Oh Antony, du wunderbares Wesen aus Licht! Wer wäre nicht hingerissen von der androgynen Stimme, dessen Männlichkeit immer wieder in die wunderbaren Höhen der weiblichen Stimme entgleitet, fast so, wie es einige wenige vielleicht noch von Klaus Nomi kennen – nur weniger klassisch, weniger abgedreht, weniger Avantgarde.
CUT THE WORLD ist das vierte Album eines Sängers, der bereits jetzt zu einer Legende geworden ist. Herbert Grönemeyer, Linda Thompson, Björk, Lou Reed oder auch Rufus Wainwright – die Liste seiner Bewunderer ist lang und vielseitig – Antony ist, so möchte man vermuten, die Sirene aus den homerischen Epen, die Stimme, der sich nicht einmal die stärksten Männer entziehen können. CUT THE WORLD, ein mit dem Danish Chamber Orchestra in Kopenhagen aufgenommenes Livealbum, überzeugt – was die Arrangements und die gesangliche Performance angeht – auf ganzer Linie. Immerhin versammeln sich unter den zwölf Stücken die besten Songs des Oeuvres des Meisters. Seit jeher prädestiniert im klassischen Rahmen präsentiert zu werden trägt es den Hörer dahin, bettet ihn auf Watte, ist ein gleißender Strahl weißen Lichts. Und doch muss man sich schon fragen, warum ausgerechnet „Her Eyes Are Underneath The Ground“ fehlt. Welches Stück, wenn nicht dieses, vereint das ganze Können Antonys? Warum wurde „Kiss My Name“ mit billigster orchestraler Perkussion unterlegt, die man so auch von klassischen Adaptionen aktueller Popsongs kennt, wie man sie gerne bei Tanztees zu hören bekommt? Was hat „Future Feminism“ hier zu suchen? Eine beinahe achtminütige Rezitation, die sich um patriarchale Strukturen bezieht? Nette Gedanken, die aber spätestens beim zweiten Durchgang nerven. Denn sie sind zu lang, zu schlecht vorgetragen (man vergleiche hier einmal die Rezitationen Leonard Cohens), zu beliebig und doch merkt man hier wenigstens, dass CUT THE WORLD ein Livealbum ist, bei dem auch ein Publikum anwesend war. Doch von diesen wenigen Punkten abgesehen ist CUT THE WORLD wieder einmal ein überwältigendes Stück Musik, auf dem es auch einen neuen Song zu hören gibt („Cut The World“). Wie man es auch dreht und wendet: Antony ist ein Phänomen, eine Ausnahmeerscheinung im Musikzirkus der heutigen Zeit. Ein Fünkchen Hoffnung in einer immer trostloser werdenden Welt.
Ohr D’Oeuvre: The Rapture, Cut The World, The Crying Light
VÖ: 03.08.2012; Rough Trade Records / Beggars Group
Tracklist:
1. Cut the World
2. Future Feminism
3. Cripple and the Starfish
4. You Are My Sister
5. Swanlights
6. Epilepsy Is Dancing
7. Another World
8. Kiss My Name
9. I Fell In Love With a Dead Boy
10. The Rapture
11. The Crying Light
12. Twilight
Gesamteindruck: 9/10
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