Wenn man einen Bericht über ein Festival schreiben soll, jedoch aufgrund der vielen unvergesslichen Eindrücke kaum den Einstieg findet, ist man entweder ein schlechter Schreiberling oder das Festival war einfach überwältigend.
Schon die Kulisse des ersten Kaltern Pop Festivals ist atemberaubend. Der kleine Ort Kaltern in Südtirol besticht durch seine idyllische Lage am Kalterer See, dem wärmsten Badesee der Alpen. Umgeben ist sowohl der Ort als auch der See von einem weitläufigen, hügeligen Obst- und Weinanbaugebiet. Den besonderen Reiz dieser Region macht die Kombination aus einer hochalpinen Landschaft und einer Fauna, die man eher aus Mittelmeergegenden gewohnt ist, aus. Ein Landschaftsbild, das gerade bei gutem Wetter zu den schönsten Europas zählen dürfte. Diese tolle Region haben die Organisatoren des Haldern Pop Festivals gewählt, um ein kleines Indoor Festival – das Kaltern Pop Festival – ins Leben zu rufen. Wer das Haldern Pop kennt, weiß, dass bei den Machern des Festivals im Mittelpunkt steht, die Grundlagen für eine außergewöhnliche Atmosphäre zwischen den auftretenden Bands und dem Publikum zu schaffen. Mit der Auswahl der vier Locations, an denen Konzerte und Aftershow Party stattfinden ist ein weiterer Grundstein für ein atmosphärisches Festival gelegt. Ähnlich wie beim großen Bruderfestival am Niederrhein ist einer der drei Konzertorte eine Kirche. Neben der Franziskanerkirche finden die Konzerte im wunderschönen katholischen Vereinshaus sowie im nicht weniger schönen Gewölbekeller des Weinmuseums statt. Beste Voraussetzungen also für stimmungsvolle Konzerte.
Den Anfang im Vereinshaus macht am Donnerstag die Wahlberlinerin Sara Hartmann. Für die meisten Anwesenden eine Unbekannte, schafft sie es recht schnell, das noch etwas verhaltene Publikum für sich zu gewinnen. Dabei wirkt sie, trotz ihrer jungen Karriere, ausgesprochen souverän. Dazu trägt auch maßgeblich ihre Band bei. Diese besteht aus Markus Perner am Schlagzeug und Julia Hügel am Keyboard – beide bekannt aus der Band von Thees Uhlmann. Die ursprünglich aus New York stammende Hartmann spielt sich äußerst sympathisch durch ihr gut halbstündiges Set, bei dem man glaubt, den ein oder anderen Song bereits zu kennen. Kein schlechtes Zeichen bei einer Newcomerin.
Nach Sara Hartmann betritt die Rasselbande von All the Luck in the World zu ihrem ersten von zwei Auftritten die Bühne. Es ist schon erstaunlich, wie ausgereift die gerade mal Anfang 20-Jährigen klingen. Ihr eingängiger Folk kommt bei den Anwesenden sehr gut an. Dies verwundert nicht, haben die Jungs doch ein unglaublich gutes Gespür für tolle Melodien.
Im Anschluss an All the Luck in the World bauen Loney Dear aus Schweden ihre eigene kleine Bühne in der Mitte des Vereinshauses auf. Was darauf und davor in den 45 Minuten ihres Konzertes passieren sollte, werden sich die Anwesenden wohl noch nach Jahren mit leuchtenden Augen erzählen. Unterstützt von Mitgliedern des wunderbaren stargaze Orchesters schafft Mastermind Emil Svanängen eine Atmosphäre, die kaum in Worte zu fassen ist.
Für die letzte Band des Abends – die Haldern-Lieblinge von The Slow Show – ist es nicht ganz einfach, die Spannung und die atmosphärische Dichte des Auftrittes von Loney Dear zu halten. Die an diesem Abend ohne Bassist, jedoch ebenfalls mit Unterstützung des stargaze Orchesters, angetretenen Briten meistern diese Herausforderung mit Bravour. Es ist einfach toll zu sehen, wie wohl sich vor allem Sänger Rob Goodwin inzwischen in seiner Rolle als Sänger und Mittelpunkt der Band zu fühlen scheint. Vor einem guten Jahr auf dem Haldern Festival noch schüchtern, sucht er heute den Kontakt zum Publikum und man sieht ihm in jeder Sekunde an, wie viel Freude es ihm bereitet auf der Bühne zu stehen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass er mit dem Material des völlig zu Recht gefeierten Erstlings WHITE WATER, seiner herausragenden Stimme und einer fantastischen Band über jeden Zweifel erhaben sein kann. Ein toller Abschluss eines großartigen ersten Festivaltages.
