Krawehl – s/t
Ostwestfalen – ein Landstrich in Nordrhein-Westfalen, an den man denkt, wenn es um vorpubertäre Aluhut-Witze über das völlig unterschätzte Bielefeld, ausbaufähige Braukunst oder Rumpelfußball geht. Woran man nicht zwangsläufig zuallererst denkt, ist die Musikszene.
Zu Unrecht, wie ein genauerer Blick zeigt, kamen und kommen doch durchaus großartige Bands und Künstler aus dieser Region. Sei es der allseits bekannte Casper, die leider viel zu früh von uns gegangenen Patsy O´Hara, The Now Denial, Enfold oder – man lese und staune – Hannes Wader. Mit Krawehl macht sich eine Band aus dem Punkrock auf, sich nachhaltig auf dieser Liste zu verewigen. Nachdem es bereits 2010 eine EP und 2011 eine Split mit Willy Fog gab, kehrte erst einmal Ruhe ein. Der Alltag hatte die Band eingeholt, das Leben machte einen Strich durch Touren und Aufnahmen. Doch was sind Leben und Alltag, wenn noch längst nicht alles gesagt ist? Richtig, ein Bremsklotz, den der Ostwestfalen-Vierer mit derart viel Schwung über Bord tritt, dass es eine wahre Freude ist. Da, wo Muff Potter aufgehört hat und Jupiter Jones sich entschieden haben, ihre eigene Coverband zu werden, kommen Krawehl um die Ecke und röhren uns ein Album vor die Füße, bei dem einem klar wird, was man sechs Jahre vermisst hat und vor allem eines, was einen lange Zeit nicht mehr loslassen wird. Mit schmerzendem Herz auf der Zunge und geballter Faust in der Tasche nehmen sie einen mit auf die Reise zurück in eine Zeit, in der die Holzfällerhemden noch keine unvorteilhaften Auswuchtungen in Bauchhöhe hatten und das örtliche Jugendzentrum das Molotow der ländlichen Provinz war. Dabei verlieren sie sich nicht in melancholischer Vergangenheitsbewältigung, sondern zeigen, dass hymnischer Emopunk nicht zwingend pathosbeladen klingen muss und auch anno 2017 nichts von der Frische früherer Jahre verloren hat. Songs wie „Altlastenasyl“, die großartige erste Single „Bielefeld sehen…und Scherben“ und das wundervolle „Salz & Ekel“ sind allesamt Hits, die einen – so viel ist klar – lange Zeit begleiten werden. Krawehl legen nach sechsjähriger Abstinenz einen heißen Anwärter für das beste deutschsprachige Emopunk Album 2017 vor.
VÖ: 05. Mai. 2017, lala music, https://krawehl.bandcamp.com/
Ohr d’Oeuvre: Bielefeld sehen…..und Scherben/ Salz&Ekel/ Prost Mahlzeit/ Altlastenasy/ Ein Abschied
Gesamteindruck: 9/10
Tracklist: Kotzen, bitte!/ Altlastenasyl/ Steckenpferd/ Salz & Ekel/ German Angst/Voyeur/ Bielefeld sehen… und Scherben/ Prost Mahlzeit!/ Déjà Vu/ Zufrieden/Trugschluss/ Ein Abschied
(at)
Gnarwolves- Outsiders
Auch wenn der Sommer noch nicht so richtig will, der Titel für die Sommerplatte des Jahres ist mit OUTSIDERS von den Gnarwolves vergeben.
Die drei skatenden Rabauken von den Gnarwolves werden doch nicht etwa erwachsen? Dieser Gedanke könnte einem glatt durch den Kopf schießen, wenn man sich die neue Platte der Jungs aus Brighton anhört. Regierte auf den letzten Alben noch der Vollgas-Punk, beinhaltet OUTSIDERS Songs, die Weezer besser nicht hinbekommen hätten. Natürlich geht bei aller tempogedrosselten Catchyness die rotzige Attitüde, die die Band bei vergangenen Outputs auszeichnete, nicht verloren. Vielmehr erweitern sie ihr musikalisches Spektrum um eine Facette, die ihnen äußerst gut zu Gesicht steht. Ansätze in diese Richtung lieferten sie bereits mit Songs wie „Community, Stability, Identity“ auf der 2012’er EP CRU. Auf OUTSIDERS perfektionieren sie diese Ansätze, ohne auch nur eine Minute zu langweilen. Viel zu frisch klingt diese Mischung aus rotzigem britischem Punk und schrammeligen kalifornischen Indiegitarren. Direkt der Opener, „Straightjacket“ macht klar, wo die Reise in den folgenden 30 Minuten hingeht – nämlich mit durchgetretenem Gaspedal nach vorne. Da reiht sich ein Singalong an den nächsten, getragen durch Melodien, die man lange nicht mehr los wird. Wie facettenreich das Album geworden ist, hört man am ehesten an den Songs „English Kids“ und „Argument“. Während ersterer ein typisch rotziger Gnarwolves Punkstampfer ist, hat man bei „Arguments“ den Eindruck, Rivers Cuomo macht jetzt gemeinsame Sache mit den Jungs von Beach Slang. Trotz dieser Referenzen haben die Gnarwolves über die letzten Jahre zusammen mit Stammproduzent Lewis Johns einen absolut eigenständigen Sound entwickelt, der sie gerade aufgrund der beeindruckenden Dynamik von vielen Genrebands abhebt.
Maßgeblichen Anteil daran hat Ausnahme-Schlagzeuger Max Weeks. Selten hat man einen Schlagzeuger in einer Punkband gehört und gesehen, der es ohne Weiteres mit jedem Schweizer Uhrwerk aufnehmen kann. Da sitzt jedes Break und jeder Tempowechsel.
Kann man Skateboard fahren, ist dies hier der perfekte Soundtrack. Aber auch beim Grillen, Bongoterroristen im Park übertönen oder bei langen Autofahrten ans Meer ist OUTSIDERS eine Platte, an der man diesen Sommer nicht vorbeikommt.
VÖ: 5. Mai 2017, Big Scary Monsters, http://gnarwolves.com/
Ohr d’Oeuvre: Car Crash Cinema/ Argument/ Shut up
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Straightjacket/ Car Crash Cinema/ Wires/ Paint Me A Martyr/ English Kids/ Argument/ The Comedown Song/ Talking To Your Ghost/ Channelling Brian Molko/ Shut Up
(at)