„Ich habe ja Liederbücher mitgebracht und verteilt, da können jetzt alle mitsingen!“ Tobias Siebert aka And The Golden Choir schaut erwartungsvoll ins Publikum. Im nächsten Moment verfällt er in ein breites Grinsen.
Dem Konzertbesucher eröffnet sich an diesem Abend ein merkwürdiges Bühnenbild im Keller des Stadtgartens. In der rechten Ecke steht ein Plattenspieler, dem gegenüber sich die meiste Zeit der Künstler platziert. Siebert bildet die Ein-Mann-Band And The Golden Choir. Er legt die nächste Platte auf den altertümlich wirkenden Plattenspieler, diese enthält die Instrumental- und Gesangspuren aus den Liedern des Debütwerks ANOTHER HALF LIFE, die der Solokünstler nicht live spielt. Für jedes Lied des Albums hat er eine solche Platte produziert.
Siebert im weiten schwarzen Pulli, abwechselnd Gitarre, Piano, Zither und Glockenspiel spielend, steht gegenüber dem Plattenspieler. Beide gehen eine fast beängstigende musikalische Synthese ein. Nahezu perfekt greifen Mensch und Plattenspieler ineinander. Vor allem die Harmonie zwischen Sieberts Gesang und den auf Vinyl gepressten Chören, beeindruckt scheinbar nicht nur das Publikum, sondern Siebert auch selber. Faszinierend ist, wie gebannt und gespannt das Publikum im bestuhlten Studio 672 dem Künstler dabei folgt und zuhört. Jeder Pfarrer wäre wohl neidisch auf diese Stille und Aufmerksamkeit.
Selbst in den Pausen, die zwangsläufig entstehen, hört man kaum Zwischentöne oder ein Räuspern. Zwischen den Liedern am Rotweinglas nippend wirkt auch Siebert ganz gebannt. Er schwärmt von seiner Band, die allerdings ein wenig „zu lang gestern mit Naked Lunch getrunken habe, aber sich schon wieder ganz gut in Form zeigt“. Wieder grinst er breit. Es ist eine eigenartige Konstruktion. Ist es Schizophrenie, ein ganz großer Spaß, vielleicht ein wenig Unglaube, den Mut gehabt zu haben, ganz alleine und solo dem Publikum gegenüber zu treten? Ganz aufgelöst wird die Frage nach dem inneren Befinden Sieberts bis zum Ende des knapp 70-minütigen Konzertes nicht. Wahrscheinlich ist es aber die Intensität der Songs, die er geschaffen hat und die das Publikum völlig in ihren Bann ziehen und die ihn immer noch selber tief berührt.
Es handelt sich schon um ein außergewöhnliches Konzerterlebnis heute Abend, dessen Konzept einerseits faszinierend ist, andererseits nimmt es jedoch dem Auftritt die Spontanität. Siebert muss sich komplett an die Strukturen und Vorgaben des Plattenspielers halten, so dass kein spontaner Übergang zwischen den Liedern oder Improvisationen möglich sind. Ein wenig atmet man denn als Zuhörer auch auf, als das Konzert nach zwei weiteren Zugaben endet. Beeindruckend war die intensive Wiedergabe der Songs vom Debütalbum und die Qualität der Songs spricht für sich, aber die Dichte des Hörvergnügens ohne größere Ablenkungen oder Auflockerungen hat mit der Zeit doch für eine gewisse Ermattung gesorgt. So saugt man begierig die kalte Februarluft ein.
Foto: Andreas Hornoff