Langsam wird es besinnlich, was bei der allseits gut gelaunten Kritikertruppe von JMC bedeutet, dass der Punch und das schnelle Helle noch mit etwas Zimt aufgepeppt werden. Dieses Jahr haben wir den Tannenbaum verziert. Rein optisch führte das in der Redaktion nicht zu großen Erfolgen, da doch immer wieder gute Musik dazwischen kam….
Der Zuckerguss…
The Last Shadow Puppets – The Dream Synopsis EP
Mit THE DREAM SYNOPSIS EP servieren uns The Last Shadow Puppets noch einen Nachschlag zum im April erschienenen zweiten Album EVERYTHING YOU´VE COME TO EXPECT. Auf diesem setzten Alex Turner (Arctic Monkeys) und Miles Kane (The Rascals) nach achtjähriger Pause äußerst gelungen die Geschichte ihrer Zweitband fort, mit der sie weiterhin ihrer gemeinsamen Vorliebe für Crooner, Streicher und der dunkel glänzende Seite des Pops frönen. Die EP enthält zwei Neueinspielungen von „Aviator“ und „The Dream Synopsis“, die nochmal ein wenig schmachtender klingen, letztlich aber nur gering von der Albumfassung abweichen. Die Daseinsberechtigung der EP stellen vielmehr die vier Coverstücke dar, die bereits im diesjährigen Liveprogramm der Band enthalten waren. Mit aufpolierten Songs von Leonhard Cohen und Jacques Dutronc fällt die Wahl dabei auf zwei Herren, die zum dandyhaftesten gehören, was die Riege der dandyhaften Altmeister zu bieten hat und hatte. Die beiden anderen Stücke stammen ursprünglich von den Post-Punk-Bands The Fall und Glaxo Babies. Das klingt in der Version der Last Shadow Puppets freilich weniger kantig und sperrig, aber dank des Bowie-esquen Glamours und der Iggy-Pop-haften Dynamik der Burschen nicht minder spannend.
Gesamteindruck: 7,5/10
Das schnelle Helle mit Zimt: Les Cactus/ Totally Wired/ Is This What You Wanted
VÖ: 2.12.2016 – Domino Records, http://www.thelastshadowpuppets.com/
Die Engelchen…
Ben Howard im Stimmbruch? Oder hat er seinen Stammbaum auch in Würzburg ausgelegt? Die blutjungen Chapter 5 überraschen mit einem ausgereiften Folkalbum, das von großen Melodien und der abgeklärten Melancholie lebt, die sonst eigentlich nur End-50er für sich reklamieren können. Klingt vertraut? Genau, man denkt direkt an die Giant Rooks. Die drei aus Würzburg sind aber weniger erdig, melancholischer und lassen vor allem die Gitarrenmelodien für sich sprechen. Das sich auf dem Debüt bereits veritable Hits wie „Agnes“ oder „Polaroid“ befinden, lässt einen etwas erschaudern, was von den Jungs auf den kommenden Alben noch zu erwarten sein wird. Der Tipp des Herbstes und in Bälde auf Tour.
Gesamteindruck: 8,0 / 10
Der Punch: Ages/ Polaroid
VÖ: 11.11.2016 – Broken Silence, http://chapter5music.com/
Schöner die Glocken nie klangen…
Enola – of Life
Enola aus Essen spielen diesen catchy, dynamischen Emo-Pop, dem man sich einfach nicht entziehen kann. Ein wenig wie mit dem geschnittenen Obst von Mama oder dem Kioskbier am Freitagabend. Songs wie „No longer my own“ oder „Jc x2“ hat man vom Ablauf schon tausend mal gehört, klingen mit ihren Hooks aber so frisch, dass man sofort beginnt mit dem Kopf zu wackeln und in einigermaßen epileptische Bewegungen zu verfallen. Sympathische Band zwischen Taking Back Sunday und den Donots, die man auf dem Schirm haben sollte.
