Eigentlich gibt es bei der Band um Sänger Dirk von Lowtzow nur zwei Möglichkeiten: Lieben oder hassen. Das wird sich auch mit dem neuen Werk nicht ändern.
Ja, es klingt wieder anders als die Vorgänger. Und sofort kommt einem der Begriff Weiterentwicklung in den Sinn, huldigten sie doch knappe zwei Jahre zuvor noch dem Shoegaze. Doch da sollte man den Ball mal flacher halten. Tocotronic goes Electronic, so könnte das neue Werk in Kurzform beschrieben werden. Eine Prise New-Order-Synthie-Pop lässt hier grüßen, mit Indie-Rock oder der Hamburger Schule hat dieses Album nichts gemein. Und so mag der poppige Sound und der Gesang die Fans der ersten Werke verstören und abschrecken, doch das ist Geschmackssache. Fakt ist, Tocotronic fühlen sich auch auf diesem Terrain wohl.
Das neue Album behandelt als Grundthema die Liebe und da sind bekanntlich alle Mittel erlaubt. Dass manche Songs dann doch arg kitschig geraten, kann keiner leugnen und verhindert, dass das Album der ganz große Wurf wird. Dafür klingt es zu speziell, die Reime zu einfach und der Gesang manchmal einen Hauch zu melancholisch. So ist das Vorhaben einer Ansammlung von Liebesliedern zwar konsequent umgesetzt und auch durchaus zum Dahinschmelzen, jedoch zum Frohlocken fehlt es etwas an Raffinesse und Wagnis. Und die Frage der Weiterentwicklung kann nicht eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden, denn eigentlich haben sie sich diesem Thema auch auf früheren Stücken angenommen. Jetzt eben konzentrierter und geballter. Und da wäre weniger durchaus mehr gewesen. Aber wenig war nie die Stärke der Nordlichter.
VÖ: 01.05.2015; Vertigo Berlin (Universal Music)
Ohr d’Oeuvre: Ich Öffne Mich / Solidarität / Sie irren
Tracklist:
01. Prolog
02. Ich Öffne Mich
03. Die Erwachsenen
04. Rebel Boy
05. Chaos
06. Solidarität
07. Spiralen
08. Sie irren
09. Haft
10. Zucker
11. Jungfernfahrt
12. Diese Nacht (incl. Hidden Track)
Gesamteindruck: 6,5/10