Läuft man am nächsten Tag durch die engen Gassen Kalterns, so ist ganz wunderbar zu sehen, wie viele neue Bekanntschaften man am ersten Tag des Festivals gemacht hat. Man hat das Gefühl, jeder kennt sich und jeder grüßt sich. Dies steigert die sowieso schon große Vorfreude auf die Bands und weitere neue Bekanntschaften am Abend.
Dieser beginnt kulturell hoch anspruchsvoll mit dem US Amerikanischen Pianisten und Komponisten Chad Lawson in der Franziskanerkirche. Selbst Kulturbanausen, die mit klassischer Musik auf Kriegsfuß stehen, müssten zugeben, dass die 45minütige Darbietung des vielfach preisgekrönten Mannes am Klavier sehr kurzweilig ist. Besonders sympathisch wirken dabei die kurzen Erklärungen und Geschichten zwischen den Songs, in denen Lawson dem klassischen Laien erläutert, wie und warum er bestimmte Stücke komponiert hat. Ein weiteres Highlight am Rande des Konzertes sind die Dorfälteren, die zum allsamstäglichen Gebet in die Kirche kommen und zunächst ob der vielen Menschen und der musikalischen Darbietung verschreckt sind, sich aber trotz allem nicht von ihrem „Gebetsplan“ abbringen lassen.
Nach Chad Lawson geben sich im 70 Meter entfernten Vereinshaus Monobo Son aus Bayern die Ehre. War die Band vor ihrem Konzert noch eine der Wundertüten des Wochenendes, sind sie nach ihrem Auftritt in aller Munde. Man stelle sich eine Mischung aus Brass, Jazz, Weltmusik, Reggae und HipHop vor, vorgetragen von einer „Mehrgenerationenband“. Neben Sänger Manuel Winbeck, der mit dem Schlagzeuger und Trompeter eher die jüngere Abteilung der Band bildet, ist es vor allem Wolfgang „Wolfi“ Schlick, auch bekannt als Mr. Funk aus München, der mit seinen recht unkonventionellen Tanzschritten beim Publikum für Begeisterung sorgt. Dies ist umso beachtlicher, würde „Wolfi“ Schlick doch altersmäßig als Vater der restlichen Bandmitglieder durchgehen. Das ist jedoch noch lange nicht alles, was das Konzert von Monobo Son zu einem der besten des gesamten Wochenendes werden lässt. Es ist die Spielfreude und die Energie der Band, die den Funken von der ersten Sekunde auf das Publikum überspringen lässt. Ist das Publikum mal nicht ganz bei der Sache, kommt die Band einfach runter von der Bühne und feiert gemeinsam mit diesem eine große Brass-Party. Und wie es bei einer guten Party so ist, möchte niemand, dass diese endet und so überzieht die Band auch gnadenlos. Als die Bühne bereits für die folgende Band umgebaut wird, spielen Monobo Son ihre Zugaben einfach im Publikum.
Die folgenden Heisskalt aus Stuttgart passen wahrscheinlich musikalisch am wenigsten zum Kaltern Pop Festival, sind sie doch himmelweit entfernt von Pop oder gar Indie. Heisskalt spielen schnörkelosen PostPunk mit dem einen oder anderen Hardcore Element. Bereits beim Haldern Pop ist diese Mischung erstaunlich gut angekommen und auch in Südtirol schafft die Band um Sänger Mathias Bloech es im Handumdrehen, das Publikum für sich zu gewinnen. Dies liegt an der unbändigen Spielfreude, gepaart mit tollen Songs und einem grundsympathischen Auftreten. Auch wenn es dem ein oder anderen älteren Semester zu laut ist – eine tolle Abwechslung, die, was die Intensität betrifft, kaum steigerungsfähig ist.
Headliner am Festivalfreitag ist mit Sophie Hunger aus der Schweiz ebenfalls keine Unbekannte im Kosmos Haldern Pop. Sophie Hunger ist eine dieser Künstlerinnen, die man mag oder nicht. Dazwischen gibt es nicht viel. Mag man sie, liegt man ihr zu Füßen und findet jedes ihrer Konzerte atemberaubend. Mag man sie nicht, erschließt sich einem nicht ganz, was an ihren Shows so außergewöhnlich sein soll. Sicherlich ist das Konzert von Sophie Hunger gut und sicherlich spielt die Schweizerin mit einer unglaublich professionellen Band im Rücken. Ein nachhaltiges Erlebnis ist das Konzert jedoch im Vergleich zu Loney Dear, Heisskalt oder The Slow Show nicht.
