Livealben sind zumeist eine sichere Sache: Die Fanschar freut sich auf ein konserviertes Konzerterlebnis, während Frischlinge eine Art Greatest-Hits-Compilation aufgetischt bekommen.
Natürlich werden Fans des Kölners, der möglicherweise (aber wohl eher nicht) mit bürgerlichem Namen Meinrad Jungblut heißt, das LOB DER REALITÄT, zu dem parallel auch ein gleichnamiges Buch voll PeterLichtschem Irrsinn erschien, in ihr Herz schließen. Denn auf dem fast zweistündigen Doppelalbum tummeln sich nicht nur Stücke von allen fünf Studioalben, sondern eben auch diese verrückten, lustigen Monologe des Künstlers, die zu seinen Auftritten einfach dazu gehören.
Das Problem: Wenn man nur an der Musik PeterLichts interessiert ist (also die potentielle Kundschaft, die ein Best-Of-Album erwartet), dann werden diese bis zu zwölf Minuten langen Monologe nach dem ersten oder zweiten Durchgang trotz aller Albernheit geskippt und das vermeintliche Doppel- wird zu einem normalen Einzelalbum. Dieses allerdings weiß über weite Strecken zu fesseln. Insbesondere die Stücke der ersten beiden, noch deutlich experimentelleren Alben 13 LIEDER und STRATOSPHÄRENLIEDER erklingen dabei in einem angepassten Gewand: Das ursprünglich nervend elektronische „Fuzzipelz“ avanciert in seinen Schlussakkorden gar zu einem Noisepunk-Ungetüm. Besonders gelungen aber sind die Interpretationen von PeterLichts bisherigem Meisterwerk LIEDER VOM ENDE DES KAPITALISMUS: Im polka-esquen „Gerader Weg“ überholt der Sänger sich und seine Liveband im Tempowahn mehrmals selbst, ehe er sich wieder fängt und das Stück letztlich doch noch ins Ziel rettet. Und der Titelsong wird zu einem Arm-in-Arm-Mitsingschunkler, bei dem einem endgültig auffällt, wie perfekt das gesamte Album abgemischt wurde.
Im heutigen Zeitalter liegt einem Livealbum meistens noch eine Live-DVD bei (beziehungsweise genau anders herum), aber eine visuelle Dokumentation konnte man von PeterLicht wohl auch nicht erwarten. Von eben jenem PeterLicht, bei dessen Fotoshootings stets Bücher oder Tassen den Kevin Costner machen und sich vor sein Gesicht werfen. Von einem Künstler, der sich selbst bei seinem Auftritt anno 2006 bei der Harald-Schmidt-Show nur vom Hals abwärts filmen ließ. Als Fan seiner Musik muss man da schon froh sein, dass PeterLicht überhaupt Livekonzerte spielt – und sich dabei nicht in einem Häschenköstüm versteckt. Schade ist das Fehlen von bewegten Livebildern im Fall vom LOB DER REALITÄT aber dennoch.
Ohr d’Oeuvre: Sonnendeck / Lied vom Ende des Kapitalismus / Trennungslied / Wir werden siegen
VÖ: 03.10.2014; Staatsakt
Tracklist:
CD1:
01. Alles was Du siehst gehört Dir
02. Gerader Weg
03. Wir sollten uns halten
04. Sonnendeck
05. Mehrgeschossige österreichische Keller
06. Die transsylvanische Verwandte ist da
07. Wettentspannen
08. Lied vom Ende des Kapitalismus
09. Der Arbeitgeberpräsident kommt auf eine Idee
10. Benimmunterricht (Der Arbeitgeberpräsident)
11. Trennungslied
12. Das Ende der Beschwerde / Du musst dein Leben ändern
CD2:
01. Shiva
02. Es bleibt uns der Wind (Du bist richtig hier)
03. Der Hosengott
04. Fuzzipelz
05. Vorschläge für eine neue Sportart
06. Befreiungsgeräusche
07. Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt
08. Wir werden siegen
09. Zonen
10. Das Sausen der Welt
11. Offenes Ende
Gesamteindruck: 7/10