Kurz gesagt geht live
Die letzten Wochen hatte das jmc Team wieder seine übliche Jahresauftaktsbeklemmung. Also lief man viel zu dünn angezogen aus dem Haus. Hiermit verbinden wir gleich auch mal den Spendenaufruf für lange Unterhosen an die Leser.
Tripsitter, Disparity, anorak – 18.01.2017, Köln, AZ
„Alter, ich denke das ist hier ein alternatives Jugendzentrum!“
„Autonom und kein Jugenzentrum! Sonst dürftest Du hier gar nicht rein!“
„Na egal, aber da erwartet man doch einen Grützsound, oder? Und dann so ein Brett, so ein Sound, Bombe!“
Ähnliche Kommentare hört man den ganzen Abend. Es ist aber auch ein Luxuslärmprogramm, das La Piñata-Shows da an diesem Mittwoch ins AZ auf der Luxemburger Straße zaubern. Nachdem sich langsam die Hirnbahnen enteist haben, beginnen Disparity ihre Show. Der Fünfer aus Cambridge spielt seine erste Show in Kontinentaleuropa und den Jungs ist ein wenig anzumerken, dass das noch ungewohntes Terrain ist oder sie sind am Anfang schlichtweg ein wenig eingefroren. Ihr klassischer Melodic Hardcore, der gerade bei Einsetzen des zweiten Gesangsparts des Gitarristen ein wenig an Alexisonfire erinnert, kann von Anfang an überzeugen. Sind die ersten Stücke relativ gitarrenfrickelig mit Betonung auf Melodie und Rhythmus, wird gegen Ende das volle Brett ausgepackt, inklusive einer ordentlichen Attacke durch Screamoparts des Bassisten. Ein guter Beginn, verbunden mit der Hoffnung, die Engländer bald wieder begrüßen zu können.
Kalt scheint dem Drummer von Tripsitter nicht zu sein. Der volltätowierte Schlagwerker zieht bereits beim zweiten Song oben rum blank und vollführt danach soviel Schwerstarbeit, dass man dies nur zu gut nachvollziehen kann. Überhaupt bleibt der Screamo, den das Quintett aus Innsbruck an den Tag legt, nachhaltig in Erinnerung. Die Stimme braucht kein Mikro, um jede PA zusammen zu schreien, wobei man sich fragt, wie lange die Stimmbänder den hohen Schreigesang mitmachen, immerhin ist dies erst der erste Abend der Tour. Beeindruckend ist das wuchtige und professionelle Auftreten der Band, das sich vor größeren Vorbildern nicht verstecken muss. Die unbekannteren Songs können durchgehend überzeugen und stehen den bekannteren Songs wie „Progress“ oder „Metarmophose“ in nichts nach. Der Höhepunkt des Auftritts ist allerdings der ruhigste Moment, als der Schlagzeuger sein Tom mitten ins Publikum stellt und die Band ihren reduziertesten Song spielt. Ein Auftritt der nachhaltig Eindruck hinterläßt.
Den Abschluß bilden Kölns Finest anorak mit neuem Gitarristen und neuen Frisuren. Dabei wird schnell klar, dass Screamo oder Hardcore eigentlich als abschließende Einordnung der Band nicht mehr passt. Viel mehr hat anorak mittlerweile eine musikalische Geschlossenheit erreicht, die schlichtweg mitreißend ist. Neben den hochmelodiösen Gitarren, ist dafür vor allem die Rythmussektion verantworlich. Die ständigen Dynamikwechsel lassen die Lieder wie wechselnde Gezeiten über den Zuhörer einbrechen, die in einigen Momenten reine Glücksgefühle hervorrufen. Aufgeführt werden an diesem eisigen Mittwochabend auch zwei neue Songs, die eine kompaktere, geschlossenere musikalische Marschrichtung für die Zukunft vorzugeben scheinen. Ein wenig schade ist, dass der Gesang etwas zu leise ist. Aber egal, ein toller Abend, der schon wieder zu viel Lust auf Lärm und Geballer macht.
Illegale Farben, Sohnemann, City Light Thief – 19.01.2017, Köln, CBE
Das schöne an der Cologne Music Week ist, dass es immer so viele Umsonstveranstaltungen gibt. Das dumme am Leben ist, dass es Lohn- und Hausarbeit gibt. Beides führt zu einem viel zu späten Eintreffen im Clubbahnhof Ehrenfeld, dem Posh Spice unter den Ehrenfelder Klubs. Daher können nur noch die letzten beiden Songs der Illegalen Farben konsumiert werden – inklusive einer Pogoeinlage des Sängers. Was aber erstens dazu reicht in Bewegung zu kommen und um zweitens zu erahnen, dass es ein gewohnt energiegeladener Auftritt des Kölner Quintetts gewesen sein muss. Jedenfalls sind die Zuschauerreaktion mehr als freundlich. Leider kann wieder nicht geklärt werden, was es mit der zerschlissenen Jacke des Sängers auf sich hat.
