Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein: Wer heute Abend im Underground in Ehrenfeld dabei ist, hat’s geschafft. East Cameron Folkcore stellen ihr neues Konzeptalbum KINGDOM OF FEAR – erschienen im April über GHVC – vor und den kongenialen Support stellen die Nordlichter von Torpus & The Art Directors.
Frontmann und Sänger Sönke Torpus begrüßt die Crowd charmant und frech: „Ich weiß, dass ihr nicht wegen uns gekommen seid. Wir sind auch nur hier für… unsere Kumpel aus Austin!“ – womit East Cameron Folkcore aus der Alternative-Hochburg der USA gemeint sind. Ein paar Kumpels stehen sogar im Publikum und feiern das Vorprogramm mit. Torpus & The Art Directors schlagen bei den Fans schnell ein. Endgültig begeistert ist die Menge, als Blue Mongeon und Blake Bernstein von East Cameron Folkcore mit Posaune und Saxophon dazukommen: Der Song handelt vom Wert der Diversität und dass man doch alle dieselbe Luft atmet. Ein irgendwie sehr kölscher Moment und die Stimmung ist jetzt so blendend, als hätte der Hauptact schon begonnen. Das ist mehr als Routine oder Kollegialität unter Musik-Malochern und im weiteren Verlauf des Abends weisen East Cameron Folkcore immer mal wieder freundlich auf ihre Vorband hin. Vorher gibt es als Zugaben von den Hamburgern aber noch den Hit „Fall in Love“ und „Two Hearts“ – dann ist nach immerhin neun neuen Songs Schluss.
Nach dem Umbau eröffnen die Amerikaner furios mit „Robin Hoods“ (Rise) aus dem Debütalbum FOR SALE (2013). East Cameron Folkcore ordnen sich selbst den Genre Folk/Punk/Orchestral zu: Wer sich davon noch keine Vorstellung machen kann, hat jetzt wahrscheinlich einen der musikalisch interessantesten Abende seines Lebens vor sich.
Die Bühne ist mit acht von ca. elf Bandmitgliedern dicht besetzt und mit Ausnahme der Musikerinnen April Perez-Moore und Mary Beth Widhalm sieht man sich einer visuell überraschenden Mischung aus Hillbillies und Hipstern gegenüber. Aber der Schein trügt. East Cameron Folkcore ziehen die nächsten zwei Stunden derartig vom Leder, dass die Fangemeinde gerade eben mithalten kann. Die Texaner wollen keine politische Band sein: Das Leben IST für sie Politik und darüber wird dann eben gesungen. Die vierzehn Songs des Konzeptalbums KINGDOM OF FEAR drehen sich um das Heute, wie es sich für jeden darstellt, der nicht permanent die rosarote Brille trägt. Im Königreich der Angst regieren Turbokapitalismus, Machtmissbrauch, Überwachung und Ausbeutung und hier wird mit unglaublicher Virtuosität dagegen angesungen und -geschrien.
Die Stimme von Sänger und Gitarrist Jesse Moore erinnert an Tito Larriva von Tito & Tarantula und meistert alles – von zart bis hart bis Fast-Shouter. In minimalistischen Ansagen zwischen manchen Titeln verortet Jesse Moore die Gruppe (wie wir wurden, was wir sind) und kommentiert die Songs. Atem- und schnörkellos wirkt das: Hier wird nicht noch ein Ted Talk vom Stapel gelassen; hier geht es so authentisch zu, wie es sich manche Selbstoptimierer gar nicht mehr vorstellen können.
Weiter geht’s: Zuhören, verstehen und – abfeiern. Dieser Auftritt ist so energiegeladen und absurderweise auch optimistisch, dass sich beim Hörer fröhliche Wutmuskeln aufbauen. Der große Auftritt, die rauschhafte Orchestrierung transportieren unideologische, dafür wirklichkeitsnahe und gerade darum politisierende Texte. Das KINGDOM OF FEAR scheint auf tönernen Füßen zu stehen und East Cameron Folkcore machen heute Lust, sich tatsächlich mal gemeinsam dagegen zu werfen.
Nach über zwei Stunden geht es in die Zugaben. Jesse Moore widmet seinem Vater, der an jenem Tag Geburtstag hat, einen Song und schildert vorher in kurzen Worten dessen hartes Arbeiterleben. Danach übernehmen Bernstein und Mongeon die Gesangsparts für den Rest der Zugaben. Die Kondition und Spielfreude der Band bis zum letzten Lied ist unglaublich und das Publikum geht begeistert mit.
East Cameron Folkcore sollen vor ersten ihrer größeren Europa-Tournee ziemlich nervös gewesen sein. Man konnte es gar nicht fassen, dass es wirklich vor das große Publikum gehen soll. In Wirklichkeit ist es eigentlich nicht zu fassen, dass diese großartige Band nicht schon öfter für uns auf der Bühne stand.
Also hoffentlich bis bald in Köln und einer etwas besseren Welt! East Cameron Folkcore tun dafür mit aller Vehemenz, was sie können: Überzeugender hat man noch nicht auf die Ohren gekriegt, dass es so nicht weitergehen muss.
Setlist:
1. Robin Hoods/Rise
2. Salinger Is Dead
3. Worst Enemy
4. Carrying The Fire
5. Sallie-Mae
6. Kingdom Of Fear Part 1
7. Kingdom Of Fear Part 2 – The Joke
8. Kingdom Of Fear Part 3 – 969
9. Fracking Boomtown
10. Modern Man
11. When We Get Home
12. Protest Hero
13. Our City
14. Blackheart For A Beating Drum
15. Newspeak
16. Into Hells Sea
17. The House
Zugabe:
18. Director’s Cut
19. Humble Pie
20. Kitty In A Window
21. Charlene
22. Sheep Staring At A Gun