Der letzte Festivaltag steht ganz im Zeichen der österreichischen Durchstarter von WANDA. Die Spannung, ob der Hype um die Wiener berechtigt ist, ist bereits am frühen Nachmittag im Ort zu spüren. Bevor jedoch WANDA die Bühne des Vereinshauses erklimmen, ist es an The Franklin Electric aus Montreal, den vielen anwesenden Tagestickettouristen und den Vorabend-Aftershowpartygeschädigten ein wenig den Schlaf aus den Beinen zu spielen. Dies gelingt den Kanadiern nur selten, sind die Songs auf Konzertlänge dann doch nicht eingängig genug, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Besser machen dies im Anschluss All the Luck in the World mit dem stargaze Orchester im Weinmuseum. Wussten die jungen Briten bei ihrem ersten Festivalauftritt am Donnerstag schon zu gefallen, schaffen sie es dank des intimen Rahmens und der tollen Musiker vom stargaze Orchester, die Intensität ihrer Songs noch einmal zu steigern. Man sieht den Musikern förmlich an, wie sie es genießen, an solch einem wundervollen Ort in dieser Konstellation aufzutreten.
Nach Verlassen des Weinmuseums hört man bereits die ersten Songs von WANDA durch die Gassen Kalterns schallen. Die Überraschung ist groß als man die Gesichter zum Gesang sieht, handelt es sich nicht um junge Fans der Band, sondern um drei Damen gesetzteren Alters. Die anfängliche Überraschung weicht recht schnell der Erkenntnis, dass dies sinnbildlich für das Kaltern Pop ist. Das Festival besticht durch ein überaus heterogenes Publikum mit einer Altersspanne von 2 bis 72 Jahren. Besonders bei WANDA findet sich im Vereinshaus ein Publikum wieder, wie es gemischter kaum sein könnte. Ist man zunächst noch skeptisch, wie die Band wohl auf das Publikum und auf den nicht ganz gefüllten Saal reagieren wird, zeigt sich mit dem ersten Ton, dass bei WANDA am heutigen Abend jegliche Skepsis unbegründet ist. Die fünf Wiener legen von Beginn an eine Spielfreude an den Tag, die ihresgleichen sucht. Die Befürchtung, der unglaubliche Erfolg, den sie vor allem in Österreich, der Schweiz und Deutschland haben, sei ihnen zu Kopf gestiegen, ist genauso unbegründet wie die Sorge, dass die Band nach ihrer Mammuttour tourmüde sein könnte. Das Publikum ist von Beginn der Show an bei der Sache und feiert die Songs, die Band und die Tatsache, diese in einem so intimen Rahmen sehen zu können. WANDA lassen sich von der guten Laune anstecken und es entsteht eine Atmosphäre zwischen der Band und dem Publikum, die aus einem vermeintlich normalen Auftritt einen ganz besonderen werden lässt.
Dass das Kaltern Pop bei seiner Erstauflage kein ökonomischer Erfolg werden würde, wird den Organisatoren vorab klar gewesen sein. Umso bewundernswerter ist, welch stimmiges Festival Stefan Reichmann und das Haldern Pop Team trotz kleiner Unwägbarkeiten aus der Taufe gehoben haben. Irgendwie hat man als Außenstehender das Gefühl, Geschichte wiederholt sich. Ähnlich wie vor 30 Jahren am Niederrhein treffen die Organisatoren mit ihrer Festivalidee in Südtirol auf eine ganze Portion Skepsis und Sturheit, lassen sich jedoch nicht von ihrem Weg abbringen und stellen ein Veranstaltung auf die Beine, die jeden Besucher begeistert haben dürfte. Dabei ist es schön zu sehen, wie die Kalterer jeden Tag ein wenig mehr in das Festival hineinwachsen. Man hat den Eindruck, die Südtiroler sind infiziert vom vielbeschworenen Haldern Spirit und spätestens als ein älteres Pärchen am letzten Festivalabend erzählt, dass sie keine der Bands vorher kannten, dies aber das tollste Wochenende des Jahres für sie gewesen sei und sie befürchten, dass der Montag mit Entzugserscheinungen starten würde, wird klar, dass das Festival in Kaltern angekommen ist.
Sehr guter Bericht! Ich kann die Aussagen nur bestätigen. Ich bin immer noch ganz
geflascht Danke Haldern – Danke Kaltern
Sehr guter Bericht! Ich kann die Aussagen nur bestätigen. Ich bin immer noch ganz
geflascht Danke Haldern – Danke Kaltern
Ich glaube das ältere Pärchen waren meine Frau und ich. Wir sind immer noch auf Entzug. Danke für die wunderschönen Tage!
Wir haben zu danken! War wirklich ganz wunderbar bei ihnen in Südtirol! Bis hoffentlich nächstes Jahr.
Es war die beste Entscheidung das dreitages Ticket zu nehmen, denn keinen einzigen Künstler möchten wir missen. Es war eine unglaublich schöne Atmosphäre im Dorf, den verschiedenen Events und dann dem Abendprogramm. Veranstalter, Künstler und Fans waren sich einig, wir kommen wieder!