„All ihr homophoben Vollidioten, all ihr dummen Hater /
All ihr Forums-Vollschreiber, all ihr Schreibtischtäter /
All ihr miesen Kleingeister mit Wachsstumsschmerzen /
All ihr Bibel-Zitierer mit euerm Hass im Herzen /
All ihr Funktionäre mit gemeinsamem Nenner /
All ihr harten Herdentiere, all ihr echten Männer /
Kommt zusammen und bildet eine Front /
Und dann seht zu was kommt!“ (Der Tag wird kommen)
Nachdem Labelkollege Thees Uhlmann bereits sein zweites Solo Album vorgelegt hat, traut sich auch Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch auf den Solopfad. Böse Zungen könnten behaupten, dass sich das Grand Hotel gedacht hat, was bei Uhlmann klappt, wird aufgrund der großen Schnittmenge der Fans bei Wiebusch auch klappen. Darüber hinaus ist es bei Wiebusch ähnlich wie bei Uhlmann, dass die Stimme einen dermaßen hohen Wiedererkennungswert besitzt, dass es für den geneigten Kettcar-Fan eine Selbstverständlichkeit sein wird, sich die neue Platte von Wiebusch zuzulegen.
Insofern wäre es für Marcus Wiebusch ein Einfaches gewesen, mit KONFETTI auf Nummer sicher zu gehen und unter dem „Solo-Fähnchen“ ein weiteres Kettcar-Album zu veröffentlichen. Aber nicht mit dem inzwischen 45 Jährigen Altpunk aus Hamburgs ehemaligen Problembezirk Veddel. Schon früh wird einem auf KONFETTI klar, warum Wiebusch diesmal solo daherkommt: Es ist die Wut und der Wille, auf Missstände hinzuweisen und Stellung zu beziehen. Bestes Beispiel hierfür ist der Song „Der Tag wird kommen“, in dem Wiebusch die Geschichte eines homosexuellen Fußballprofis und Freundes erzählt, der aus Angst vor der Reaktion des Publikums seine Homosexualität versteckt. Nachdem Marcus Wiebusch in einem Gespräch mit einem befreundeten Journalisten erfuhr, wie viele Fußballprofis dieses Schicksal teilen, schrieb er den siebenminütigen Song, der deswegen nichts weniger ist als das wichtigste deutschsprachige Lied 2014. Unterstrichen wird dieses Plädoyer gegen alle homophoben Arschlöcher dieser Welt dadurch, dass Wiebusch eher rappt als singt, was seine Wut noch spürbarer macht. In „Wir waren eine Gang“ thematisiert er die Entwicklung, die die Punks von früher oftmals genommen haben. Früher Kämpfer gegen das System, sind die Punks von damals heute Triebfedern des Systems, meinen aber immer noch Punks zu sein, wenn sie alle zwei Wochen im Totenkopf-Kapuzenpulli auf der Haupttribüne beim FC St.Pauli Platz nehmen. Man könnte die Liste noch weiterfortsetzen, es gibt kaum eine Nummer auf KONFETTI, mit der Wiebusch nicht Stellung bezieht, wobei nie der Zeigefinger im Vordergrund steht sondern die Hoffnung auf eine Veränderung und die Reflexion seines Zutuns.
Die Sprache auf KONFETTI ist im Vergleich zu Kettcar direkter. Es werden Metaphern vermieden. Dies war Wiebusch ein Anliegen. Er geht weg von dem Befindlichkeitsklischee, in dem Kettcar zuletzt zu stark verhaftet waren, um den Leuten seine Meinung ungeschminkt ins Gesicht zu brummen oder eben auch zu rappen. Ja, Wiebusch rappt und ja, das Album ist auch musikalisch bedeutend vielfältiger als die letzten Alben seiner Hauptband. Hier standen von The National über Kanye West oder die Foals bis hin zu alten Deutschpunk-Größen Bands aus den verschiedensten Genres Pate. Und allen Kettcar-Hardcore-Fans sei gesagt: auch Kettcar lässt sich an der einen oder anderen Stelle raushören.
Hat sich nun also die Angst bestätigt, dass Marcus Wiebusch mit KONFETTI einfach seinem Freund und Kollegen Thees Uhlmann nacheifert? Die Antwort darauf lautet ganz klar NEIN. Vielmehr legt Wiebusch eine musikalisch vielfältige Platte vor, bei der sich viele Songs erst nach mehrfachem Hören erschließen, den Hörer dann aber nicht mehr loslassen. Inhaltlich ist Wiebusch auf KONFETTI eh über allem erhaben. Alleine für „Der Tag wird kommen“ kann man nicht mehr als Danke sagen, für den inhaltlich relevantesten Song in Musikdeutschland seit vielen Jahren.
Ohr d’oeuvre: Der Tag wird kommen/Wir waren eine Gang
VÖ: 18.04.2014 / Grand Hotel Van Cleef (Indigo)
Tracklist:
01. Off
02. Der Tag Wird Kommen
03. Nur Einmal Rächen
04. Jede Zeit Hat Ihre Pest
05. Was Wir Tun Werden
06. Haters Gonna Hate
07. Der Fernsehturm Liebt Den Mond
08. Das Böse Besiegen(Der Exorzismus Des David R.)
09. Wir Waren Eine Gang
10. Springen
11. Schwarzes Konfetti
Gesamteindruck: 7,5/10
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