Gesamteindruck: 7,0 / 10
Das zimtige Helle: No longer my own/ Jc X2
VÖ: 28.10.2016 – Midsummer records, https://de-de.facebook.com/enolarock/
Die Eisprinzessin…
Katharina Busch – Blue Silver Diamond
Auf BLUE SILVER DIAMOND durchpflügt Katharina Busch einmal das weite Feld des Folkpops, klopft an die Mainstreamtür und endet in Gummistiefeln auf einem verschlammten Acker mitten im November. Auf der ersten Hälfte des Albums verzahnt Busch geschickt Folk mit Mainstreamelementen, bringt durch punktierte Bassläufe wie in „One Day“ die notwendige Hibbeligkeit in den Konservensound oder hüllt durch ihre melancholischen Gesangsmelodien den Hörer warm in einen klanglichen Norwegerpulli ein. Ein bisschen Kate Nash, ein bisschen Zaz, dazu ein wenig des görenhafte Charmes einer Leslie Clio. Busch beherrscht diese ganze Bandbreite! Heraus kommt beschwingter Wohlfühlpop, der ein wenig beliebig wirkt. In der zweiten Hälfte der Platte weicht diese Beliebigkeit. Der Sound wird sehr viel erdiger und dunkler mit viel Klavier und Kontrabasseinsatz. Busch wirkt fast ein wenig wie die ruhigere Schwester von Florence Welch. In diesem Teil sind u.a. mit „Every Hour“ die stärksten Songs versammelt. Busch scheint gegen Ende bei sich angekommen zu sein.
Gesamteindruck: 5,5 / 10
Der helle Punch: It’s ok / One Day/Every hour
VÖ: 25.11.2016 – Dreamshelter, http://katharinabusch.com/
Die Rumkugeln…
Keegan – Famous last words
Keegan kommen aus Köln und sind gefühlt schon länger als der Dom oder der Geißbock im Einsatz. Dabei klingen Keegan so wenig nach Rheinland wie Paderborn nach blühendem Leben. Nur die Größten des britischen Mod und Power-Pops stehen hier Pate! Ob die Untertones oder The Jam, aus jedem Song perlen die großen Vorbilder und doch wirken die Songs so ungemein frisch, als hätten Keegan die Formel zum ewigen Allnighter gefunden, wobei Sänger Ian wie der junge Paul Weller klingt! Wie gesagt, das ganze ist wenig überraschend, klingt aber trotzdem meistens frisch, weil Keegan mit der notwendigen Dynamik und dem entschlossenen Enthusiamus ran gehen. So das man zu Songs wie „Shut up and Dance“ oder „Lonely heart“ (was wunderbar wie die späten The Pale Four klingt) auch noch in 20 Jahren seinen 2 Minuten Ausbruch bekommen wird. Da kann man auch großzügig über die versammelten textlichen und musikalischen Klischees hinwegschauen!
Gesamteindruck: 6,5 / 10
Das Punch Helle: Shut up and Dance / Lonely Heart/ I’ll give you the key
VÖ: 25.11.2016 – Bellfire / Bellaphon, http://www.keegan-music.com
Onkel Fred…
Troy von Balthazar – Knights of something
Troy von Balthazar war Ende der 1990er und Anfang der 2000er Frontmann der verschrobenen Indierocker Chokebore aus Hawaii. Schon damals saß die Band mehr zwischen den Stühlen als auf einem bestimmten Thron. Als Vorband von Nirvana eigentlich schon für höhere Weihen vorgesehen, blieben sie doch irgendwo zwischen den Stühlen hängen. Zu verspielt waren die Gitarren und Refrains, zu weltentrückt der Gesang, um damals in die vorderen Rängen der Emo- und Punkbewegung vorzudringen. Irgendwann schien sich Balthazar dieser Sisyphos-Arbeit bewußt zu sein und ging auf Reisen, vor allem quer durch Europa. Das vierte Album KNIGHTS OF SOMETHING ist ein flüchtiger Reisegruss, der im ersten Moment vorbei zu schweben scheint und im zweiten den Zurückgebliebenen mit der Sehnsucht erfüllt den Verreisten bald wieder zu