nur Lust auf mehr macht. Darauf folgt die erste Single, die auf den Namen „I Might“ hört und glatt eine frühe Bowie-Nummer sein könnte. Gute Laune macht der Track, er geht ordentlich ab und tanzbar ist er auch noch – was will man mehr!? Mit „Dawned on Me“ verhält es sich ähnlich. „Born Alone“ ist hingegen fast eins zu eins Snow Patrol. Man sieht also: Um Vergleiche mit anderen Musikacts kommt man bei Wilcos aktueller Platte nicht herum. Insbesondere dann nicht, wenn man sich die ruhigeren, eher Country-lastigen Titel wie „Black Moon“ und „Open Mind“ zu Gemüte führt. Hier tauchen – zumindest im Background – eindeutige Parallelen zu Calexico auf. Und beim Titeltrack „Whole Love“ fühlt man sich instrumental und rhythmisch schier zu den guten alten Byrds in die 60er zurückversetzt. So oft man bei den verschiedenen Songs auf THE WHOLE LOVE auch an das Repertoire anderer etablierter Künstler erinnert wird, so innovativ und vielseitig kommt die Platte doch daher.
Sowieso merkt man der Musik von Wilco seit 2002 einen gewissen Fortschritt an und auch die neue Scheibe macht da keine Ausnahme. Damals wurde die Band mitsamt ihrem Material zu YANKEE HOTEL FOXTROT von ihrem ursprünglichen Label vor die Tür gesetzt. Der Grund: Unstimmigkeiten über stilistische Neuerungen in ihrer Musik und die Befürchtung, die neuen Songs könnten sich auf dem Markt nicht durchsetzen. Dass ein wenig mehr Elektronik und Experimentierfreude die Bandbreite der Band jedoch stetig erweitert haben, ist unbestritten. Ein neues Label war schließlich schnell gefunden und besagter Longplayer verkaufte sich bis heute mit Abstand am besten. Nicht umsonst haben Wilco mit ihrem 2005er-Album A GHOST IS BORN außerdem gleich zwei Grammys abgeräumt. Eine weitere Nominierung folgte jeweils für die zwei Nachfolgealben.
Doch ist THE WHOLE LOVE ebenso preisverdächtig? Nach den ersten beiden Songs möchte man der Band zwar ohne Umschweife gleich mehrere Preise verleihen und auch einige weitere klingen sehr stark. Doch sind einige Nummern so ruhig, dass den Hörern, die nicht gerade Liebhaber solcher Musik sind, der Zugang dazu wohl fehlen dürfte. Allen voran „One Sunday Morning (Song for Jane Smiley’s Boyfriend)”, welches zwar zweifelsohne eine tolle Ballade ist und mit dem Opener rein zeittechnisch eine gewisse Rahmung für die Platte bildet, doch auch über zwölf Minuten so vor sich hinplätschert und damit das krasse Gegenteil zu “Art of Almost” bildet. Insgesamt also ein solides Album mit Stärken und Schwächen.
VÖ: 23.09.11; dBpm Records
Tracklist:
01. Art of Almost 9/10
02. I Might 9/10
03. Sunloathe 5/10
04. Dawned on Me 7/10
05. Black Moon 6/10
06. Born Alone 7/10
07. Open Mind 5/10
08. Capitol City 5/10
09. Standing O 6/10
10. Rising Red Lung 5/10
11. Whole Love 7/10
12. One Sunday Morning (Song for Jane Smiley’s Boyfriend) 7/10
Durchschnitt: 6,5/10
Gesamteindruck: 6,5/10
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