„Junge, Junge! Deutschkurs trifft auf Popakademie oder was?“ Sohnemann, die nach einer längeren Umbaupause die Bühne betreten, rufen durchaus zwiespältige Reaktionen im nun gut gefüllten Club hervor. Der gefällige und hochmelodiöse Indiepop, der vor allem durch das Schlagzeugspiel eine ganz eigene Prägung bekommt, ist glasklar, professionell und wird von der Band live so perfekt und routiniert umgesetzt, als würden die vier schon 20 Jahre gemeinsam auf der Bühne stehen. Ein wenig klingt die Band wie Heisskalt nur ohne den Punch und die Schreierei, aber eben mit diesen poetischen und bilderreichen Texten, die zum Teil jedoch auch leider etwas klischeebeladen daherkommen. Da tropfen die „Wörter von der Decke“, da ist „mein Schweigen Gold“ und so weiter. Allerdings geraten immer mehr Besucher – rein subjektiv betrachtet mehr weiblichen Geschlechts – in Wallung und Bewegung. Irgendwie scheinen Sohnemann den Nerv der Besucher zu treffen. Der Band kann man schon prophezeien, dass sie Erfolg haben wird, vielleicht sollten sie noch ein wenig daran arbeiten, ein paar Kanten zu entwickeln.
Die Muskeln werden gelockert und innerlich hört man die Knochen knacken. Grevenbroich is in the house und auch wenn der Doornkart fehlt, ballern die fünf Jungs von City Light Thief ihren Melodic Hardcore gewohnt präzise, gewohnt rythmisch und gewohnt melodiös ums Ohr. Dabei scheint die Band eine neue Lockerheit zu umwehen. Wirkten ihre Auftritte in der Vergangenheit manchmal so, als wollten die fünf auf Krampf allen beweisen, was sie alles drauf haben (eine ganz Menge), scheinen sie heute auf alles zu pfeifen. Auf der Bühne regiert neben der gewohnt energetischen Darbietung sichtlich der Spaß. War bei Sohnemann eher die Statik das zentrale Bühnenelement, scheint Sänger Benjamin allen seine neu antrainierten Ausfallschritte näher bringen zu wollen, während die anderen sich wie gut gelaunte Preisboxer über die Bühne bewegen, als suchten sie den Infight mit den Zuschauern. Neben den Songs von der letztjährigen „Über“-EP SHAME, kommen Klassiker von VACILANDO wie gewohnt druckvoll rüber. Die Band überzeugt durch Spielfreude und Technik oder wie Sänger Benjamin ausführt, durch „Geballer und Halligalli“. Zum Glück schafft er es zwischendurch trotz leicht dämlicher Kommentare aus dem Publikum darauf hinzuweisen, dass City Light Thief Texte eben mehr sind als das und sich mit den Arschlöchern und den Abgründen um einen herum auseinander setzen, auch wenn das manchmal im Lärm untergeht. Eine großartige und mehr als sympathische Band, die vielleicht gar nicht weiß, was sie mit SHAME für eine wundervolle Platte gemacht hat.
Spaceman Spiff – 20.01.2017, Artheater, Köln
Ausverkauft, nichts mehr zu machen! Fast schon mitleidig muss die junge Frau im Kassenhäuschen Wartende zurück weisen. Trotz einer rund anderthalbjährigen Live- und Kreativpause und der Konzentration auf andere Projekte, hat das Interesse an dem sympathischen Schlacks Hannes Wittmer aus Hamburg keinen Deut nachgelassen. Zum Glück ist das Artheater zwar ausverkauft, aber nicht in der Form, dass man als Schweißband für die Stehnachbarn dient. Den Beginn gestaltet der Spaceman alleine mit seiner Gitarre. Das sympathische an Spiff ist, dass seine Lieder trotz Pathos und Melancholie („Ich spiele jetzt mal was trauriges, hm, wie wahrscheinlich 90% meiner Lieder traurig sind!“) sich nicht zu wichtig zu nehmen scheint, sondern auch immer mit einem lachenden Auge auf sich selber schaut. Dargeboten wird auch der neue Song „Rom“, in dem es um das Verschwinden von Leuten in ihrem Familien- und Jobleben geht. So wie sich viele Songs, um die Unsicherheit des Poststudiums und endgültigen Erwachsenwerdens drehen, womit sich wohl ein Großteil des Publikums offensichtlich und gut hörbar identifizieren kann. So werden nicht nur die, aus diversen sozialen Netzwerken bekannten Songs „Oh, Bartleby“ oder „Teesatz“ lautstark mitgesungen, nein fast jedes Lied wird zumindest mitgesummt. Dass sich dabei am Eingang, sogar eine Ultragruppe bildet, deren Beitrag nicht mehr als reines Schreien, sondern schon als Kreischen beschreiben läßt, gibt dem ganzen fast eine Rummelplatzatmosphäre. In der zweiten Hälfte wird Spaceman Spiff dann durch die Tourcellistin Clara begleitet. Deren Spiel gibt vielen Songs noch einmal eine kräftigere Klangfabe und Dynamik, wie dem sonst eher reduzierten „Die Ruhe selbst“. Einige Stücke werden dann noch vom Tourbassisten und einem Loopgerät begleitet, mit dem Wittmer an einigen Stellen zu kämpfen hat, dies aber auch gewohnt charmant löst. Das Clara eine Menge seiner Sprüche an dem Abend abbeekommt, meint er nicht ernst („Ich frage Clara immer, ob Sie bereit ist, um von mir selber abzulenken!“ – „Wir suchen noch einen Namen für Claras Facebookseite, erster Vorschlag Clara Elfer..:“). Die junge Dame wird auf jeden Fall mit Sprechchören gefeiert. Überhaupt ein charmanter, poetischer Abend, der am Ende vielleicht beim Pathos ein wenig drüber ist, als die Beiden im Duett „Die Gedanken sind frei.“ vortragen. Toller Abend, an dem man nur „Hamburg“ vermisst hat. Aber so schön, Schnieff, im Mai dann wieder.