sehen. Aufgenommen an Frankreichs Mittelmeerküsten und in Berlin, vereint das Album kurzweilige Songskizzen von Begegnungen und durchtrunkenen Abenden, die einerseits nicht wirklich zum Punkt kommen wollen, andererseits mit so catchy Melodien ausgestattet sind, dass sie sich tief im Hirn festsetzen. Songs voller fragiler Schönheit, durch die sich Balthazars Stimme wie zu besten Chokebore Zeiten viel zu hoch durchnuschelt. Orgel- und Gitarrenmelodien, die sich durch einen Lo-Fi-Mantel aus Rauschen langsam aus der Tiefe an die Oberfläche graben. Dabei vereinen fragile Soundskizzen wie „Astrid“ oder das großartige „Manic High“ diese Weltentrückheit und Leichtigkeit mit teils wunderschön traurigen Geschichten, wie sie vielleicht nur jemand aus Hawaii selbst im grauesten Berliner Herbst erzählen kann. Das es doch wieder nicht zu höheren Weihen reichen kann, liegt an dieser Verschrobenheit und dass sich Balthazar nicht wirklich einordnen lassen will. Ist das jetzt Lo-Fi-Folk al la Low Barlow? Ist das reifes Singer-Songwritertum al la Elliot Smith? Eigentlich egal, die richtigen Songs für eine junkischen Tag, leicht angesäuselt und ohne Termine.
Gesamteindruck: 7,0/10
Der zimtige Punch: Thugs / Manic high/ Astrid
VÖ: 1.04. 2016, Siluh Records (Cargo Records) , http://www.troyvonbalthazar.net/
Die Lichterkette…
Blueneck – The Outpost
Songs wie „Ghosts“ oder „Rats in the wall“ sind weit entfernte Positionslichter am Horizont. Schwebend, unwirklich mit wabernden Synthieteppichen versehen, die plötzlich durch die eingestreuten Pianomelodien eine erhabene Größe erhalten, als würde der Vollmond durch die schwarze Nacht brechen. Man merkt die Musik von Blueneck verortet sich eher auf der dunklen Seite des Mondes, gleicht einem Signal aus einer fernen Welt oder einem bedrohlichen Donnergrollen am Horizont. Die Band aus North Somerset verbindet den pulsierenden Elektropop einer KID A Radiohead Phase, mit dem Post Punk der mittleren Mogwai (da wo auch mal gesungen werden durfte) und unterspült dies mit Goth und EBM – Anleihen, an denen vermutlich jeder Zillo Leser seinen Spaß hätte. In Deutschland bisher nahezu unter dem Radar gelaufen, könnte die fünfte Platte THE OUTPOST eine größere Zuhörerschaft ansprechen. Songs wie „Glades“ verbinden Indiegitarre wunderbar mit Synthiedrums zu einem atmosphärischen Ganzen. Ein wenig nervt die kraftlose Stimme, die den Schwung an einigen Stellen nimmt. Dazu hätte man Konventionalrocker wie „The white Ship“ weg lassen können.
Gesamteindruck: 6,5 / 10
Das schnelle Helle: Ghosts/ Rats in the wall
VÖ: 25.11.2016 – Denovali Records, https://de-de.facebook.com/BlueneckUK/
Rolf Zuckowski…
The Vacant Lots – Berlin EP
The Vacant Lots sind eigentlich 40 Jahre zu spät dran. Ihr repetiver Psychadelic Rock würde eigentlich besser an die US Westküste der 1970er passen. Vor dem geistigen Augen erscheinen beim Abspielen der BERLIN EP tanzende, nackte Hippies, die sich in immer wilder werdenden Bewegungen um sich selber drehen. Dazwischen ruft der indische Guru mit monotoner Stimme zur Entmaterialiserung der Seele auf. Die vier Songs sind wunderbar dick produziert, für alle Freunde des klassischen, leicht angeschmutzten Prog -/ Psychadelic Rocks sind die Vacant Lots auf jeden Fall eine warme Empfehlung.
Gesamteindruck: 6,0 / 10
Der warme Punch: Verschwinden
VÖ: 25.11.2016 – A Recordings, http://thevacantlots.tumblr.com/